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[Anmerkung: Diese Rezension ist ursprünglich 2013 erschienen.]

2013 war ein Frank-Hebben-Jahr, und das Gustostückerl hab ich mir fürs Jahres-Best-of aufgehoben. Eine der 14 hier versammelten Kurzgeschichten wurde in diesem Band erstveröffentlicht, die anderen erschienen zwischen 2004 und 2012 in diversen Zeitschriften. Und sind größtenteils wieder Hebben pur, wie man den deutschen Autor seinerzeit mit "Prothesengötter" kennengelernt hat. Soll heißen: Der Mensch schrumpft zu einem kleinen Rädchen im Getriebe einer unüberschaubar großen Maschinerie – teils im übertragenen Sinne, teils sogar wortwörtlich zu verstehen. Die Szenarien reichen von Cyberpunk bis zu abgefahrenen Far-Future-Settings, in denen unsere Nachfahren nur noch als Biomechanoide fungieren.

Mensch-Maschinen

Wie zum Beispiel in "Krematorium": Dessen Erzähler ist ein Funktionselement in einer Fabriksstadt; körperlich wurde er auf einen Torso mit künstlichen Sinnesorganen reduziert und kann nach Bedarf diversen Arbeitsmodulen eingesetzt werden. Dürfte ähnlich wie die Borg-Königin in der Einschwebeszene von "First Contact" aussehen ... allerdings hat er keineswegs deren Entscheidungsgewalt. Als er als Individuum erwacht, ist das Ende absehbar. Und doch bleibt ein kleines bisschen Hoffnung, als ein paar beiläufig erwähnte Begebenheiten am Schluss eine neue Bedeutung erlangen.

Apropos absehbar: Das gilt auch für die Schlusspointe von "Cyst", schmälert aber nicht die Wirkung der Passagen davor. Es ist das Protokoll eines Exobiologen, der zur Erkundung fremder Planeten wechselnde Kunstkörper verpasst bekommt. Und posthuman geht es weiter: In "Muschelplanet" löst sich die Erzählerstimme auf, weil hier drei Raumfahrer zu einer Trinität verschmolzen sind. Und gänzlich irrsinnig präsentiert sich "Kinder der großen Maschine", eines der Highlights der Sammlung: Abkömmlinge von Menschen leben hier wie die Kasten eines Termitenstaats, mit einer gigantischen flammenspeienden Maschine als Hügel. Ich müsste lügen, wenn ich sagen wollte, dass ich den Plot komplett verstehe, aber auf jeden Fall bietet die Erzählung ein sinnliches Erlebnis erster Güte.

Archaische Zukünfte und andere

Wie es in Myra Çakans Vorwort richtig heißt, ist es die Bildersprache, die einen in Hebbens Erzählungen hineinzieht. Und die hat eindeutig eine archaische Qualität. Als wäre es SF, die unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs geschrieben wurde – an den irgendwie auch jener Krieg erinnert, der in "Das Lichtwerk" eine kleine Wahlfamilie in einer verlassenen Kuppelstadt zurückließ. Mag er auch mit Waffen ausgetragen worden sein, die das Gefüge der Realität beschädigt haben, so hinterlässt dieser Krieg doch eher den Eindruck von Dieselpunk als von Hightech. Ein ähnliches Feeling vermittelt "Schwarzfall": Geschrieben im Juhu!-Fortschrittston von "Die Welt in 100 Jahren", schildert es eine wunderbare Wechselstromwelt, die den Kollaps erleidet.

Im Vergleich dazu wirken die Cyberpunk-Geschichten relativ konventionell – etwa "Byte the Vampire" oder "Machina", dessen Erzählerin sich um ihren Hikikomori-Bruder kümmert. Immer noch gut, bloß fehlt mir bei den Hebben'schen Nahzukunftsentwürfen das Alleinstellungsmerkmal. "Elysian" zumindest war seiner Zeit voraus: Drei Jahre vor dem Skandal um die holländische Fake-Castingshow, in der Kandidaten um Spenderorgane betteln durften, entwarf Hebben ein TV-Spektakel, in dem Körperteile als Einsatz dienen und eine medizinische Behandlung als Gewinn winkt. Gute Schlusspointe.

Auch die Strahlenwüste von "Côte Noire" bietet im Grunde nichts wirklich Neues, Post-Apokalypsen gibt's schließlich genug. Aber dann ist da am Anfang und Ende der Erzählung dieses Bild von einem wahnsinnig gewordenen Wal, der ein Schiffswrack attackiert, und irgendwie gräbt sich die Geschichte damit doch ins Gedächtnis ein. In "Outage" wiederum funktioniert die moderne Welt noch in voller Perfektion. Leider. Es ist nicht das Jahrhundert von Moral und Fairplay. Die Raubtiere haben immer regiert, aber jetzt tragen sie ihre Fangzähne offen. Ein Fahrradbote, ein Manager und ein paar augmentierte Regierungsknechte werden in dieser Geschichte, die unserer Gegenwart nur allzu nahe liegt, in einen fingierten Terroranschlag verstrickt. Hebben hat "Outage" gemeinsam mit Thorsten Küper und Uwe Post geschrieben – hätte mich nicht gestört, wenn auch Heidrun Jänchen mitgemacht hätte, dann wäre die Conclusio vielleicht ein bisschen hoffnungsvoller ausgefallen.

Humor!

Hätte nicht gedacht, dass mir zu einer Geschichte von Frank Hebben mal das Wort "süß" einfallen würde, aber bei "Highscore" ist's passiert: Einem Stück Flash Fiction, in dem die ultrapathetisch übersteigerte Beschreibung einer zukünftigen Gamer-Welt zur Hommage an deren Ursprung gerät. Und auch das ist eine Erkenntnis aus "Maschinenkinder": Mag man zu Hebben in erster Linie auch düstere und im wahrsten Sinne des Wortes unmenschliche Visionen assoziieren – der Mann hat auch Humor.

Siehe etwa "Schwarz Weiß": Wer sagt, dass Hautfarbe für Roboter keine Rolle spielt? Diese Satire über eine vollautomatisierte Fabrik am Rande des Sonnensystems zeigt, wie Rassismus an gänzlich unerwarteter Stelle aufblühen kann. Und mag der Humor hier auch schwarz sein, so ist er in "Brause" sympathisch albern. Die Geschichte über die freundschaftliche Begegnung zweier Veteranen – eines Mechanikers und eines intelligenten Getränkeautomaten – hätte ich ung'schaut vermutlich nie Hebben zugeschrieben.

Aber das zeigt nur, dass man Autoren nicht mit den eigenen Erwartungen belasten soll. Denn trotz aller Begeisterung über Erzählungen wie "Kinder der großen Maschine" oder "Zeit der Asche #Rheingold" ist biomechanoider Wahnsinn nur an der Oberfläche das typische Hebben-Element; in Wirklichkeit ist es die erzählerische Reduktion aufs Wesentliche. Und diese Strategie lässt sich jederzeit auch auf andere Szenarien übertragen, wie die poetische Storysammlung "Lied der Grammophonbäume" zeigte. Was aber nicht heißt, dass ich mir nicht noch ein paar "Prothesengötter" und "Maschinenkinder" wünsche, bevor Hebben das Fach wechselt ...