Rund um Triest leben Migranten im Freien.

Foto: MSF

Die Zivilbevölkerung versorgt die Migranten und Flüchtlinge mit Nahrungsmitteln.

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Sie haben keine winterfesten Unterkünfte, keine medizinische Versorgung und schon gar keine rechtliche Sicherheit: Auch während der Corona-Pandemie gelangten Flüchtlinge und Migranten über die Balkanroute und schließlich die italienisch-slowenische Grenze nach Italien. Die meisten von ihnen sind gestrandet und leben in ständiger Angst vor sogenannten Pushbacks über die Grenze, die laut EU-Recht illegal sind.

Vor allem in der norditalienischen Stadt Triest, die nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt ist, leben Flüchtlinge und Migranten unter widrigen Bedingungen, wie Ärzte ohne Grenzen (MSF) berichtet. Die Menschen versuchen oft, weiter ins Landesinnere – etwa zu einem Registrierzentrum in Udine – oder schließlich an die französische Grenze zu gelangen. Keine staatliche Behörde kümmert sich. "Rund 200 bis 250 Migranten werden etwa in Ventimiglia von der Zivilbevölkerung täglich mit Nahrungsmitteln versorgt", sagt Marco Bertotto, Leiter der humanitären Angelegenheiten für MSF Italien, im Gespräch mit dem STANDARD. Die Betroffenen schlafen oft in Zelten unter Brücken, am Fluss oder am Strand. Es gibt keine medizinische Versorgung.

Balkanroute als hohe Priorität

Die Menschen haben laut Bertotto oft keine Chance, einen Asylantrag zu stellen oder überhaupt den legalen Weg zu beschreiten. Denn die italienischen Behörden würden sie oft kurz vor oder nach der Grenze aufgreifen und zurück nach Slowenien und schließlich aus der Europäischen Union nach Bosnien-Herzegowina bringen – ohne jede Art von Verfahren oder Aufklärung. Auf diese Art wurden allein im Vorjahr rund 1.300 Menschen wieder über die Grenze gebracht. Am Freitag urteilte auch ein Gericht in Rom, dass die Rückführungen illegal sind, und ordnete an, dass ein 27-jähriger Pakistaner, der so aus der EU gebracht wurde, wieder nach Italien geholt werden muss, um seinen Fall zu klären. Den italienischen Behörden sei demnach sehr wohl bewusst, dass die zurückgedrängten Menschen in Kroatien misshandelt werden und schlussendlich wieder in Bosnien-Herzegowina landen.

Die neue Polizeichefin von Triest, Irene Tottoni, hat vor kurzem angekündigt, die Situation an der Balkanroute zu einer ihrer obersten Prioritäten zu machen. Sie will zudem wieder verstärkt auf die Kooperation mit den slowenischen Behörden setzen.

So gut das Wort Kooperation auf dem Papier klingt, bedeutete die Zusammenarbeit der Polizeibehörden laut Bertotto oft, dass noch mehr Kräfte eingesetzt wurden, um die Menschen an den Grenzen zurückzudrängen.

Unterschrift in Slowenien

Solche Rückführungen nach Bosnien-Herzegowina, wie sie von Italien aus unternommen werden, führen Slowenien und Kroatien seit vielen Jahren durch. Die slowenischen Behörden versuchen laut Auskunft von Migranten, wenigstens noch den Anschein der Legalität zu wahren, indem sie eine Unterschrift für eine Einwilligung zur Rückschiebung nach Kroatien von den Betroffenen verlangen. Allerdings ist das Dokument auf Slowenisch verfasst, und manche wissen offenbar gar nicht, was sie unterschreiben.

Kroatien geht brutaler vor. Die Migranten, die oft schon weit ins Landesinnere gelangt sind, werden per Polizeiauto zurück an die bosnische Grenze gebracht. In der Praxis bekommen nur Familien und Frauen die Chance, um Asyl anzusuchen.

Prekäre Lage in Bosnien

Tatsächlich wollen die wenigsten in Kroatien oder in irgendeinem anderen Land um Asyl ansuchen, weil sie wissen, dass ihre Chancen äußerst gering sind. Aber wenn sie den Wunsch äußern, um Asyl anzusuchen, müssten auch die kroatischen Behörden ihre Fälle einzeln prüfen und dürften sie nicht einfach zurückschicken. Dies findet in der Praxis aber nicht statt.

Diese Rückführungen nach Bosnien-Herzegowina verschärfen die Lage in dem Balkanstaat selbst. Denn Bosnien-Herzegowina hat weder die administrativen Möglichkeiten, Verfahren durchzuführen, noch wollen die Menschen in dem Land bleiben. Die Situation in den Lagern ist im Winter zudem so prekär, dass diese Rückführungen indirekt eine Bedrohung für die Gesundheit der Menschen darstellen. Deshalb verweisen auch bosnische Politiker immer wieder auf die Verantwortung der EU-Staaten und kritisieren, dass das Land, das selbst viele Probleme hat, zu einem Art "Parkplatz" für Migranten geworden ist, die eigentlich in die EU wollen und noch dazu aus den EU-Staaten Griechenland und Bulgarien kommen.

Zelte für Obdachlose in Lipa

Vorrangig wäre es deswegen, dass die EU-Staaten einen Datenaustausch mit Bosnien-Herzegowina und Serbien durchführen, damit die dort befindlichen Menschen wieder in jene EU-Staaten zurückgeführt werden, aus denen sie kommen, und endlich in ein geregeltes rechtsstaatliches Verfahren gelangen. An dieser Lösung wird allerdings in Brüssel nicht gearbeitet – und so bleibt Bosnien-Herzegowina "auf dem Problem sitzen".

Im bosnischen Lager Lipa an der kroatischen Grenze hat sich indes die Situation etwas entspannt, weil das bosnische Militär Zelte für die obdachlos gewordenen Migranten errichtet hat. Das Rote Kreuz versorgt sie mit Essen und anderen Hilfsgütern. Weiterhin fehlt es allerdings an einem Lager, das groß genug ist, um alle obdachlosen Migranten in Bosnien-Herzegowina aufzunehmen. So ein Camp wird von vielen in der Bevölkerung und auch von den bosnischen Politikern abgelehnt, die immer wieder auf die Verantwortung der EU-Staaten verweisen. (Bianca Blei, Adelheid Wölfl, 24.1.2021)