Masken im Unterricht erzielen einen höheren Schutzeffekt als halbierte Klassen mit gestaffeltem Unterricht. Den höchsten Schutz gibt es, wenn das volle Programm aus Lüften, Masken, halben Klassen und Corona-Tests aufgefahren wird.

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Die einfachste Maßnahme hat den größten Effekt: Lüften ist das Mittel mit der größten Wirksamkeit gegen das Coronavirus in der Schule. Gefolgt vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und der Teilung von Klassen in kleinere Gruppen. Wenn dann noch regelmäßige Tests dazukommen, haben Sars-CoV-2 und seine aggressiven Mutanten sehr schlagkräftige Gegenspieler im pandemischen Wettkampf zwischen Mensch und Virus.

Das geht aus dem neuesten Policy-Brief des Complexity Science Hub Vienna und der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) über die Effektivität von Präventionsmaßnahmen für eine nachhaltige Öffnung der Schulen hervor. Ein Autorenteam aus Komplexitätsforschern und Epidemiologinnen von CSH, Ages, Med-Uni Wien und TU Graz hat dazu unterschiedlichste Szenarios für Volksschulen, Mittelschulen, Oberstufe und Gymnasien durchgerechnet und ausgehend vom theoretischen Nullpunkt, dass nämlich gar keine Maßnahmen gesetzt werden, über diverse Maßnahmenkombinationen bis zum "Vollpaket" errechnet, was wo unter welchen Bedingungen am meisten hilft.

Nicht gänzlich geklärte Rolle von Kindern

Generell gilt: Die kleinsten Ausbrüche gibt es in Volksschulen, was mit der Altersstruktur zu tun hat. "Inwiefern Kinder tatsächlich weniger zum Infektionsgeschehen beitragen, ist nach wie vor nicht gänzlich geklärt", erklärt Mitautorin Jana Lasser, die Komplexitätsforscherin am CSH und an der Med-Uni Wien ist, im STANDARD-Gespräch. Es steht laut Studie aber fest, "dass mit dem Alter des Kindes die Wahrscheinlichkeit eines asymptotischen Infektionsverlaufs abnimmt, was eine Untererfassung der Infektionen bei jungen Kindern zur Folge haben kann".

Ein weiterer Effekt, der größeren Ausbrüchen in Volksschulen entgegenwirkt, ist die Struktur und Organisation der Schulen. Volksschulen sind im Schnitt deutlich kleiner als andere Schultypen (8 Klassen mit 18 Kindern je Klasse im Vergleich zu Gymnasien mit 28 Klassen und 24 Schülern je Klasse). Das heißt, dass es zwischen den Schülerinnen und Schülern weniger Möglichkeiten zur Übertragung der Krankheit gibt. Darüber hinaus ist auch der Unterricht anders organisiert: In Volksschulen werden die Klassen die meiste Zeit von einer Lehrkraft unterrichtet. Dadurch gibt es auch für potenziell infizierte Lehrkräfte weniger Möglichkeiten, die Krankheit auf viele Volksschulkinder zu übertragen.

Präventionsmaßnahmen in allen Schultypen erforderlich

Die Berechnungen legen nahe, so heißt es in dem Policy-Brief, "dass Kinder im Volksschulalter im Vergleich zu Erwachsenen (> 18 Jahre) ein um 25 Prozent reduziertes Transmissionsrisiko haben". Zwischen dem 6. und 18. Lebensjahr steige es mit jedem Jahr durchschnittlich um etwa zwei Prozent. "Jüngere Kinder tragen demnach durchaus weniger zum Infektionsgeschehen bei, jedoch besteht selbst in Volksschulen ein nicht vernachlässigbares Transmissionsrisiko", sagt Lasser: "Das macht in allen Schultypen Präventionsmaßnahmen unbedingt erforderlich, um den Unterricht nachhaltig aufrechterhalten zu können."

Welche Maßnahmen schlagen die Expertinnen und Experten also vor, und wie wirken sie?

