1.009 Insassen beherbergt die Justizanstalt Josefstadt derzeit.

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966 – für so viele Häftlinge wäre im größten Gefängnis Österreichs, der Justizanstalt Josefstadt in Wien, eigentlich Platz. Tatsächlich sitzen dort aber 1.009 Personen ein, was eine Belegung von gut 104 Prozent ergibt. Und das Landl, wie es im Volksmund heißt, ist nicht der einzige Häfn, der knapp an oder gar über seinen Kapazitätsgrenzen operiert: Die Justizanstalt Wiener Neustadt ist zu knapp über hundert Prozent ausgelastet, Garsten zu hundert Prozent, Graz-Karlau zu 96 Prozent.

Anfrage der Neos

8.654 Insassen gab es zum Stich 19. November 2020 insgesamt, davon waren 1.220 Personen im Maßnahmenvollzug untergebracht. Diese Zahlen gehen aus einer Anfragebeantwortung von Interimsjustizminister Werner Kogler (Grüne) an Neos-Abgeordneten Johannes Margreiter hervor.

Hinzu kommt: Corona sorgt dafür, dass die Zahlen niedriger sind, als sie ohne Pandemie wären. Denn aufgrund der aktuellen Situation sei zahlreichen Häftlingen in spe ein Aufschub des Haftantritts gewährt worden. Wie viele Aufschübe es konkret gab, konnte das Justizministerium am Donnerstag auf Nachfrage nicht beantworten.

Personalmangel bei Justizwache

Auch die Situation in der Justizwache ist weiterhin prekär. Aufgrund einer Offensive zur Personalrekturierung wurden zwar seit 1. Jänner 2020 224 Personen neu in den Justizwachedienst aufgenommen. Es stünden auch "ausreichend Aufnahmewerber*innen zur Verfügung", schreibt Kogler in der Anfragebeantwortung. Von den insgesamt zur Verfügung stehenden 3.448 Planstellen sind derzeit jedoch nur 3.292 besetzt.

In den nächsten Jahren stehen in dem Bereich zudem einige Pensionierungen an: Von den 3.292 Justizwachebeamten sind 117 zwischen 60 und 64 Jahren, 413 zwischen 55 und 59 Jahren alt.

Angespannte Situation in Innsbruck

Besonders angespannt ist die Situation in der Justizanstalt Innsbruck, öfter dürfte es zu Reiberein zwischen Insassen und der Justizwache kommen. Justizwachegewerkschafter beklagten in der Vergangenheit den Einzug eines "Kuschelvollzugs". Seit Anfang des vergangenen Jahres wurde in 28 Fällen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Justizbedienstete eingeleitet, wovon "einige" noch anhängig sind, heißt es. Ein Bediensteter ist vorläufig vom Dienst suspendiert.

Justizministerin Alma Zadić (Grüne) habe sich "eingehend" mit der Situation in Innsbruck beschäftigt, schreibt Kogler. Vonseiten der Generaldirektion für den Strafvollzug seien anlassbezogene Gespräche zur konstruktiven Konfliktbewältigung geführt worden. Zudem sei das Personalvolumen "zu erhöhen", wiewohl sich die Bewerberzahlen "bedauerlicherweise im unteren Bereich halten". Man wolle durch eine Recruiting-Offensive Abhilfe schaffen, Supervision solle gefördert werden.

Schwerarbeiterregelung

Die Neos fordern Maßnahmen darüber hinaus: "150 Planstellen in der Justizwache sind noch immer unbesetzt", so der Abgeordnete und gelernte Rechtsanwalt Johannes Margreiter. Eine angemessenen Schwerarbeiterregelugen, die längst überfällig sei, und bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Familie wären gute Anreize für den Justizwacheberuf.

Aus der Anfragebeantwortung geht außerdem hervor, dass es in allen 28 Strafvollzugsanstalten Österreichs nur sechs Planstellen für Ärzte und 6,88 Planstellen für Seelsorger gibt – die Hälfte dieser Stellen in der Justizanstalt Josefstadt. Dem psychologischen Dienst sind insgesamt 63 Planstellen gewidmet, dem sozialen Dienst knapp 100.

Schriftlicher Antrag auf Seelsorge

In fast allen Vollzugsanstalten wird also die medizinische Versorgung nur über den amtsärztliche Dienst gewährleistet. Seelsorgerische Unterstützung müssen Häftlinge ausdrücklich fordern. "Früher ging ich in die Abteilungen, wo sich oft dann zufällig Gespräche ergaben. Derzeit ist ein Gespräch nur mehr über einen schriftlichen Antrag des Gefangenen möglich", schildert der pensionierte Pfarrer Samy Schrittwieser dem STANDARD.

Seit über 30 Jahren ist der 68-Jährige in der Gefangenenseelsorge tätig, zweimal pro Woche geht er in die Justizanstalt Wels in Oberösterreich. Und blickt mit großer Sorge auf seinen durchaus ungewöhnlichen Arbeitsbereich. "Wir werden leider immer weniger. Vor allem weil vonseiten der Politik die Gefangenenseelsorge als Stiefkind behandelt wird", zeigt er sich enttäuscht.

"Tat ächten, Täter achten"

Dabei seien die Gespräche hinter Gittern extrem wichtig: "Mir geht es primär darum, Spannung aus dem System zu nehmen." Immer noch gelte der Grundsatz "Dem Pfarrer kann man alles erzählen, der darf ja nichts weitersagen". Was eine andere Gesprächskultur mit sich bringen würde. "Es herrscht eine große Offenheit", so der Gefangenenseelsorger. Für Schrittwieser gibt es daher auch einen klaren Grundsatz: "Ich ächte die Tat, aber ich achte den Täter." (Vanessa Gaigg, Markus Rohrhofer, Michael Simoner, 22.1.2021)