Begehrt, aber in den kommenden Wochen knapp: Beim Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer kommt es zu Lieferverzögerungen, ein anderes Mittel könnte nur begrenzt verwendbar sein.

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Wien – Bis Ende März soll allen über 65-jährigen Menschen in Österreich eine Impfung gegen Covid-19 angeboten werden: Dieses ehrgeizige Ziel hat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ausgegeben. Doch auf dem Weg dorthin bauen sich Hürden auf. Der von der Regierung festgelegte Impfplan wackelt.

Sorgen macht der Nachschub an Impfstoffen. Da gibt es nicht nur eine Lieferverzögerung beim Impfstoff der Firma Biontech/Pfizer, der hierzulande bereits im Einsatz ist. Ein anderes Vakzin, auf das Österreich wie die gesamte EU besonders große Stücke setzt, könnte vorerst ausgerechnet für jene Gruppe ausfallen, die eine Immunisierung am dringendsten braucht.

Das Astra-Zeneca-Problem

Es geht um den Impfstoff des Anbieters Astra Zeneca, über dessen Zulassung die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) am 29. Jänner entscheiden soll. Der Infektiologe Herwig Kollaritsch, der in der Corona-Taskforce des Gesundheitsministeriums sitzt, beschreibt das Problem so: Astra Zeneca habe das eigene Produkt in verschiedenen Dosierungsvarianten erprobt.

Doch zum letztlich wirksamsten Schema – bei der ersten Impfung eine schwächere Dosis, bei der zweiten eine stärkere – habe das Unternehmen nur Ergebnisse für Menschen bis 55 Jahren publiziert, so Kollaritsch. Die EMA könne den Impfstoff in der besten Form folglich nur für diese Altersgruppe freigeben, solange Astra Zeneca nicht Daten für Ältere nachreicht.

Massive Einschränkung

Im Fall Österreichs würde das eine massive Einschränkung bedeuten, schließlich hat die Regierung für das erste Quartal von diesem Impfstoff gleich 2.166.073 Dosen eingeplant – dieses riesige Kontingent stünde demnach nur für Menschen unter 55 zur Verfügung.

Darüber hinaus kalkuliert das Gesundheitsministerium laut seiner Webseite nach derzeitigem Stand mit 937.950 Dosen von Biontech/Pfizer, von denen etwa 136.000 bereits an Gesundheitspersonal, Pflegeheimbewohner und andere Gruppen verimpft wurden, und mit 200.000 Dosen der Firma Moderna. Dem stehen 1,7 Millionen Menschen über 65 Jahren gegenüber, die der Kanzler möglichst bis Ende März durchimpfen will.

Ministerium weicht aus

Wie sich das ausgehen soll? Eine Anfrage im Gesundheitsministerium zieht eine allgemein gehaltene Antwort nach sich. Es sei immer klar gewesen, "dass die praktische Durchführung der Impfungen von den tatsächlichen Zulassungen und den verfügbaren Impfstoffmengen abhängt", heißt es aus dem Büro von Minister Rudolf Anschober (Grüne), wo man auf eine Nachbestellung von weiteren Millionen Dosen verweist: "Die vorhandenen Impfdosen werden entsprechend ihren Charakteristika bestmöglich für die verschiedenen Zielgruppen eingesetzt."

Deutlichere Worte fallen hinter den Kulissen. In türkisen Regierungskreisen ist die Rede davon, dass die Reihenfolge bei den Impfungen wegen des Astra-Zeneca-Problems zwangsläufig auf den Kopf gestellt werden könnte. Obwohl es in der Sache widersinnig ist, könnte man gezwungen sein, die Impfung von unter 55-Jährigen vorzuziehen und manche Ältere zu vertrösten.

Bewilligung für alle bald nachgereicht?

Experte Kollaritsch bewertet die Folgen dennoch recht entspannt. Es sei kein Beinbruch, wenn die EMA dem Astra-Zeneca-Impfstoff erst einmal nur eine begrenzte Zulassung erteile, sagt der Mediziner: Er gehe davon aus, dass der Anbieter die Untersuchungen zu den Älteren innerhalb weniger Wochen nachreichen werde, auch das Okay der Behörde werde dann nicht lange auf sich warten lassen. Denn die grundlegende Funktionsfähigkeit des Impfstoffs sei ja bereits belegt.

Der Experte glaubt, dass der Impfplan aus anderen Gründen sowieso nicht einzuhalten sein werde. "Nicht der Nachschub, sondern die Logistik ist das große Problem", sagt er. "Ich bin unverbesserlicher Optimist. Aber dass es gelingt, bis Ende März 1,7 Millionen Menschen über 65 Jahren zu impfen, bezweifle ich."

Expertin Nicolodi: Keine Impflücke

Auch die unabhängige Impfstoffexpertin Christina Nicolodi glaubt nicht, dass die Lieferprobleme bei Biontech/Pfizer und das Zulassungsproblem bei Astra Zeneca viel am Ablauf ändern: Dank erwarteter Nachschublieferungen sei eine Impflücke bei Menschen zwischen 55 und 65 Jahren unwahrscheinlich.

Nicolodi stützt Hoffnungen auf einen vierten Impfstoff, für den schon seit Dezember ein Antrag vorliegt. Das von der belgischen Firma Janssen entwickelte und vom US-Pharmariesen Johnson & Johnson vermarktete Mittel befindet sich bei der EMA seit 1. Dezember in einem laufenden Bewilligungsverfahren, einer Rolling Review.

Hoffnung auf Johnson-&-Johnson-Vakzin

Die EU hat 200 Millionen Dosen bei Johnson & Johnson bestellt, von denen Österreich dem Aufteilungsschlüssel entsprechend zwei Prozent erhalten wird. Wie beim Mittel von Astra Zeneca handelt es sich um einen Vektorimpfstoff. Dieser muss zweimal im Abstand von 57 Tagen verabreicht werden. Eine Zulassung ist laut Nicolodi ab Mitte Februar realistisch.

Nicht nur Österreich, auch die EU insgesamt setzt sich ehrgeizige Ziele. Bis zum Sommer sollen 70 Prozent der Erwachsenen in der Union geimpft sein, will die EU-Kommission in ein Diskussionspapier für das Gipfeltreffen am Donnerstag schreiben. Bereits im März sollen 80 Prozent der über 80-Jährigen und der Beschäftigten im Gesundheitswesen immunisiert sein. (Gerald John, Irene Brickner, 20.1.2021)