  • Keine Präventionsmaßnahmen Angenommen, man würde gar nichts tun. Dann würde in einem Gymnasium ein Ausbruch mit mehr als 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu mehr als 500 Infektionsfällen führen, unabhängig davon, ob ein Schüler (typische Ausbruchsgröße: 509 Fälle) oder eine Lehrkraft (518 Fälle) der Auslöser ist. In Volksschulen ohne jegliche Präventionsmaßnahmen führt der Lehrer-Indexfall zu größeren Ausbrüchen als der Schüler-Indexfall mit Medianen von elf beziehungsweise vier Fällen. Das heißt, die Hälfte der Ausbrüche wäre größer, die andere kleiner.
  • Lüften Quasi der Goldstandard zur Gefahrenabwehr im Klassenzimmer ist: Fenster auf und Frischluft rein! "Lüften stellt in allen Schultypen eine hochwirksame Maßnahme dar." Im Simulationsmodell wurde einmal pro Unterrichtsstunde gelüftet. Wenn etwa in Volksschulen systematisch gelüftet wird, dann wird in 90 Prozent der Fälle – im Vergleich zu einem Schulbetrieb ohne Präventionsmaßnahmen – die Ausbruchsgröße auf fünf (Schüler als Indexfall) beziehungsweise acht (Lehrer als Indexfall) reduziert, in der Oberstufe von mehr als 500 auf 31 beziehungsweise 55 Fälle.
  • Halbierung der Klassen Kleinere Gruppen hätten ebenfalls "eine deutliche Wirkung", schreiben die Autorinnen und Autoren. In den Modellen ist die Annahme, dass die Hälfte der Schüler tatsächlich zu Hause ist und nicht auch vor Ort in der Schule zur Betreuung.
  • Tragen von Masken Ein Mund-Nasen-Schutz für Schüler und Lehrer reduziert die Größe von Ausbrüchen "besonders deutlich, wenngleich auch zu einem geringeren Maß als Lüften oder die Halbierung der Klassengrößen und Staffelung des Unterrichts". Masken zusätzlich zum Lüften reduzieren die Ausbruchsgröße so, dass nur noch bis zu zehn Prozent der Ausbrüche zu mehr als fünf (Schüler Indexfall) beziehungsweise sieben (Lehrer Indexfall) Fällen führen. Die typische Ausbruchsgröße wäre dann eins. Das heißt, der Indexfall steckt in diesem Fall niemanden mehr an, "ein Ausbruch wurde also gänzlich verhindert". Für Gymnasien (mit älteren Schülern) müssten für diesen Effekt die Klassen außerdem halbiert werden.
  • Antigen-Testungen einmal pro Woche reduzieren "in erster Linie" die Größe von Ausbrüchen mit Lehrern als Indexfall, sie stecken in der Schule mehr Personen an, als wenn Schüler der Infektionsausgang sind. Bei ihnen bringen Tests wesentlich weniger, wenngleich die Ausbruchsgröße für beide Gruppen reduziert werden kann, bei zweimaliger Testung entsprechend mehr. Wird zusätzlich konsequent gelüftet und werden sonst keine Maßnahme gesetzt, kann mit wöchentlichen Tests in den meisten Schultypen die typische Ausbruchsgröße auf eins gesenkt werden, in den meisten Fällen führt ein Infektionsfall also zu keinem weiteren Folgefall, ein Ausbruch wird verhindert. Für ältere Schüler ab der Unterstufe sind dafür zwei oder mehr Tests pro Woche nötig, das verhindert allerdings regelmäßige Ausbrüche mit fünf oder mehr Fällen durch Lehrkräfte nicht.

Masken erzielen mehr Schutzeffekt als halbierte Klassen

Vergleicht man die Szenarios "Lüften + wöchentliche Testung aller + Masken für alle" und "Lüften + wöchentliche Testung + halbierte Klassen", dann zeigt sich, dass Masken eine größere präventive Wirkung entfalten als die Ausdünnung der Klassen, besonders bei älteren Schülern. Mit dem vollen Paket hingegen – Lüften, Maske, Staffelung, Tests – führen nur noch zehn Prozent der Ausbrüche durch Schüler zu zwei oder mehr Fällen, mit Lehrern zu maximal drei.

