Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und EU-Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) bei der Pressekonferenz am Donnerstag.

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"Verabscheuungswürdig" und "schändlich": Deutliche Worte fand Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) am Donnerstag bei der Präsentation der nationalen Strategie gegen Antisemitismus für jüngste Übergriffe auf den Chef der Grazer Kultusgemeinde und einen Rabbiner in Wien. Attacken, die leider keine Seltenheit sind. 550 antisemitische Vorfälle, von Beschimpfungen über Schmierereien an Synagogen bis zu körperlichen Angriffen, seien der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) allein 2019 gemeldet worden, sagte deren Präsident Oskar Deutsch bei der Pressekonferenz des Bundeskanzleramts.

Die Regierung will deshalb Antisemitismus in Chatgruppen bis hin zu den Stammtischen mit einem Paket von 38 Maßnahmen entgegentreten, wie Kogler ausführte. Eine Stabsstelle im Bundeskanzleramt soll diese koordinieren.

Bildung bis Justiz

EU-Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) nannte konkrete Bereiche, in denen man religiös und nationalistisch motivierten Antisemitismus bekämpfen will. Dazu zählt etwa die Bildung, nicht nur bei Professoren und Schülern, sondern auch bei Zivildienern, Bundesheerangehörigen und Beamten. Zudem geht es um den Schutz jüdischer Einrichtungen in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium, Nachschärfungen in der Strafverfolgung, Präventionsmaßnahmen im Bereich der Integration und die Dokumentation und den europaweiten Austausch von Daten. Für Letzteres wird auch auf die Vernetzung mit Meldestellen wie Zara oder jener der IKG gesetzt.

Edtstadler und Kogler wiesen auch auf antisemitische Verschwörungstheorien und Gewaltfantasien in der Szene der Gegner von Corona-Maßnahmen hin. Edtstadler räumte ein, dass das Demonstrationsrecht ein Verfassungsrecht sei, "aber viele nehmen es dort offensichtlich stillschweigend in Kauf, dass hier antisemitische Parolen verbreitet werden". Solche Gruppen müssten auch im Netz stärker beobachtet werden.

QAnon

Juristisch will man antisemitische Hetze auch über die Initiative gegen Gewalt und Hass im Netz bekämpfen. Zudem kann sich Edtstadler vorstellen, im Rahmen des Abzeichengesetzes gegen Symbole von Gruppen wie QAnon vorzugehen, die mit antisemitischen Narrativen Hetze betreiben. Gewalt beginne mit Worten, so Edtstadler, das habe man auch beim Sturm auf das Kapitol in Washington gesehen.

Das Ziel der Strategie ist aber auch die Förderung jüdischen Lebens. Daher soll eine Förderung von jährlich vier Millionen Euro ausgezahlt werden. Das ist eine Verdreifachung der bisherigen Gelder, die großteils in den Schutz jüdischer Einrichtungen in ganz Österreich flossen, und muss zudem nicht mehr regelmäßig beantragt werden, sondern wird gesetzlich verankert – das Parlament muss dies noch beschließen. Dass es nach 1945 überhaupt wieder eine so vielfältige jüdische Gemeinschaft in Österreich gebe, sei nicht selbstverständlich, so Deutsch: "Es ist ein Wunder."

Lob aus Brüssel

Lob für das Paket gab es auch von der Antisemitismusbeauftragten der Europäischen Kommission, Katharina von Schnurbein. Schon 2018 haben sich die EU-Staaten in einer Erklärung zu solchen Maßnahmen – auch im Rahmen bestehender Programme gegen Rassismus – verpflichtet. Österreich gehöre gemeinsam mit Rumänien und Deutschland zu den Ersten, die diese umsetzen. Auch die unter Corona-Leugnern populäre Relativierung oder Verzerrung des Holocaust, auch "Holocaust Distortion" genannt, soll auf europäischer Ebene unter dem Hashtag #protectthefacts dekuvriert werden, erzählte Schnurbein, die aus Brüssel zugeschaltet war. Gemeint sind Leute, die sich etwa mit Anne Frank oder Sophie Scholl vergleichen oder die Schutzmaske als Judenstern bezeichnen. (Colette M. Schmidt, 21.1.2021)