Sebastian Kurz hat in der Krise lange Zeit vor allem auf sich selbst vertraut – zuletzt aber sogar Wiens roten Bürgermeister Michael Ludwig an Bord geholt. Mit Ludwig hat Kurz eine Gesprächsbasis, aber kein Vertrauensverhältnis. Das liegt auch an Peter Hacker.

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Es sind fast beunruhigend freundliche Worte aus dem Mund des Bundeskanzlers. Pamela Rendi-Wagner, schwärmt Sebastian Kurz, sei eine wahre Expertin, fachkundig und kompetent. Die Gesprächsatmosphäre mit der SPÖ-Vorsitzenden: ausgezeichnet – und so vertrauensvoll, betont der türkise Regierungschef neuerdings gerne.

Und überhaupt: In allen, na ja, in fast allen Fragen, die Corona betreffen, sei man einer Meinung und komme zu ähnlichen Schlussfolgerungen. Lediglich in der Frage des Schulbesuchs gebe es divergierende Ansichten, da sei Rendi-Wagner zu populistisch unterwegs, als sie – wider besseres Wissen, wie Kurz annimmt – für ein Offenhalten der Schulen eintrat.

Auch im Büro der SPÖ-Chefin sind alle schaumgebremst. Seit Anfang Dezember sei die Gesprächsbasis mit dem Kanzler fantastisch. Inzwischen würden Rendi-Wagner und er regelmäßig telefonieren. Die neue Teststrategie der Regierung wurde in enger Abstimmung mit der SPÖ entworfen, auch die Lockdownverlängerung thront auf einem Schulterschluss. Und überhaupt: In der Krise spiele Parteipolitik doch keine Rolle, beteuern die Kommunikatoren der roten Bundespartei.

Gemäßigte Opposition

Man muss nicht weit zurückspulen, um zu verstehen, warum diese türkis-roten Schmeicheleien ungewöhnlich sind: ÖVP und SPÖ waren einander – spätestens seit Kurz die gemeinsame Regierung gesprengt hatte – spinnefeind. Wenn man bis vor kurzem mit Türkisen sprach, galten die Sozialdemokraten dort als weltfremde Traumland-Sozialisten. In der SPÖ wurde die "Kurz-Partie" als wertebefreite Machttruppe ohne Gewissen beschrieben – Krise hin oder her. Man fragt sich: Was ist über den Jahreswechsel passiert?

Rendi-Wagner selbst, muss man sagen, ist schon seit Ausbruch der Krise mehr Epidemiologin denn Sozialdemokratin – und kommt damit auch besser an als zuvor. Die leichten Zuwächse in den Umfragen bestätigen die SPÖ in ihrem Kurs der gemäßigten Opposition. Und dann kam plötzlich der Kanzler auf die Chefsozialdemokratin zu.

Aber nicht nur die Bundes-SPÖ wird von Kurz neuerdings umgarnt, auch die Bundesländer wurden an Bord geholt, nämlich alle – inklusive Wien, Kärnten und dem Burgenland. Die roten Hochburgen monierten kürzlich noch, ständig außen vor gelassen zu werden. Was von der Regierung beschlossen wurde, erfuhren die Länder in einer Videokonferenz – nachdem der Beschluss bereits stand und die Medien längst darüber schrieben. Ein Mitspracherecht gab es nicht.

Plötzlich alles anders

Vergangenen Sonntag war plötzlich alles anders. Da traten Bund und Länder, Regierung, Opposition und Fachexperten gemeinsam auf. Der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer, aktuell Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz, durfte reden. Die wirkliche Überraschung war aber: Mit Wiens Bürgermeister Michael Ludwig stand neben Kurz auch ein roter Landeschef auf dem Podium, um die Verlängerung des Lockdowns zu verkünden.

