Norbert Hofer hat den durch Fraktionschef Herbert Kickl verkörperten strammen Anti-Impfkurs der Partei durchkreuzt. Kurz zuvor gab der freiheitliche Welser Bürgermeister Andreas Rabl (FPÖ) in den Medien bekannt, sich sicher impfen zu lassen. Das ist gut. Und er empfiehlt, "Impfungen nicht zur ideologischen Frage zu machen." Das ist naiv. Impfungen und der Widerstand dagegen sind eine Frage von Ideologien und Werten seit 200 Jahren.

Ende des 18. Jahrhunderts hat der britische Arzt Edward Jenner die Immunisierung mit den für den Menschen ungefährlichen Kuhpocken-Viren etabliert. Auch in Wien wurde ab dem Jahr 1800 gegen Pocken geimpft. In allen Ländern, in denen man die Menschen damit zu schützen begann, sank die Anzahl der Opfer der tödlichen Krankheit rasant und merklich. 

1869 geb es bereits ein Anti-impf-Magazin

Man konnte den Erfolg einer Impfung schon damals erklären, sehen und zählen. Doch die Freunde diverser Seuchen zeigten sich schon damals unbeeindruckt: In Tirol setzte der Rebell Andreas Hofer zu Beginn des 19. Jahrhunderts in seiner kurzen Herrschaft über das heilige Land die von der bayerischen Herrschaft eingeführte Pockenimpfungen aus - offenbar auf Anregung seines Mitkämpfers Joachim Haspinger. Dieser rabiate Kapuzinerpater hatte die Vakzinen schon länger bekämpft, wäre doch der reinen und naturwüchsigen Tiroler Seele damit "bayerisches Denken" eingeimpft worden. Diese Fußnote zeigt, dass der Tiroler Widerstand zu einem guten Teil auch reaktionäres Aufbegehren gegen die napoleonische Moderne war. Die war manchem in der Lederhose zuwider. Religiös verbrämtes Sektierertum gegen die Aufklärung, das gibt es auch heute. Bei der Demo am 16. Jänner in Wien sah man eine Frau mit einem Plakat, auf dem zu lesen war: "Jesus Blut heilt Euch, nicht die Impfung." 

In England erschien im Jahr 1869 mit dem "The Anti-Vaccinator" die wohl erste Zeitschrift der Impfgegner. In einer Art Leitartikel stellen die Impfgegner die Frage, warum das "Glaubensbekenntnis einer medizinischen Sekte" per Impfpflicht durchgesetzt werden sollte. 

Impfgegner im Jahr 1869.
Medical Library. Coll. of Physicians, Philadelphia

Impfungen wurden immer schon mit Juden assoziiert

Das wohl älteste bekannte Sujet von Impfgegnern stammt aus dem Jahr 1869: Es zeigt eine Mutter, die mit ihrem kleinen Kind im Arm flüchtet, vor einer Schlange mit der Aufschrift "Vaccination". Der stilisierte Tod hält sich im Hintergrund, doch er frohlockt. Suchte eine Weltanschauung einen Sündenbock, so wusste sie die Schlange zu benennen. Der deutsche Philosoph Eugen Dühring, ein rabiater Vordenker des nationalsozialistischen Antisemitismus, schrieb 1881: "Auch von dem Impfaberglauben selbst abgesehen, ist der Impfzwang immer ein Mittel, durch welches dem ärztlichen Gewerbe eine unfreiwillige Kundschaft zugeführt wird." Und natürlich ortete Düring "die Juden" hinter Impfungen und Impfzwang: "Der ärztliche Beruf ist wohl unter allen gelehrten Geschäftszweigen nächst der Literaten am stärksten von Juden besetzt." 

