Wien –220 Tage währt das Leben eines Mastschweins. Dann sind die Konsistenz und Marmorierung seines Fleischs wie die Größe seiner Teilstücke nach dem Geschmack der Konsumenten. Maximal zehn Tage Spielraum gibt der Markt den Bauern, um den Zeitpunkt der Schlachtung hinauszuzögern. Bei Rindern sind es vier Wochen.

Kein Spielraum im Geschäft mit Schweinen: Jeder Tag, den die Tiere länger als elf Monate leben, kostet Ertrag.
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Jeder Tag länger kostet Ertrag. Schweine, die statt 110 Kilo 150 Kilo wiegen, lassen sich nur mit hohen Abschlägen verkaufen. Appetit auf drei Zentimeter Speck ums Kotelett haben wenige. Auch Stiere mit mehr als 500 Kilo gelten als Verlustgeschäft. Doch um ihre Aufzucht zu drosseln, braucht es ein bis zwei Jahre.

Keine Stopptaste

Fleischproduktion ist hochindustrialisiert. Wie eine Fabrik für Reißnägel stoppen lässt sie sich nicht, sagt Johann Schlederer. Mit 100 Millionen Euro beziffert der Chef der Schweinebörse den Schaden für die Bauern seit Beginn der Pandemie. Jeder Lockdown ließ die Preise um 15 Prozent einbrechen. Gab es für Produzenten vor einem Jahr 200 Euro fürs schlachtreife Schwein, sind es nun 140 Euro.

Die Hälfte der Einbußen sei Corona geschuldet, die andere der Schweinepest in Deutschland. Eine Million "überschwere Tiere" stehen dort in den Ställen. Sie werden in Europa zu Dumpingpreisen verschleudert.

Stalltüren schließen

Um ein Drittel rasseln die Preise für Rinder nach unten, rechnet Werner Habermann vor, der als Geschäftsführer der Erzeugergemeinschaft Gut Streitdorf derer 65.000 im Jahr vermarktet. 20 Betriebe seien erst jüngst aus der nicht kostendeckenden Produktion ausgestiegen. "Sie werden ihre Stalltüren nicht mehr aufsperren." Auch Schlederer beobachtet einen verstärkten Rückzug aus der Mast. Er bezweifelt, dass Österreich die Eigenversorgung mit Schweinen aufrechterhalten kann.

Preise für Rinder verfallen um ein Drittel. Das Fleisch der Schlachtkühe wird zu 60 Prozent exportiert. Aber auch in Frankreich, Spanien und Holland hat die Gastronomie keinen Bedarf.
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Gastronomie und Hotellerie liegen seit Monaten im Koma. Der Markt für Veranstaltungen, Familienfeiern und Geschäftsessen ist in Schockstarre. Tiefgefroren warten in Österreich auch Tonnen an Fleisch auf bessere Zeiten. Edelteile sind es vor allem, die in übervollen Lagern vor dem Verderb gerettet wurden. Bis zum Sommer werden sie ein Drittel ihres Werts verloren haben. Ob sie dann ausreichend Abnehmer finden, ist ungewiss. Zumal auch aus dem Ausland überschüssige Ware containerweise über die Grenze drängt.

Gastronomie als Achillesferse

Aus Just-in-time-Lieferung wurde Bevorratung, resümiert Adolf Marksteiner, Experte in der Landwirtschaftskammer. "Wer hätte je gedacht, dass Tourismus und Gastronomie unsere Achillesferse werden?" Mit ihnen stehe ein ganzes soziales Gefüge still. Nicht gemeinsam essen zu dürfen sei ein Kulturverlust.

Österreich ist eine Fleischnation. Kaum ein anderes Land hat, auf einzelne Konsumenten heruntergerechnet, einen höheren Verbrauch. Importiert wird ebenso emsig wie exportiert. Die weltweiten Wege der Rohstoffbeschaffung sind nicht weniger verschlungen als jene des Verkaufs.

Land der Schnitzel

In österreichischen Kantinen kommt gemeinhin jeden zweiten Tag Schwein, ein- bis zweimal die Woche Rind auf die Teller. In Skihütten gehen Schnitzel weg wie warme Semmeln. Ohne Wirte und Touristen ist das Geschäft freilich mager. Zumal auch die Konsumgewohnheiten außer Haus nicht jene in privaten Küchen widerspiegeln.

An den eigenen Herd gezwungen, kauften Haushalte 2020 im Lebensmittelhandel zwar um sieben Prozent mehr Fleisch als im Jahr davor, zeigen Analysen der Roll-AMA. Ihre schnelle Küche ließ jedoch nur Faschiertes und Geflügel boomen. Über Beefsteaks trauen sich nur wenige drüber. Der Bedarf an kostspieligem Wildbret ist quasi verpufft.

Das Steak ist Liebling der Wirte. Am eigenen Herd begnügen sich viele Österreicher lieber mit Hendl und Faschiertem.
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Der Handel mit Fleisch für die Gastronomie brach laut AMA-Erhebungen um fast ein Viertel ein. Der niederösterreichische Großhändler Christof Kastner sieht in seiner Branche Einbußen von 50 bis 80 Prozent. "Staatliche Hilfe wurde versprochen, aber die Regierung lässt uns seit Monaten im Regen stehen." Jeder rede über Regionalität, dennoch riskiere man gerade, dass am Ende nur wenige Branchenriesen überlebten.

