Jetzt, wo allerorten darüber zu lesen ist, welche massiven Einbußen es für Händler bedeutet, wenn sie das Weihnachtsgeschäft nicht oder zumindest nicht zur Gänze mitnehmen können, versteht man erst, wie genial der Vorschlag ist, den die Britin Linda Scott in Das weibliche Kapital macht.

Sie hat die – durchaus ein wenig häretische – Idee, dass Frauen nicht mit Argumenten, Appellen an Gerechtigkeitssinn oder Solidarität, sprich als vernunftbegabte, fühlende Wesen für ihre Rechte kämpfen sollen , sondern in ihrer Funktion als Konsumentinnen. Das ist bitter, nur muss man natürlich den Feind mit den eigenen Waffen und so ...

Es gibt keine geschlechtsneutrale Ökonomie: Linda Scott.
Foto: Rick Bern

Scotts Idee: Frauen, die in Westeuropa und Nordamerika über 75 Prozent der Verbraucherausgaben kontrollieren und deren Ausgaben weltweit einen Markt repräsentieren, der dreimal so groß wie Chinas BIP ist, sollten, in einer konzertierten Aktion, 20 Prozent weniger für die Weihnachtseinkäufe ausgeben. Und nächstes Jahr wieder 20 Prozent von den 80 Prozent und immer so weiter, bis das Patriarchat in die Knie geht.

Feministische Ökonomie

Scott, emeritierte Professorin für Entrepreneurship und Innovation an der Universität Oxford, gilt als Erfinderin der sogenannten Double X Economy, einer Methode, um die Rolle der Frauen in der globalen Wirtschaft zu untersuchen. Das weibliche Kapital ist das Ergebnis ihrer jahrelangen, weltweiten Forschung zu dem Thema.

Sie zeigt darin, dass es so etwas wie geschlechtsneutrale Ökonomie nicht gibt. Oder besser: dass eine geschlechtsblinde Wirtschaft nicht nur den einzelnen Individuen, sondern letztlich auch sich selbst schadet.

Es gibt schon lange eine feministische Ökonomie, die etwa den Blick auf weibliche Care-Arbeit lenkt. Die ist so etwas wie die unsichtbare Krücke einer jeden Volkswirtschaft: Ohne Frauen, die Kinder großziehen und ihren Männern "den Rücken freihalten", könnte keine davon bestehen.

Bezahlt oder auch nur als Geldwert erachtet wird diese Arbeit deshalb noch lange nicht. Scott geht weiter, wenn man so will, ist ihr gut 400 Seiten starkes Buch ein Rundumschlag: Sie zählt in deprimierender Gründlichkeit auf, was auf der Welt so alles schiefläuft – zumindest für Frauen.

Suche nach Alternativen

Von beinah archaisch anmutenden, aber immer noch praktizierten Frauentausch- und Heiratsregeln, der faktischen Enteignung von Frauen durch (ihre Ehe-)Männer über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und die sexistisch-biologistische Mär von den kleinen Frauengehirnen, die zur Mathematik gar nicht fähig sind, bis hin zur ungerecht verteilten Care-Arbeit, dem notorischen Gender-Pay-Gap und lausigen Kinderbetreuungsangeboten, die dazu führen, dass gerade im Westen immer weniger Kinder geboren werden (Deutschland und Österreich werden hier als besonders schlechte Beispiele gewürdigt).

Scott fährt aber nicht nur allerhand Datenmaterial auf, um zu zeigen, dass Frauen nirgends (nirgends!) auf diesem Planeten vollständig gleichberechtigt sind. Ihre These ist vor allem: Es ginge der Wirtschaft, es ginge den Menschen und der Umwelt besser, gäbe es wirtschaftliche Gleichberechtigung.

Ihre Argumentation ist schlüssig und von allerlei Datenmaterial und zahlreichen Studien belegt. In Kürze lautet sie: Nachhaltiges Wachstum ist möglich – einfach dadurch, dass man eine derzeit sträflich vernachlässigte Ressource in den Arbeitsmarkt integriert. Frauen, die zuhauf und oft überdurchschnittlich gut ausgebildet zu Hause herumsitzen, weil sie entweder von ihren Männern dort eingesperrt oder durch Betreuungspflichten daran gebunden sind.

Starre Ansichten

Bisweilen nervt Scotts missionarischer Eifer: "Der Weg liegt hell und klar vor uns, die Aufgabe drängt, und die Möglichkeiten sind groß. Lasst uns die XX-Ökonomie gemeinsam befreien, als Schwestern und Brüder, Seite an Seite." Und wenn sie etwa globalisierungskritische Aktivistinnen wie Vandana Shiva knapp und pauschal abkanzelt, merkt man, wie starr ihre Ansichten in gewissen Punkten doch sind, wie wenig sie letztlich bereit ist, das bestehende Wirtschaftssystem an sich infrage zu stellen.

Wenn man nun aber von der Prämisse ausgeht, es gebe zu eben diesem kapitalistischen, globalisierten System keine Alternative, kann man sich ihren Argumenten kaum verwehren. Zu offensichtlich verweigern Männer (und manchmal auch Frauen) Frauen den Zugang zum Kapital und (globaler) Wirtschaft. Schon allein deshalb sollte man Das weibliche Kapital dringend lesen – es zeichnet ein sehr deutliches Bild der Welt und des Systems, in dem wir leben. (Andrea Heinz, ALBUM, 23.1.2021)