Auch Japan hat in den vergangenen Jahren gewaltige Summen in die Hochgeschwindigkeitszüge, genannt Shinkansen, gesteckt. Meist liegt die Geschwindigkeit bei rund 320 km/h.

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Der Zug sieht mehr aus wie ein übergroßes Projektil als wie ein Transportmittel: Die "Super-Bullet-Magnetschwebebahn", deren Prototyp vor wenigen Tagen in der chinesischen Stadt Chengdu vorgestellt wurde und dort seine erste Testfahrt absolvierte, soll 620 Stundenkilometer schnell sein und in den nächsten Jahren im Land zum Einsatz kommen.

Die öffentliche Präsentation soll den neuen Hochgeschwindigkeitszug auch im Ausland bewerben.
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Würde der Zug eines Tages in einem Vakuumtunnel fahren – was derzeit aufgrund fehlender Sicherheitsstandards und zu hoher Kosten noch nicht möglich ist –, könnte er laut Entwicklern sogar 1.000 km/h schnell fahren. Das Gefährt soll nicht nur der Entwicklung des Hochgeschwindigkeitsverkehrssystems Hyperloop des US-Unternehmers Elon Musk zuvorkommen, sondern bald schon den Flugverkehr zwischen größeren Städten überflüssig machen: Wer steigt noch in ein Flugzeug, wenn der Zug schneller, bequemer und günstiger ist?

Milliarden in Technologie

Die Super-Bullet-Magnetschwebebahn ist nur ein weiterer Baustein im internationalen Rennen um die schnellsten Züge. Seit Jahren pumpen Regierungen Milliarden in die Technologie und die dazugehörige Infrastruktur. Highspeed-Züge versprechen in Zeiten des Klimawandels CO2-Emissionen einzusparen, sicherer zu sein und gleichzeitig die Reisezeit zu verkürzen. Aber können sie ihre Versprechen auch halten?

In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der von Passagieren zurückgelegten Kilometer in Hochgeschwindigkeitszügen, also jenen Zügen, die mit mehr als 200 km/h unterwegs sind, weltweit um 350 Prozent gewachsen – angetrieben von China. Während Chinas Züge vor 20 Jahren durchschnittlich noch mit weniger als 70 Stundenkilometern durchs Land fuhren und es keine Schnellbahnstrecke gab, hat sich mithilfe milliardenschwerer Investitionen seither viel getan.

2008 starteten die ersten Hochgeschwindigkeitszüge, heute ist das Zugnetz das größte der Welt. Mehr als 37.000 Kilometer Highspeed-Strecke verbinden die größten Städte, auf denen die schnellsten Züge der Welt fahren. Die rund 1.300 Kilometer lange Strecke zwischen Schanghai und Peking legen die Züge schon heute in knapp vier Stunden zurück. Zum Vergleich: Für die rund 1.100 Kilometer zwischen Barcelona und Paris braucht selbst der französische TGV mehr als sechs Stunden. Bis 2030 sollen noch einmal 10.000 Kilometer hinzukommen. Zudem soll die Technologie des staatlichen Bahntechnikunternehmens CRRC künftig noch stärker exportiert werden.

EU: Am anderen Ende

In der EU hat die Entwicklung der Hochgeschwindigkeitszüge eine etwas andere Richtung eingeschlagen. Dabei startete auch hier die Entwicklung äußerst ambitioniert und symbolträchtig: Der in den 1990er-Jahren gegründete Eurostar sollte London und Paris stärker miteinander verbinden und den Flugverkehr reduzieren. In kaum mehr als zwei Stunden lässt sich die Distanz unter dem Ärmelkanal zurücklegen.

Seit 2000 investierte die EU mehr als 20 Milliarden Euro in den Aufbau eines Hochgeschwindigkeitszugnetzes, mehrere Highspeed-Strecken finden sich heute zwischen größeren Städten wie Madrid, Paris, Brüssel, Amsterdam und London.

Keine einheitliche Entwicklung

Mit China kann Europa freilich nicht mithalten. Einer Prüfung des Europäischen Rechnungshofs aus dem Jahr 2018 zufolge gibt es keinen realistischen Zeitplan für die Entwicklung eines Hochgeschwindigkeitszugnetzes in Europa. Die Entwicklung gleiche eher einem Fleckerlteppich aus unterschiedlichen nationalen Linien und Strategien – immerhin hat jeder Mitgliedsstaat selbst das letzte Wort beim Aufbau des nationalen Zugsystems.

