So fotografierte Heribert Corn den Generalskandidaten Richard Grasl nach seiner Niederlage gegen Alexander Wrabetz bei der ORF-Wahl 2016.

Foto: Heribert Corn

199 Tage noch, dann wissen wir, wer den ORF ab 1. Jänner 2022 führt – Österreichs weitaus größten und GIS-gebührenfinanzierten Medienkonzern unter öffentlicher Kontrolle. Am 10. August 2021 soll der ORF-Stiftungsrat mit ÖVP-naher Mehrheit den nächsten ORF-Generaldirektor bestellen. Das gute halbe Jahr bis dahin brummt der Küniglberg vor Gerüchten, Spekulationen und (oft vermeintlichen) Gewissheiten. Hier hören wir mit – und versuchen einzuordnen, was da brummt und warum.

Aufgeregt wurde diese Woche auf dem Küniglberg ein altbekannter Name herumgereicht. Richard Grasl ist 2016 schon einmal als bürgerlicher Kandidat gegen Alexander Wrabetz angetreten und dem amtierenden General unterlegen: Grasl war bis dahin Finanzdirektor des ORF, danach Berater. Er wurde Mitglied der Chefredaktion des "Kurier", zuständig vor allem für Online und Bewegtbild, seit 1. Jänner ist er nach Informationen aus dem "Kurier" stellvertretender Chefredakteur*.

"Keine Veranlassung." Grasl hat dem Branchenmedium "Horizont" zum ORF im November 2020 erklärt: "Ich sehe überhaupt keine Veranlassung für eine Kandidatur." Und: "Außerdem hat man mir hier in der für mich allerschwierigsten Lebenssituation eine Chance gegeben, und das vergesse ich den handelnden Personen und allen hier im 'Kurier' nie."

Kolportierte Polit-Kontakte. Nun wollen mehrere Menschen aus Stiftungsrat, ORF und Umgebung von Treffen Grasls mit ÖVP-Politikern wissen, in denen es um Ambitionen Grasls bei der Generalsbestellung 2021 gegangen sei. Kolportiert werden da insbesondere Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Kanzler Sebastian Kurz. Sobotka würde sich womöglich für Grasl verwenden, eine niederösterreichische Allianz, quasi.

"Das höre ich zum ersten Mal", erklärt Sobotkas Sprecher Rouven Ertlschweiger, vom STANDARD nach einem Treffen mit Grasl und Kurz gefragt, und: "Das ist kein Thema für uns." Im Umfeld des Kanzlers winkt man ab, da sei nichts dran. Und auch Grasl verneint auf Anfrage ein solches Treffen.

In der Dreierkombination dürfte es das Treffen tatsächlich nicht gegeben haben. Besuche bei Sobotka und im Kanzleramt womöglich doch. Grasl verneint viel grundsätzlicher auf die erste, allgemeinere Anfrage:

Er könne sich nicht daran erinnern, in ÖVP-Kreisen oder bei ORF-Stiftungsräten Interesse am ORF-Generalsjob deponiert zu haben, erklärt er. Hat sich seit seiner Erklärung im November 2020 etwas geändert an seinem Nein zu einer ORF-Bewerbung 2021? "Meinen Aussagen im 'Horizont' ist nichts hinzuzufügen", lässt Grasl wissen.

Nicht ausgeschlossen ist damit im Wortsinne: Die beim "Kurier"-Engagement "handelnden Personen" von außerhalb des "Kurier", die er in seinem "Horizont"-Statement gesondert erwähnte, könnten es sich auch anders überlegt haben und den Mann nun lieber auf dem Küniglberg sehen. "Kurier"-Mehrheitseigentümer ist Raiffeisen.

Nicht unser Mann. Doch mit den Ondits vom Küniglberg über das angebliche Vorfühlen Grasls war in den vergangenen Tagen meist die Anmerkung verbunden: In der ÖVP sehe man ihn nicht als ihren Kandidaten für den 10. August 2021.

Wer das ist, wird sich die ÖVP wohl nicht so bald erkennbar festlegen. Wozu auch? Je länger der amtierende ORF-General Alexander Wrabetz Hoffnung auf Wiederwahl hat, wird er sich in Österrreichs weitaus größtem und publikumsstärkstem Medienhaus weiter bemühen, im Sinne des letztlich wohl entscheidenden Bundeskanzlers und seiner Regierungspartei.

Die ÖVP kann den nächsten ORF-General faktisch alleine bestimmen, ihr nahe stehende Mitglieder des ORF-Stiftungsrats stellen seit der Koalition mit den Grünen die dafür nötige absolute Mehrheit. Die Koalitionsvereinbarung mit den Grünen soll eine Abstimmung unter den Regierungspartnern über die künftige ORF-Führung vorsehen.

Die Schlüsselfrage zum 10. August 2021 bleibt da also fürs Erste: Will die ÖVP ihre erste alleinige Generalsmehrheit im ORF seit Jahrzehnten für den Sozialdemokraten Alexander Wrabetz verwenden? Immerhin: Auch ein SPÖ-Chef und Bundeskanzler, Werner Faymann, wollte Wrabetz schon als ORF-Chef ablösen, und Wrabetz konnte schon mit praktisch allen politischen Couleurs gut zusammenarbeiten, auch bei Generalswahlen und Jobbesetzungen oder Jobumbesetzungen nach politischer Großwetterlage. Inzwischen vor allem mit Sebastian Kurz und der Kanzlerpartei ÖVP.

Keine Frage indes ist in Sachen Generalswahl: Wir werden noch viele tatsächliche und angebliche Kandidaten, Kolportagen und Kleinigkeiten bis zum ORF-Großevent im August 2021 beobachten können. Bleiben Sie dran – die ORF-Wahlforschung ist die Rubrik dafür. (Harald Fidler, 23.1.2021)