Intensität und ein besonderes Timbre waren die Stärken von Plácido Domingo, die hin und wieder auch heute noch durchschimmern.

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Die Geschichte von Plácido Domingo ist zweifellos auch die eines sympathisch Unersättlichen. Bereits die Tatsache, dass der Künstler, der am Donnerstag seinen 80. Geburtstag feiert, weiterhin aktiv ist, darf als Beleg für seine Obsessivität gelten. Obwohl Domingo vor Monaten an Corona erkrankte und im Spital lag, wird er am Freitag, wie es so seine Art ist, in einer Geisteraufführung an der Staatsoper in Nabucco zu hören sein.

Das Nicht-aufhören-Können hängt bei Domingo auch mit dem Nicht-aufhören-Müssen zusammen. Einen Star, der die Häuser füllt, lässt man nicht gerne unengagiert. Und Domingos Wechsel vom Tenorfach Richtung Baritonpartien eröffnete einst neue respektable Möglichkeiten der Karrierestreckung: Vater Germont in La Traviata und Simon Boccanegra – es waren durchaus Belege einer reifen Könnerschaft.

Intensiver Ton

Wahr ist ja auch: Nicht bei jedem großen Sänger schimmern dessen Qualitäten auch dann noch durch, wenn die goldenen Jahre perdu sind. Bei Domingo schon. Sein ab der Mittellage so plüschiges, sofort erkennbares Timbre, gepaart mit jener Intensität, die er selbst in Einzeltöne legt: Es sind Qualitätsmerkmale, die selbst in seiner Spätphase durchstrahlen.

Da gab es u. a. Open-Air-Konzerte mit Anna Netrebko und Tenor Rolando Villazón, bei denen selbst die Jungstars Mühe hatten, mit der Energie des Alten mit dem dunkel-süßen Sound mitzuhalten.

Rasender Otello

Ebendieser Klang war auch dafür mitverantwortlich, Domingo zu einem der Jahrhunderttenöre heranwachsen zu lassen. Ohne dieses gewisse Etwas (im italienischen und französischen Kernrepertoire) wird man in der Oper nicht zum Starsänger. Das Phänomen Domingo ist zudem eines der tenoralen Vielseitigkeit. Er war nicht nur Toscas Herzensmaler Cavaradossi, ein rasender Otello oder Carmens verzweifelter Mörder Don José, etwa einst an der Wiener Staatsoper unter dem Dirigat von "Diva" Carlos Kleiber.

Domingo erweiterte sein Repertoire wohldurchdacht auch Richtung deutsches Fach und landete bei Richard Wagner. Er war Parsifal, Lohengrin wie Siegmund. Er ließ alle staunen, wie kultiviert er diese Partien umzusetzen verstand. Auf dem Höhepunkt seiner Möglichkeiten war Domingo ein Phänomen der Repertoireflexibilität, das auch im populären Fach reüssierte.

Die drei Tenöre

Mit den Tenorkollegen Luciano Pavarotti und José Carreras bildete er die Klassiktrademark Die drei Tenöre, die ihre Reichweiten in Popdimensionen hob. Zur Unersättlichkeit und Vielseitigkeit dieses Musikers gehörten aber auch andere "Rollen". Domingo dirigiert gerne, auch leitete er die Los Angeles Opera und die Washington National Opera. Zudem fördert er junge Sänger mit seinem Operalia-Wettbewerb. Man meinte bisweilen, es gebe ihn mehrfach; rätselhaft, wie er all dies unter einen Künstlerhut brachte. Es schützt wohl die Kunst des Delegierens vor Gröberem ...

Auf der Bühne allerdings lässt sich nichts abgeben. Und mit den Jahren häuften sich Abende, an denen sich in die Bewunderung der Zuhörer auch ein Hauch von Mitleid mischte. 2014, bei den Salzburger Festspielen, sang sich Domingo neben einer überragenden Anna Netrebko als Graf Luna in Verdis Il trovatore in einen kräftezehrenden Zustand der Überforderung. Er überstand den Abend mit sprechgesanglichem Krisenmanagement und ließ sich für weitere Vorstellungen vernünftigerweise entschuldigen.

MeToo-Vorwürfe

Je länger der Sohn eines Zarzuela-Sängerpaares weitermacht, der gerüchteweise auch schon etwas älter als 80 sein könnte, desto schwerer wird es werden, aus dem Schatten dessen, was er einst war, zu treten. Auch an anderer Stelle muss er um seinen guten Ruf kämpfen.

Im Zuge der MeToo-Bewegung prasselten zahlreiche Vorwürfe sexueller Belästigung auf ihn herab. Zuerst dementierte Domingo, dann entschuldigte er sich. Schließlich beendete er seine Karriere an der Met und legte andernorts sein Amt als Operndirektor zurück.

Eine von der Oper in Los Angeles beauftragte Untersuchung kam zum Schluss, dass bestimmte Vorwürfe eines "unangemessenen Verhaltens" glaubwürdig seien. Gerichtsanhängig wurde nichts, ein fragwürdiges Image blieb. Dieses zu reparieren, wird der Rastlosigkeit des Geburtstagsseniors wohl weiter Flügel verleihen. (Ljubiša Tošić, 21.1.2021)