Nun kommt mit der Pandemie ein weiterer Rückschlag auf die Branche zu. Der Eurostar könnte laut eigenen Angaben noch in diesem Jahr in die Insolvenz schlittern – vor allem wegen den zahlreichen Reisebeschränkungen brachen die Passagierzahlen ein. Während vor der Pandemie noch stündlich zwei Züge in beide Richtung zwischen London und Paris fuhren, sei es jetzt nur mehr ein Zug am Tag.

Viele weitere Hürden

Aber auch sonst stellen sich der Entwicklung superschneller Züge auf dem Kontinent viele Hürden in den Weg. Oftmals seien die Schnellzugverbindungen nicht einmal annähernd ausgelastet und häufig nicht wirtschaftlich, konstatiert der Europäische Rechnungshof. Lediglich eine Minute an Reisezeit einzusparen sei mit Kosten von bis zu 369 Millionen Euro verbunden. Häufig komme es zu Kostenüberschreitungen und Bauverzögerungen, während die durchschnittliche Geschwindigkeit der Züge am Ende meist bei 45 Prozent der Maximalgeschwindigkeit liege.

"Die Nachfrage ist bei vielen internationalen Schnellzugstrecken sehr begrenzt", sagt Christian Böttger, Bahnexperte an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. "Selbst wenn es gelingt, den Flugverkehr teilweise abzulösen, ist die Bahnstrecke deshalb nicht sofort wirtschaftlich." Die Bahn habe ihre Stärken dort, wo große Mengen oder viele Menschen in eine Richtung transportiert werden. Bei geringer Auslastung, zum Beispiel in dünn besiedelten Gegenden, sei die Bahn kaum noch wirtschaftlich und habe auch ökologisch keinen Vorteil mehr. "Das Prinzip gilt auch im internationalen Verkehr. Der Bau neuer Strecken, die oft Tunnel und Brücken erfordern, macht nur dann Sinn, wenn auch eine entsprechende Auslastung zu erwarten ist", sagt Böttger.

Einer Studie aus dem Jahr 2018 zufolge könnte der Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes in Europa bis 2025 auf einzelnen Strecken wie etwa zwischen Amsterdam und Frankfurt oder Amsterdam und Paris gegenüber dem Flugverkehr 16 beziehungsweise 21,6 Prozent an CO2-Emissionen einsparen.

Hohe Schulden in China

Mit China lässt sich das europäische Schnellzugsystem laut Böttger aber schwer vergleichen. "Das ist ein massiv kreditfinanziertes Strukturprogramm." Der Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes habe schon jetzt zu einer Verschuldung der Chinesischen Eisenbahn von mehr als 650 Milliarden Euro geführt, so Böttger. Die Weltbank schätzt, dass nur eine von sechs Hochgeschwindigkeitszuglinien alle laufenden Kosten und Schulden wieder hereinbekommt. Speziell einige Verbindungen zwischen vergleichsweise weniger großen Städten abseits der Ostküste seien bisher kaum wirtschaftlich gewesen.

Ohnehin scheint es der chinesischen Regierung bei den Projekten nicht immer um die Wirtschaftlichkeit zu gehen. Der Bahnausbau könnte einigen Experten zufolge auch politisch motiviert sein. Schon vor einigen Jahren protestierten Aktivisten gegen die geplante Schnellzugverbindung zwischen Hongkong und Guangzhou, die auch mit neuen Kontrollstellen einhergehen sollte. Mit Schnellzugverbindungen in den Westen des Landes könnte die Zentralregierung auch ihren politischen Einfluss stärken.

Nationaler Widerstand in EU

Es ist genau jene politische Komponente der Zugverbindungen, die der EU teilweise das Leben schwermacht. "Grenzüberschreitende Bahnstrecken werden oft auch politisch betrachtet, gerade in Regionen, wo die Grenzen lange umstritten waren, zum Beispiel an der deutsch-polnischen Grenze, im Elsass oder in Südtirol", sagt Böttger. Statt internationale Hochgeschwindigkeitsstrecken (HGV) zu diskutieren, sollten zuerst die Lücken in den nationalen HGV-Netzen geschlossen werden, da dort ein größerer verkehrstechnischer und ökologischer Nutzen zu erwarten ist, so der Experte.

Bis es ein weitläufiges Hochgeschwindigkeitszugnetz in Europa gibt, könnte es also noch eine Weile dauern. Laut der EU-Verkehrskommissarin Adina Ioana Vălean soll es quer durch Europa bis 2030 doppelt so viele und bis 2050 dreimal so viele Schnellzüge geben. Noch aber nagt die Pandemie an den Passagierzahlen. Und auch für den Eurostar ist bisher noch keine Rettung in Sicht. (Jakob Pallinger, 26.1.2021)