Aus Sicht von Kurz liegen die Vorteile der neuen Kooperationen auf der Hand: Der Lockdown nervt inzwischen selbst jene, die seine Verlängerung heftig befürworten. Je breiter jene Allianz ist, die unangenehme Botschaften überbringt, desto weniger werden sie nur der Regierung angelastet. Hinzu kommt: Wenn es ständig Querschüsse aus der Opposition gibt, droht die Stimmung in der Bevölkerung noch schneller zu kippen.

Aversion zwischen Kurz und Hacker

In der SPÖ ist das neue Liebäugeln mit dem türkisen Kanzler aber nicht unumstritten. Mit Ludwig hat Kurz eine Gesprächsbasis, aber kein Vertrauensverhältnis. Das liegt auch an Peter Hacker, dem roten Wiener Gesundheitsstadtrat, der sich im Rathaus mit Ludwig ein Stockwerk teilt. Die Aversion zwischen Kurz und Hacker beruht durchaus auf Gegenseitigkeit. Hacker nimmt sich kein Blatt vor den Mund und fühlt sich sicher, weil sich die Hauptstadt in der Corona-Statistik von Woche zu Woche stabilisiert.

Vergangene Woche führten Kurz und Ludwig ein langes und vertrauensvolles Gespräch. Am nächsten Tag schoss Hacker über die Medien scharf gegen den Kanzler. Im Umfeld von Kurz ist man sich nicht sicher: Ist es eine mit Ludwig abgesprochene Doppelstrategie, die die Wiener SPÖ hier fährt, oder hat Ludwig keine Kontrolle über Hacker?

In der Hauptstadt-SPÖ heißt es: Entscheidungen trifft nur der Bürgermeister – und Punkt. Ein Wiener Roter sagt aber auch: "Der Bundesregierung galoppiert die öffentliche Stimmung davon, jetzt braucht sie einen Blitzableiter, und wir lassen uns instrumentalisieren."

Fliegender Wechsel?

Besser als mit Ludwig kann Kurz mit dem Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser, dessen ruhige sachliche Art er schätzt. Völlig unberechenbar sei der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, der Dritte im Bunde der roten Landeschefs. Derzeit sei das Verhältnis zu ihm aber entspannt: Aufgrund seiner Krankheit lässt sich Doskozil derzeit vertreten.

Bei all der Eintracht wird immer lauter über einen sogenannten fliegenden Wechsel gemunkelt. Gemeint ist: Will Kurz womöglich bald die Grünen aus der Koalition werfen und stattdessen die Roten ins Boot holen? Das zumindest wird von allen Seiten vehement bestritten.

Selbst die Grünen geben sich entspannt. Vizekanzler Werner Kogler hatte mehrfach darauf gedrängt, die Länder und die Opposition an Bord zu holen. Mit einem nationalen Schulterschluss seien die Maßnahmen leichter durchzutragen. Bisher, so die grüne Erzählung, seien Bündnisse mit der Opposition am Bundeskanzler gescheitert.

Aus Fehlern lernen

Dass Kurz jetzt aber alle an Bord holte, sei seine Initiative gewesen, räumt man beim Koalitionspartner ein. Die Rückmeldungen aus der Bevölkerung und der Druck der Medien hätten das Umdenken schließlich beschleunigt. Etwas spöttisch wird von einem Grünen hinzugefügt: Man könne auch aus Fehlern lernen. Und "Spielchen" im Hintergrund gebe es ja noch immer.

Die große Frage ist: Wie lange wird der Zusammenschluss halten? Besonders optimistisch ist da eigentlich niemand. Es passt punktuell – wenn gerade alle einer Meinung sind. Oder wie Kurz es sieht: wenn Koalitionspartner, Opposition und Wissenschaft erkennen, dass er schon lange recht hatte mit seinen Ansichten.

Der Kanzler gibt sich da betont selbstbewusst – auch das wird den Sozialdemokraten landauf, landab bald wieder sauer aufstoßen. (Katharina Mittelstaedt, Michael Völker, 24.1.2021)