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Homeoffice in Kombination mit Homeschooling ist nicht geschlechtsneutral, es wird über wiegend von Frauen bewältigt. Die Folgen der Krisenbewältigungsmaßnahmen sind Mehrfachbelastungen, Prekariat und Verarmung, Isolation und Zunahme von Gewalterfahrungen.
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Krisen, so wird argumentiert, können zur Neuorientierung beitragen, haben Veränderungspotenzial. Und vielfach wurde darauf hingewiesen, dass wie durch ein Brennglas gesellschaftliche Gegebenheiten deutlich werden.

So erscheinen auch hierzulande wissenschaftliche Untersuchungen über die Auswirkungen der Krise, und die während der Pandemie erhobenen Daten beweisen eines deutlich: Die Krise verschärft allerorts bestehende Ungleichheiten, auch geschlechtsspezifische.

Ein Beispiel aus der Medizin: Frauen und Männer sind von Covid-19 betroffen, aber Biologie und soziokulturelle Faktoren beeinflussen Risiko, Ausprägung, Verlauf und Folgen der Krankheit in unterschiedlicher Weise. So ist bisher bekannt, dass Männer ein höheres Risiko für schwere Verläufe und eine höhere Mortalität aufweisen.

Eine jüngst dazu veröffentliche Studie in Nature hat ergeben, dass eine grundsätzlich unterschiedliche Immunantwort bei Frauen und Männern dafür verantwortlich zu sein scheint. Männer leiden darüber hinaus häufiger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck und Lungenerkrankungen, die nachteilige Auswirkungen bei einer Covid-19 Infektion aufweisen. Diese Erkrankungen stehen in Zusammenhang mit Alkohol- und Nikotinmissbrauch, die ebenso beide häufiger bei Männern auftreten und in enger Verbindung zu geschlechtsspezifischen männlichen Verhaltensnormen stehen.

Höheres Infektionsrisiko im Job

Frauen hingegen scheinen über eine effizientere Immunabwehr zu verfügen. Allerdings sind sie mit anderen Risiken der Pandemie konfrontiert. Frauen sind im Rahmen ihrer formellen und informellen Betreuungstätigkeiten und Jobcharakteristika einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt. Frauen machen darüber hinaus den Großteil der älteren Bevölkerungsgruppe aus. Und es wurde deutlich, was feministische Ökonominnen wie Käthe Leichter schon vor 90 Jahren festgestellt haben: Gerade all jene Tätigkeiten, die als systemrelevant eingestuft werden, werden überwiegend von Frauen geleistet. Und diese werden nicht (informelle Betreuungstätigkeiten) oder schlecht bezahlt. Und zu Hause – so schrieb Leichter damals – ist für Frauen nur Schichtwechsel. Auch heute noch.

Homeoffice in Kombination mit Homeschooling ist nicht geschlechtsneutral, es wird über wiegend von Frauen bewältigt. Die Folgen der Krisenbewältigungsmaßnahmen sind Mehrfachbelastungen, Prekariat und Verarmung, Isolation und Zunahme von Gewalterfahrungen.

Karin Gutiérrez-Lobos ist Fachärztin für Psychiatrie und Vizerektorin für Lehre, Gender & Diversity der Med-Uni Wien.
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Dies reflektiert sich in der in Untersuchungen mehrfach festgestellten Zunahme psychischer Belastungen und Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen und Angststörungen besonders bei jüngeren Personen, von Armut Betroffenen und eben Frauen. Hier geht es nicht nur um eine Frage der Fairness und der Gleichbehandlung, sondern weit darüber hinaus. Ist doch bekannt, dass gerade die geschlechtsspezifische Forschung in der Medizin einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis von Krankheitsmechanismen und Behandlung bei Frauen und Männern geleistet hat.

Geschlecht bei Therapie mitdenken

Geschlechtsspezifische Faktoren müssen auch bei der Entwicklung von Therapien zur Behandlung von Covid-19 dringend und von Beginn an mitgedacht werden. Der Erfolg der Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie wird nicht zuletzt auch davon abhängen, in welchem Ausmaß und in welcher Qualität Daten geschlechtsspezifisch erhoben, analysiert und in gesundheitspolitischen wie ökonomischen Strategien berücksichtigt werden.

Mögen manche von uns Gleichberechtigung für durchgesetzt und abgesichert gehalten haben, so werden sie spätestens jetzt eines Besseren belehrt. Die Krise und die Auswirkungen der damit einhergehenden Biedermeierisierung bewirken einen Rückschritt in frauenpolitischen Angelegenheiten auf das Niveau von vor 30 Jahren, ist die deutsche Soziologin Jutta Allmendiger überzeugt. Dass das zumindest formal nicht mehr ganz so reibungslos vonstattengehen wird, haben wir all jenen Feministinnen zu verdanken, die sich meist gegen großen Widerstand für Frauenrechte eingesetzt haben und auf deren Schultern wir alle heute stehen.

Gleichberechtigung wackelt

Die Krise rüttelt an vielen in den letzten Jahrzehnten erkämpften Möglichkeiten der Teilhabe und Gerechtigkeit und führt uns vor Augen, dass alles, was erreicht wurde, verteidigt und weiterentwickelt werden muss. Vieles war schon vorher evident: die ungleiche Verteilung unbezahlter Care-Arbeit, Arbeitsbedingungen und Entlohnung des Gesundheitspersonals, berufliche Aufstiegschancen von Frauen, Väterkarenz.

Gleichstellungsfragen sind sowieso schon in den vergangenen Jahren ins Hintertreffen geraten, und ihnen ist im besten Fall mit einer "verbalen Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre" – wie der Soziologe Ulrich Beck es formulierte – begegnet worden. All diese Gleichstellungsfragen von medizinischen bis hin zu sozialpolitischen und ökonomischen treten jetzt tatsächlich verschärft zutage.

Wesentliche Fragen müssen beantwortet werden und sich strukturell in den Covid-19-Maßnahmen niederschlagen: Nützen finanzielle Hilfsprogramme Frauen und Männern in gleicher Weise? Sind die medizinischen Leistungen gleichermaßen für Frauen und Männer effizient? Werden all diese Fragen in den politischen Handlungsfeldern abgebildet? Gut abgesicherte Analysen dazu gibt es. Wir wissen es. Wir können also handeln – wenn wir das wollen. (Karin Gutiérrez-Lobos, 23.1.2021)