Hofft auch, dass die Infektiösität von B.1.1.7 geringer ist als bisher angenommen: Simulationsforscher Niki Popper.

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Man müsse auch den Mut haben und sagen: "Wir wissen nichts", sagte der Simulationsexperte der TU Wien, Niki Popper, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) und weiteren Experten am Donnerstagvormittag. Das bedeute nicht, dass man hilflos sei. Es gebe aber eben Phasen in der Corona-Pandemie, in denen man mit der Unsicherheit umgehen müsse.

Eine hohe Unsicherheit gibt es im Moment bezüglich der Virusmutation B.1.1.7. Man wisse inzwischen zwar etwas mehr, müsse aber erst einmal zu verlässlichen Zahlen kommen, erklärt Popper. Derzeit wisse man lediglich, dass die Mutation infektiöser sei. In den bisherigen Studien reicht die höhere Infektiosität allerdings von etwa 50 bis 70 Prozent. "Wir hoffen, dass es weniger hoch ist als jetzt angenommen", sagt Popper. "Aber wir gehen davon aus, dass die Mutation im Februar beziehungsweise spätestens März die Oberhand gewinnen wird." Das bedeute nicht, "dass die Welt untergeht". Man müsse aber aufmerksamer sein.

Infektionszahlen sollen weiter sinken

Derzeit würden die Zahlen der Infektionen und der Hospitalisierungen zurückgehen, wenn auch "nicht so stark, wie wir uns das oft wünschen", sagt der Simulationsforscher. Schon in naher Zukunft könnten die Infektionszahlen vorläufig wieder auf unter tausend Fälle sinken. Das habe aber noch nichts mit der Mutation zu tun. Diese sei zwar in Österreich existent, aber noch nicht voll wirksam. Derzeit rechnet Popper mit keinem Anstieg der Infektionszahlen durch die Mutation. Dies könne aber passieren, sobald der Lockdown aufgehoben wird.

Die Mutation werde sich in jedem Fall ausbreiten, sagt der Simulationsexperte. Mit den verschärften Maßnahmen – Verlängerung des Lockdowns, FFP2-Masken-Pflicht in vielen Bereichen und Zweimeterabstand – lässt sich aus Poppers Sicht vor allem Zeit gewinnen. Auch künftig werde Testen, Tracen und Isolieren das Gebot der Stunde sein. Einen messbaren Effekt bei den Hospitalisierungen werde man ab 200.000 Impfungen sehen, prognostiziert Popper. Eine markante Reduktion erwartet er ab 2,5 Millionen Geimpften.

Nur keine "falsche Zufriedenheit"

Es wäre also völlig verfehlt, angesichts der sinkenden Infektionszahlen in eine "falsche Zufriedenheit" zu verfallen, gibt der Gesundheitsminister zu bedenken. "Der gute Trend ist kein Grund für Entwarnung." Laut Anschober soll die Virusmutation über ein dreistufiges Kontrollsystem unter Kontrolle gehalten werden. Erstens wird man in Österreich auf erweiterte PCR-Tests setzen. Alle positiven Ergebnisse sollen auf den Verdacht einer Mutation überprüft werden. Zweitens werde die Ausbreitung von B.1.1.7 weiter über das Abwasser in den Kläranlagen überprüft. Und drittens soll die Vollsequenzierung ausgebaut werden.

Christoph Bock, leitender Forscher am Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM), beschrieb die Sequenzierung anhand eines Apfelstrudelrezepts. Gegenüber Antigentests und PCR-Test sei die Vollgenomsequenzierung die genaueste Variante, weil sie minimale Abweichungen bei Tests feststellen könne. Durch diesen Vorgang könne die komplette DNA-Sequenz des Virus rekonstruiert werden. Da heißt: Man kann die genetische Ebene des Virus quasi in voller Länge vor sich ausbreiten und jede Veränderung festmachen. Der Prozess dauert folglich auch länger als bei den übrigen Testvarianten – nämlich eine Woche.

Über die Kläranlagen zu mehr Klarheit

Einige Hoffnung steckt in den heimischen Kläranlagen. Über diese versucht man die Pandemieentwicklung hierzulande zu überwachen und mit den übrigen Testmethoden abzugleichen, erklärt Bock. Die meisten Proben seien bisher hinsichtlich der Virusmutation negativ gewesen. Das deckt sich also mit den Ausführungen Poppers, wonach die Mutation in Österreich noch nicht flächenmäßig ausgebreitet ist, sondern vorläufig "nur" in einzelnen Clustern. In zwei Wochen will man sich mit Kläranlagenproben über die Hälfte der österreichischen Bevölkerung einen Überblick verschafft haben.

Auf Abwasseranalysen schwört auch der Infektiologe der Uniklinikums Salzburg, Richard Greil. In seinem Bundesland wurden Ende Dezember die ersten Fälle von B.1.1.7 festgestellt. Auch hier seien Abwasserproben zum Einsatz gekommen. Diese Analysevariante sei auch deshalb notwendig, weil über Tests in der Vergangenheit die Teilnahme nicht in dem Ausmaß erreicht werden konnte, in dem sie gebraucht wird. Wichtig sei auch die verstärkte Sequenzierung. Ohne diese sei gar nicht feststellbar, ob positiv Getestete zum ersten oder zum zweiten Mal infiziert sind. Laut dem Forscher Bock ließe sich so auch feststellen, ob durch die Impfung möglicherweise Resistenzen entstehen. (jan, 21.1.2021)