Mit fortschreitender Pandemie offenbart sich bei nicht wenigen Mitbürgern ein höchst unschönes Sozialverhalten – nicht erst seit in diesen Tagen aufgeflogen ist, dass Bürgermeister verschiedenster Couleur noch vor den Hochrisikogruppen gegen das Coronavirus geimpft worden sind. Doch nicht jedes rüpelhafte Benehmen, das andere gefährdet, kann der Rechtsstaat im Alltag ahnden – ein Überblick.

Szenen auf der Mariahilfer Straße während der Pandemie: Drängler, die sich nicht an den gebotenen Abstand halten, sind kaum belangbar.
Foto: APA / Roland Schlager

Anspucken: Zur Wochenmitte sorgte ein 33-jähriger Covid-Patient in einem Wiener Krankenhaus für Aufsehen, der Mitarbeiter attackierte und bespuckte. Ebenso griff er die einschreitenden Polizisten an. Der Mann wurde prompt in eine Justizanstalt überstellt – was kann Personen wie ihm blühen? Die vorsätzliche Gefährdung von Menschen durch ansteckende Krankheiten ist im Strafgesetzbuch unter Paragraf 178 geregelt – so ein Verhalten kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden.

Drängeln: Wer war in den vergangenen zehn Monaten nicht schon mit ihnen konfrontiert? Personen, die sich nicht an die gebotene Abstandsregel von einem Meter halten – und so im Supermarkt, in der Apotheke oder in den Arztpraxen ihr rascheres Drankommen erzwingen. Mit dem neuen Zwei-Meter-Gebot ab 25. Jänner per Verordnung flammt die Debatte über ein solches Benehmen zwar erneut auf, doch in der Praxis hält der Wiener Verfassungsrechtler Heinz Mayer Sanktionen für "kaum exekutierbar", denn: "Da müsste ein Polizist daneben stehen und den Drängler auf frischer Tat ertappen." Oder: "Man kann bei der Polizei mehrere Zeugen aufbieten." Doch wer tut sich das in diesen Zeiten an? Auch der Verfassungsjurist Peter Bußjäger von der Uni Innsbruck bestätigt: "Wenn man bei einem Drängler für eine Identitätsfeststellung erst die Polizei rufen muss, ist die Vollzugstauglichkeit der Regelung kaum gegeben." Laut Covid-Maßnahmengesetz, rechnet Bußjäger vor, konnten penetrante Drängler zwar bisher schon mit einer Geldbuße von bis zu 500 Euro belegt werden – doch sicher nicht beim ersten Vorfall. Heißt: Dafür müsste die Person mehrmals bei ihrem grenzüberschreitenden Verhalten erwischt werden.

Impfdosen abstauben: Auch angesichts von Bürgermeistern, die aktuell in den Pflegeheimen angeblich übrig gebliebene Impfdosen abstauben, ist der Rechtsstaat noch ziemlich hilflos – es sei denn, dafür wäre Geld geflossen und es gäbe dafür auch Zeugen, sodass Bestechung vorliegt. Denn auf schwere Fälle von Korruption stehen Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, doch vor Gericht müsste vorher abgewogen werden, welchen Wert finanziell wie epidemiologisch eine Corona-Impfung derzeit überhaupt hat – und "das ist juristisches Neuland", erklärt Verfassungsjurist Bußjäger. Zudem hat die aktuelle Priorisierungsliste des Gesundheitsministeriums fürs Impfen – Personal und Bewohner von Pflegeheimen sowie Krankenpersonal zuerst, dann alle über 80-Jährigen – nur Empfehlungscharakter. Um wegen Amtsmissbrauchs dranzukommen, müsste ein Bürgermeister "mit seiner Hoheitsgewalt" an eine Impfung gekommen sein, erklärt Bußjäger – und damit quasi seine Spitze angeordnet haben, obwohl noch andere Impflinge bereitgestanden wären. Er hat aber rechtlich keine Anordnungsbefugnis. Um wegen Betrugs belangt zu werden, bräuchte es wiederum den Nachweis, dass ein Pflegeheim in solcher Absicht schon vorsätzlich mehr Impfstoff bestellt hat, um örtlichen Politikern, Promis & Co das Handwerk legen zu können. Und über alledem schwebt dann die Frage: Wer packt darüber vor Gericht tatsächlich aus? Aus Bußjägers Sicht könnte es im Zuge des Impfens deshalb "noch notwendig werden", dass es hier "schärfere Bestimmungen braucht". Bedeutet: Es bedürfte noch eines Gesetzes, das "Vordrängen" unter Strafe stellt. Die Behörden hätten dann "einen Straftatbestand im Sinne des Verwaltungsstrafrechts" zur Verfügung.

Angesichts der Impfdrängler reagierte die Regierungsspitze zwar "zornig" und "wütend". Bisher stellten Kurz, Kogler & Co aber nur klar, dass die Landeshauptleute ein Auge auf die angelaufenden Impfaktionen haben mögen und nötigenfalls "durchgreifen" sollen – wie das konkret erfolgen soll, blieb bis dato ungeklärt. (Nina Weißensteiner, 21.1.2021)