Nazi-Deutschland als "Anti-Vakzi-Nation"

Der Zugang der Nationalsozialsten zu Impfungen war von Zweifeln geprägt. Pragmatische Überlegungen für einen widerstands- und wehrfähigen "Volkskörper" sprachen für Impfungen. Die Idee einer Immunisierung der Massen widersprach indes dem Gedanken von Auslese und Abhärtung. Dass der "Herrenmensch" mit einer Impfung den "Untermenschen" schützt und vice versa, das war offenbar ein unerträglicher Gedanke. Julius Streicher schrieb im Jahr 1935: "Die Impfung ist eine Rassenschande". Hinter einer gesetzlichen Impflicht aus dem Jahr 1874 verortete Streicher jüdische Abgeordnete. Streichers Hetzblatt "Der Stürmer" illustrierte den Zeitgeist in einem Sujet: Ein Arzt mit Hakennase, er lächelt verschlagen, hält eine Spritze in der Hand. Seine Patientin hat ein Kind im Arm, sie sieht sehr deutsch aus und äußert Bedenken: "Mir ist so komisch zu Mut, Gift und Jud tut selten gut."  Der Deutsche Impfgegner-Ärztebund reimte im Jahr 1935:  „Deutsches Volk, hab‘ nichts mit dem Impfen gemein, / Es ist jeder wahren Gesundheitspflege Hohn, / Und willst Du nicht selbst Dein Totengräber sein, / Dann bekenn‘ Dich entschlossen zur Anti-Vakzi-Nation!“

Volksbegehren: rechte Reihen sind geschlossen

Der rechte Narrensaum im Lande hält auch im Jahr 2021 die Reihen hinter einem "Volksbegehren gegen Impfpflicht" dicht geschlossen. Diese Attitüde ist nur mit viel Fantasie von einem historischen Kontinuum zu trennen. Die Sektion Straßentheater der rechtsextremen Identitären zog im Sommer 2020 mit einer Gesichtsmaske von Bundeskanzler Sebastian Kurz durch die Straßen, ausgestattet mit einer großen Spritze und mit der rhetorischen Frage: "Wer will sich von Kurz impfen lassen?" 

Rührig ist auch die rechte Politseniorin Inge Rauscher mit ihrem Verein "Heimat & Umwelt". Rauscher wollte vor zwei Jahren mit einer EU-Austrittsbewegung in das EU-Parlament einziehen. Derzeit macht sie sich für das "Volksbegehren gegen Impfpflicht" stark. Die stark rechtslastige "Wegwarte", eine Publikation von Rauschers Initiative, wagt sich weit vor in das Metier der Medizin. In der Ausgabe vom September 2020 steht, "dass diese Coronaimpfung erstmals in der Geschichte der Menschheit in die Erbsubstanz jedes Einzelnen eingreifen und diese verändern wird." Und: "Was sollen Impfungen nützen gegen einen Virus, der noch nie nachgewiesen wurde?" Weiter hinten in dem Intelligenzblatt liest man, der Mobilfunkstandard "5G kann Coronaerkrankungen verursachen".

Die rechte Postille "Wochenblick" surft seit Wochen mit bewundernswerter Penetranz auf der Welle der Impfgegner. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine Horrormeldung über die Impfung verkündet wird. Das Blatt kann getrost als Echokammer an der Schnittmenge von FPÖ und Neuen Rechten bezeichnet werden. Nun gefällt man sich auch als Sprachrohr der "Querdenker", Corona-Verharmloser und Impfgegner. Den 31. Jänner, bei dem eine Freakshow als Demonstrierende durch Wien zog, bejubelt das Blatt als "Tag der Freiheit". 

Gandhi war gegen Impfungen und für Abhärtung

Der Sprung zum nächsten Impfgegner ist scheinbar weit: Die indische Unabhängigkeitsikone Mahatma Gandhi schrieb im Jahr 1924: "Der Impfstoff ist eine schmutzige Substanz und es wäre närrisch zu erwarten, dass eine Art Schmutz eine andere entfernen kann." Die Krankheit Pocken verklärte der Inder zu einer Art Stahlbad. Sie seien als "eines der besten Hilfsmittel der Natur dafür anzusehen, das im Körper angesammelte Gift loszuwerden und eine normale Gesundheit wiederherzustellen." So brutal und zynisch kann Gewaltfreiheit sein.