Humpeln auf Krücken

Sein Konkurrent Metro ist zu 70 Prozent auf Hoteliers, Caterer und Gastwirte angewiesen. "Wir machen Krücken für Partner und versuchen gemeinsam weiterzuhumpeln", zieht eine Sprecherin nüchtern Bilanz. Dass an Rabatten vielfach kein Weg vorbeiführt, daran lässt sie keine Zweifel. "Sonst stehen wir mit beiden Beinen in der Lebensmittelverschwendung."

Franz Sinabell, Landwirtschaftsexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts, erinnert daran, dass Corona auch erfolgreiche direkte Partnerschaften der Bauern mit den Wirten schlagartig vernichtete – was schwer wiege. Denn sie waren mit hohen Anlaufkosten verbunden und sollten regionalen Produkten mehr Wert verleihen. Großküchen und Industrie bedienen sich nach wie vor primär internationaler No-Name-Rohstoffe. Engagierte Initiativen, das hintanzuhalten, werden nun vielerorts zurückgeworfen.

Lieferanten bezweifeln, dass Wirte nach dem Lockdown rasch an Kraft gewinnen.
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Bei den gewerblichen Fleischern macht Anka Lorencz, Chefin der Bundesinnung des Lebensmittelgewerbes der Wirtschaftskammer, Umsatzverluste von bis zu 80 Prozent aus. Reinen Thekenverkauf spiele es schon lange nicht mehr. Events, Feuerwehrfeste, Parties und private Spanferkelgrillereien seien für kleine und mittelständische Betriebe überlebensnotwendig. Mittlerweile hätten sie ihre Ersparnisse aufgebraucht. "Sie sind für jeden Euro Förderung dankbar."

Er federe einen Teil der Verluste in der Gastronomie durch Exporte bis nach Ostasien ab, sagt Norbert Marcher, mit 1.800 Mitarbeitern einer der größten österreichischen Fleischverarbeiter. Völlig kompensieren lasse sich der fehlende Außer-Haus-Konsum nicht. Keiner kann von heute auf morgen auf Supermärkte umsatteln, ergänzt Johann Nemetz, der in Niederösterreich mit 100 Mitarbeitern produziert. Die Hälfte seiner Fleischwaren verkauft er über Großhändler. Finanzielle Hilfen habe er bis auf Kurzarbeit bisher keine bekommen.

"Wie ein Keulenschlag"

Wiesbauer-Seniorchef Karl Schmiedbauer spricht von einer Katastrophe. "Wie ein Keulenschlag hat uns der dritte Lockdown getroffen." Nichts sei mehr planbar, jeder sei verzagt. Dazu komme die Angst, dass das Geschäft auch im Frühjahr nicht anspringe. Viel Ware liege in den Tiefkühlhäusern, nicht weniger "Ware" stehe noch auf der Weide. Von Lebewesen ist in der Branche selten die Rede.

170 der 850 Mitarbeiter des Wiener Familienunternehmens beliefern 3.000 Kunden aus der Gastronomie. 110 Beschäftigte seien in Kurzarbeit, da ihr Betrieb derzeit lediglich ein Viertel des bisherigen Umsatzes erziele. Wie andere Fleischverarbeiter lässt auch Schmiedbauer seine Belegschaft täglich auf Corona testen. Gearbeitet wird in Sechserteams. Das halte die Ausfälle bei Quarantänen gering, koste aber Effizienz. "Das sieht halt keiner."

Käsekrainer in der Krise

Zwei Drittel weniger Käsekrainer verkauft Radatz. Verkaufsleiter Johann Pichler erzählt von Absatzflauten an den Würstelständen. In den Supermärkten helfe höherer Absatz von Frischfleisch, dafür schwächle das Jausengeschäft bis hin zur heißen Leberkässemmel. "Unser Kerngeschäft ist der Einzelhandel. Aber auch hier fehlt die Butter aufs Brot."

Aufwind erleben Spezialisten für Biofleisch wie Sonnberg-Eigentümer Manfred Huber. Konsumenten greifen vermehrt zu Bio, das ließ seine Umsätze 2020 wachsen. Die Preispolitik der Supermärkte sei allerdings eine andere als jene der Wirte. Was dazu führt, dass die Deckungsbeiträge sanken.

Flaute an den Würstelständen: Laufkundschaft fehlt, der Stammgast aus dem umliegenden Büro ebenso.
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Hauszustellung und Take-away bringen den meisten Wirten nur Bruchteile ihrer verlorenen Umsätze zurück. Auch Fastfood-Riese McDonald’s, der Österreichs Bauern in guten Zeiten 25 Prozent der Vorderviertel ihrer Schlachtkühe abnimmt, macht das Kraut nicht fett.

Dass Gastronomen nach dem Ende des Lockdowns rasch zu Kräften kommen, glaubt keiner. Viele Wirte wollten unabhängig von den Vorgaben der Regierung erst wieder nach Ostern aufkochen. Andere sperrten für immer zu. Ihre Fachkräfte wanderten in Handel und Industrie ab. Ohne Tourismus sehen unzählige Betriebe keine Perspektive. Und bis dieser international in die Gänge kommt, könnten Jahre vergehen. (Verena Kainrath, 21.1.2021)