Viele Demonstranten verzichteten am Samstag auf Maske und Mindestabstand.

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Seit November 2019 nutzt die Polizei regelmäßig Gesichtserkennungssoftware – so auch im vergangenen Jahr bei Ausschreitungen in Favoriten, als türkische Rechtsextreme aus dem Umfeld der nationalistischen Grauen Wölfe eine Demonstration von kurdischen und linken Aktivisten angegriffen haben. Bei den Corona-Demonstrationen am Samstag, bei denen auch mehrere bekannte Gesichter der rechtsextremen Szene mitmarschiert waren, kam es zwar auch zu zahlreichen Anzeigen – vor allem, weil sich Demonstranten nicht an den Mindestabstand hielten und keine Masken trugen –, jedoch wurde die Software nicht eingesetzt. Die Polizei Wien erklärt die verschiedenen Vorgehensweisen so: "Der Unterschied liegt in der Gesetzesmaterie. In Favoriten wurden strafrechtliche Handlungen gesetzt, bei den Demos verwaltungsrechtliche", heißt es.

"Rechtsrahmen fehlt"

Die Grundrechts-NGO Epicenter Works kritisiert das scharf: Die Argumentation sei irrelevant, da sowieso "für jedwede Anwendung der Rechtsrahmen fehlt", sagt Pressesprecherin Iwona Laub. Die Polizei stützt sich bei der Verwendung auf das Sicherheitspolizeigesetz, da dieses die Formulierung enthält, dass "technische Hilfsmittel" bei der Kriminalitätsbekämpfung erlaubt sind. Das sei jedoch viel zu vage: "Da die Gesichtserkennung aber eine schwerwiegende Form der Massenüberwachung ist, reicht das absolut nicht aus." Auch die Neos sehen die allgemeine Verwendung derartiger Software kritisch, der Abgeordnete Niki Scherak verweist auf die hohe Fehleranfälligkeit derartiger Systeme. Die FPÖ und die SPÖ halten eine Verwendung bei strafrechtlich relevanten Fällen hingegen für gerechtfertigt, jedoch mit "Maß und Ziel".

Dokumentefälschung

"Die angeblichen 'schweren Verbrechen', die damit ausgeforscht werden sollten" – so hatte das Bundeskriminalamt die Verwendung der Software begründet –, "haben sich als Delikte wie Dokumentenfälschung et cetera herausgestellt", gibt Laub im Hinblick auf Informationen aus der Beantwortung parlamentarischer Anfragen zu bedenken. Und trotz zahlreicher derartiger Antworten habe das Innenministerium bisher nicht geklärt, wie viele ausgeforschte Personen falsch-positiv waren.

Die Software, die von den Ermittlern eingesetzt wird, stammt vom deutschen Unternehmen Cognitec Systems. Der Liefervertrag wurde mit der Atos IT Solutions und Services GmbH abgeschlossen, die immer wieder staatliche Aufträge erhält. Konkret werden Fotos aus Überwachungskameras oder anderen Aufnahmen mit einer internen Datenbank abgeglichen, die mehr als 600.000 Bilder von Personen enthält, die von der Polizei erkennungsdienstlich erfasst wurden. Das geschieht nachträglich, also nicht in Echtzeit.

Erkennung trotz Maske gut

Konkret setzt derartige Software auf unterschiedliche Muster im Gesicht, um es eindeutig zu identifizieren. Die Programme versuchen, eine Person zu erkennen, indem sie unterschiedliche Faktoren wie Abstände zwischen den Augen, der Nase und dem Mund untersuchen, oder aber dünklere Bereiche im Gesicht. Die aufgrund der Coronapandemie herrschende Maskenpflicht hat der Erkennungsrate der meisten Algorithmen im vergangenen Jahr einen Dämpfer verpasst, jedoch kam eine Studie im der US-Behörde National Institute of Standards and Technology (NIST) Ende 2020 zu dem Schluss, dass die Fehlerrate inzwischen wieder stark gemindert wurde, da die Algorithmen mittlerweile ausreichend mit Vergleichsdaten gefüttert wurden.

Generell ist Gesichtserkennung umstritten: Eine Studie des NIST von Ende 2019 fand heraus, dass Menschen mit mit asiatischem und afroamerikanischem Aussehen bei gängigen Systemen bis zu 100-mal öfter falsch identifiziert werden würden als weiße Personen. Deswegen rufen Kritiker dazu auf, Gesichtserkennungssoftware auf EU-Ebene zu verbieten. (muz, 21.1.2021)