Brüder Gandhis im Geiste sind die Anhänger der "anthroposophischen Medizin". Die Ärztin Daphne von Bosch bringt das in einem Aufsatz für die Zeitschrift "Erziehungskunst" der Waldorfpädagogik auf den Punkt: "Ein Problem der Impfungen besteht darin, dass sie auf der festen Überzeugung beruhen, Krankheit habe keinen Sinn." Anthroposophische Medizin und Waldorfpädagogik basieren auf den Lehren des esoterischen Sektierers Rudolf Steiner. Der lehrte einst, dass man "gegen das Karma nicht heilen kann" - und vermutlich auch nicht impfen. Der Arzt Volker Fintelmann orakelt in der aktuellen Ausgabe der Erziehungskunst: "Soll durch das Coronavirus die Seele fester an den Leib angeschmiedet, sollen ihre Flügel zum Geist gestutzt werden?" Der Arzt rät nicht zur Impfung, sondern zu "spiritueller Immunologie." 

Leider sind die Erfolge der spirituellen Immunisierung, von der die Steiner- Jünger träumen, durchwachsen. Die ungeimpften Oberschichtsgören in den Waldorfschulen entpuppten sich in den letzten Jahren stets als wahre Superspreader, wann immer die Masern in Mitteleuropa ausbrachen.   

Taliban und Boko Haram: Islamistische Impfgegner

Fernab der Anthroposophie und nur etwas weiter nordwestlich von Gandhis Heimat hissen heute die islamistischen Taliban die Fahne des Impfverweigertums. Die bärtigen Herren im Karakorum vermuten hinter Impfungen eine westlich-jüdische Verschwörung, die Impfstoffe würden die biologische Reproduktion der Rechtgläubigen gezielt stören. 

Auch im Norden Nigerias hatten islamische Würdenträger Impfkampagnen kritisiert. Demnach würden "die Amerikaner" damit versuchen, junge Frauen unfruchtbar machen. Die Impfkampagnen der Regierung mussten in den letzten Jahrzehnten nach Übergriffen der blutrünstigen Islamisten von Boko Haram auf Impfteams immer wieder unterbrochen werden. Nigeria, Pakistan und Afghanistan sind die einzigen Länder, in denen die Kinderlähmung nach wie vor endemisch ist. Mit anderen Worten: Unschuldige Kinder zahlen die Zeche für islamistische Verschwörungstheorien.  

Was Impfgegner eint: reaktionärer Widerstand gegen die Moderne

Von Andreas Hofer zu den Taliban, von den Nazis bis zu Boko Haram und über Gandhi zu Anthroposophen und von dort in die Wiener Innenstadt zu Aufmärschen von Alt-Hippies und Neurechten und Querdenkern, die sich allesamt zu Opfern einer vermeintlichen Impf-Diktatur hochstilisieren. Was eint diese Leute? Eine Opposition gegen die Werte der Aufklärung, die über der Inferiorität der eigenen Weltanschauung hinwegtäuschen soll, ein Widerwille gegen solidarisches Handeln sowie die Lust am vermeintlichen Entlarven sinistrer Sündenböcke.

Das alles muss im Hinterkopf haben, wer eine Impfkampagne führt. Die inhaltlichen Kontroversen der Gegenwart sind ein Scheingefecht. Die gegenwärtigen Impfgegner schieben gerne und unter anderem das Argument einer zu kurzen Entwicklungsdauer des Impfstoffes vor. Dem kann man inhaltlich treffsicher begegnen - und trotzdem das Ziel verfehlen. Ideologen lassen sich nicht von Argumenten beeinflussen, die sie selbst nur zum Schein vorschieben. Die Begeisterung für Seuchen ist knallharte Ideologie. (Christian Kreil, 11.2.2021)

Christian Kreil bloggt seit drei Jahren rund um Esoterik, Verschwörungsplauderei und Pseudomedizin. Am 15. Februar erscheint sein Buch "Fakemedizin".

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