Folgende Handlungsempfehlungen leiten die Expertinnen und Experten also für die Schulen ab:

  • Präventionsmaßnahmen anpassen an unterschiedliche Schultypen und die epidemiologische Lage
  • Lüften und Masken beim Betreten und Verlassen der Klassen führen zwar zu einer "deutlichen Verringerung" des Übertragungsrisikos, "größere Ausbrüche kommen aber dennoch regelmäßig vor". Zumal eine infizierte Person typischerweise in einem von zehn Ausbrüchen mehr als zehn Personen ansteckt.
  • Wöchentliche Screenings mit Antigentests helfen, das Risiko zu reduzieren. Es muss aber der "überwiegende Teil" der Lehrer- und Schülerschaft teilnehmen. Wenn das nicht der Fall ist, "sollte das Lüften mit dem Tragen von Masken während des Unterrichts oder mit einer Staffelung des Unterrichts begleitet werden".
  • Mittelschulen, Gymnasien und Oberstufen brauchen gestaffelte Klassen und Masken im Unterricht, um die Wahrscheinlichkeit von großen Ausbrüchen zu reduzieren.
  • Volksschulen können mit Lüften und wöchentlichen Tests mit 100-prozentiger Beteiligung die Wahrscheinlichkeit für große Ausbrüche selbst bei hohem Infektionsrisiko in der Bevölkerung "hinreichend" verhindern. Das größte Risiko gehe in diesem Setting von Lehrkräften aus. Sie sollten daher in dem Fall ein- bis zweimal pro Woche, "vielleicht sogar noch häufiger", getestet werden.
  • Keine Masken und keine kleineren Gruppen würden in Mittelschulen, Gymnasien und Oberstufen schon bei mittlerem Infektionsgeschehen in der Gesellschaft bedeuten, dass große Ausbrüche in diesen Schultypen nur durch zumindest zweimal wöchentlich durchgeführte Tests reduziert werden könnten. Oberstufen mit älteren Schülern müssten vor dem Hintergrund eines hohen Transmissionsrisikos in der Bevölkerung das volle Schutzpaket bekommen, um größere Ausbrüche zu verhindern, also Screening, Lüften, MNS-Masken im Unterricht und Staffelung des Unterrichts.
  • B1.1.7 & Co sind noch zu wenig bekannt, um konkrete Handlungsempfehlungen abzugeben, aber: "Es ist davon auszugehen, dass alle Schutzmaßnahmen, die bei der vorangegangenen Variante effektiv waren, auch bei den Mutanten wirken." Eine höhere Infektiosität dieser Virusvarianten müsste ausgeglichen werden durch eine Kombination mehrerer Schutzmaßnahmen und eine höhere Testfrequenz, falls die bisherigen Tests für die neuen Varianten nicht sensitiv genug sind.

Hier sei es insbesondere wichtig, herauszufinden, durch welchen Mechanismus die neue Variante das Transmissionsrisiko erhöht, betont die Komplexitätsforscherin: "Falls weniger Viruspartikel notwendig sind, um eine Infektion auszulösen, dann werden Antigentests für die Prävention deutlich weniger effektiv, da diese Tests eine relativ hohe Viruslast benötigen, um eine Infektion zu detektieren. In diesem Fall würde sich die Zeit verlängern, in der Personen bereits infektiös sind, aber der Antigentest noch ein negatives Ergebnis liefert."

Das Forscherteam hat übrigens auch ein Online-Simulationsmodell entwickelt, mit dem Direktoren, Eltern und Schüler selbst ihre eigene Schule virtuell "nachbauen" und die Wirksamkeit der unterschiedlichen Präventionsmaßnahmen und Mixes für unterschiedliche Schultypen und -größen simulieren können.

Es kommt auf den Maßnahmenmix an

Um das Tool zu entwickeln, wurden Interviews mit vielen Direktorinnen und Direktoren sowie Lehrkräften in verschiedenen Schultypen geführt. "Dabei haben wir erfahren, dass ein großes Problem aktuell die Überzeugungsarbeit für verschiedene, oft unangenehme Maßnahmen wie Lüften – kalt! – oder das Tragen von Masken bei Eltern sowie Schülerinnen und Schüler ist", erzählt Jana Lasser: "Wir hoffen, mit diesem Werkzeug dazu beizutragen, klarzumachen, wie wichtig diese Maßnahmen sind und dass sie einen großen Beitrag dazu leisten, Ausbrüche in Schulen zu verhindern. Im Grunde haben wir mit unserer Forschung illustriert, was intuitiv ohnehin schon klar war: Viel hilft viel, was Maßnahmen zur Prävention der Ausbreitung von Covid an Schulen angeht. Jede einzelne Maßnahme ist sinnvoll, und wir sehen, dass mit dem entsprechenden Maßnahmenmix ein relativ sicheres Öffnen der Schulen möglich ist." (Lisa Nimmervoll, 25.1.2021)