Es ist letztlich eine Frage des Charakters. Wenn sich ein Bürgermeister kraft seines Amtes in einem Pflegeheim vordrängelt, um sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen, ist dies ein markanter Hinweis dafür, dass er weder moralisch noch mental für diese Funktion geeignet ist. Im Falle des Feldkircher Bürgermeisters etwa hatte die dortige Heimärztin nach eigenen Angaben die Impfung sogar verweigert und entgegnet, dass ältere Menschen sie nötiger hätten. Der Bürgermeister hatte aber mit der Begründung darauf bestanden, er sei oft in Alters-und Pflegeheimen zu Besuch.

Start der Corona-Impfungen für über 80-Jährige, die nicht in Heimen leben, in Oberösterreich.
Foto: APA/LAND OÖ/ERNST GRILNBERGER

Feldkirch ist kein Einzelfall. In den letzten Tagen poppten auch in anderen Bundesländern ähnliche Meldungen auf, wonach einflussreiche Regionalpersönlichkeiten, "Lokalgrößen", sich erste Impfungen organisiert hätten. Deren Entschuldigung: Sonst wäre der Impfstoff ohnehin verfallen.

Dass Impfdosen übrig bleiben, weil vielleicht Heimbewohner krank werden oder die Impfzusage zurückziehen, ist bekannt. Dafür wurden vom Gesundheitsministerium auch klare Richtlinien erstellt. Es müsse im Falle von Restbeständen, die rasch verbraucht werden müssen, nach einer Prioritätenliste vorgegangen werden. Jene, die etwa einen sehr engen Kontakt zu Heimbewohnern haben, vom Seelsorger bis zu den engsten Familienangehörigen, zählen dazu – nicht aber sich vordrängelnde Bürgermeister, die für diesen Missbrauch ihrer Autorität von ihren Parteien sanktioniert werden sollten. Die sollten rasch reagieren und ihrem Rathauspolitiker nahelegen, das Amt an eine redlichere Person zu übergeben, um das verspielte Vertrauen in der Bevölkerung wiederherzustellen.

Zentralbürokratie

Darum sollten sich jetzt auch die Landeshauptleute bemühen. Die Länderchefs aus Tirol, Vorarlberg und der Steiermark hatten sich stolz auf die Brust geschlagen und die Verteilung der Impfdosen zur Ländersache erklärt. "Als Bundesländer nehmen wir gern die Koordinierung der Impfdosen in die Hand", sagte der Chef der Landeshauptleutekonferenz, der steirische Landeschef Hermann Schützenhöfer. Sein Tiroler ÖVP-Kollege Günther Platter verlangte ebenfalls, dass die Impfdosenbestellungen bei den Ländern zusammenlaufen und auch durch sie verteilt werden müssten. Nur so könne kurzfristig reagiert werden "und überzählige Impfdosen unverzüglich anderweitig verwendet werden". Der Vorarlberger Markus Wallner wurde noch deutlicher: "Weg mit dieser sinnlosen Zentralbürokratie, denn da ist uns das Gesundheitsministerium ordentlich auf die Nerven gegangen."

Das war wohl etwas vorlaut. Diese "Wir können es besser"-Ansagen aus den Ländern sind durch die zahlreichen Vorfälle bei den Impfvergaben einigermaßen widerlegt worden. Es wurde offensichtlich nicht oder zu lasch kontrolliert.

"Grundsätzlich haben die Impfbeauftragten der Gesundheitseinrichtung sowie der Impfkoordinator im jeweiligen Bundesland für ein geordnetes Vorgehen Sorge zu tragen", stichelte der attackierte Gesundheitsminister nun via Aussendung. Eine Retourkutsche – aber durchaus nachvollziehbar. (Walter Müller, 19.1.2021)