Der UN-Vertrag zur Ächtung von Atomwaffen kann einen Paradigmenwechsel im Sicherheitsdenken einläuten, sagt der Friedensforscher Thomas Roithner im Gastkommentar.

Die UN-Generalversammlung debattierte die "Entfernung von Atomwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen aus den nationalen Waffenbeständen". Nicht erst kürzlich online, sondern vor genau 75 Jahren, Anfang 1946. Heute, am 22. Jänner 2021, passiert Historisches: Der Atomwaffenverbotsvertrag tritt in Kraft. Er verbietet so gut wie alles: Entwicklung, Test, Erwerb, Besitz, Stationierung, Aufstellung und Lagerung dieser Waffen. Eine breite Mehrheit von Staaten hat den Vertrag 2017 mit 122 Stimmen angenommen, und über 50 haben ihn bereits ratifiziert.

Unterschrieben wurde der Vertrag zum Verbot von Atomwaffen von mittlerweile 86 Staaten, die innerstaatliche Ratifizierung wurde in 51 Staaten abgeschlossen.
Foto: EPA / Maxim Shipenkov

Seit über 50 Jahren haben die Staaten einen Deal, nämlich den Nichtweiterverbreitungsvertrag. Jene, die keine Atombomben haben, beschaffene keine. Jene mit Atombomben rüsten diese in redlicher Absicht vollständig ab. Das mit dem gänzlichen Abrüsten der "haves" klappt nicht, und es stellte sich Ungeduld bei den "have nots" ein. Der umgekehrte Weg war mehrfach erfolgreich: Nicht die kleine Minderheit mit den Waffen entscheidet allein über deren Fortbestand, sondern alle sitzen am Tisch. So geht Demokratie in der internationalen Politik. Auch bei der Bio- oder Chemiewaffenkonvention, beim Übereinkommen gegen Antipersonenminen oder Streumunition sind sehr viele, aber nicht alle Staaten beim völkerrechtlichen Verbot dabei.

Uneinige EU

Der Pferdefuß: Die "nuclear nine" – die neun Atomwaffenstaaten – bewegen sich nicht. Dennoch ist der Vertrag keine Symbolik. Heute zeigt sich: Kaum ein Staat droht folgenlos offen mit Waffen, die durch einen internationalen Vertrag verboten wurden. Österreich kann als Vertragsstaat den Transit von Atomwaffen nicht erlauben.

Die EU-Staaten haben mehrheitlich zwei Hüte auf. Das EU-Parlament begrüßte vor den Verhandlungen die aktive Teilnahme daran. Als Nato-Mitglieder ließen sie sich von den USA an die Nukleardoktrin erinnern und boykottieren den Vertrag. Breiteste Bevölkerungsmehrheiten verlangen den Nuklearbann. Aber lediglich die neutralen Länder Österreich, Irland und Malta sind beim Verbotsvertrag an Bord. Die Wertegemeinschaft und Friedensnobelpreisträgerin EU ist uneinig.

Der Vertrag zum Atomwaffenverbot zeigt auch: Uno und Multilateralismus klappen auch. Bilaterale Verträge wurden gekündigt, beispielsweise jener zum Verbot von Mittel- und Kurzstreckenraketen oder der "Open Skies"-Vertrag. Der "New Start" zur Begrenzung strategischer Nuklearpotenziale läuft im Februar 2021 aus, und US-Präsident Joe Biden wird rasch mit Moskau reden müssen. Den Raketenabwehrvertrag gibt es längst nicht mehr, und auch das Atomabkommen mit dem Iran hat mehr als genug Fragezeichen. Oft wurde widerlegt, dass Atomwaffen heute für Stabilität sorgen.

Sicherheit neu denken

Österreich war in jeder Phase in der ersten Reihe. Beim Schmieden eines Bündnisses, beim Brückenbau und Verfassen des Vertrages – und für die Phase nach dem Inkrafttreten mit "guten Diensten". Der Vertrag als völkerrechtlich für die Mitgliedsstaaten bindendes Instrument ist auch für die Wirtschaft ein Signal: Banken schauen auf ihre Richtlinien hinsichtlich der Finanzierung von Atomwaffen. "Dont't bank on the bomb" (Verlassen Sie sich nicht auf die Bombe") lautet der Slogan der Bewegung.

Es gibt noch dicke Bretter zu bohren. Ein effektiver Vertrag muss glaubwürdig kontrolliert werden. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Es geht nicht nur darum, dass niemand heimlich eine Atombombe baut, sondern auch keinerlei Unterstützung anbietet oder als "Freundschaftsdienst" kurz zwischenlagert.

Staaten garantierten auch mit Waffen ihre Sicherheit. Viel zu lange schon. Aber niemand kann soziale, humanitäre, medizinische oder wirtschaftliche Schäden eines Atomwaffeneinsatzes schultern. Das Konzept der menschlichen statt der staatlichen Sicherheit rückt in den Mittelpunkt. Der Vertrag sieht daher auch Hilfe für Opfer und Umweltschäden vor. Der Atomwaffenverbotsvertrag kann auch einen Paradigmenwechsel im Sicherheitsdenken einläuten. (Thomas Roithner, 22.1.2021)