Foto: Screenshot/DER STANDARD
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Als 1986 als Folge einer Kette an menschlichem und technischem Versagen ein Reaktor des sowjetischen Atomkraftwerks Tschernobyl in die Luft flog, wurde die naheliegende Stadt Pripyat und weite Landstriche rund um den Unfallort evakuiert. Heute ist die Strahlung in vielen Arealen weit genug zurückgegangen, sodass regelmäßig Touristenführungen in die Sperrzone, bis nach Pripyat und nahe des Kraftwerks stattfinden.

Es hätte aber auch alles ganz anders kommen können, folgt man der alternativgeschichtlichen Darstellung von Stalker: Shadow of Chernobyl. In dem Shooter des ukrainischen Studios GSC Gameworld aus 2007 waren die Folgen des Nuklearunfalls deutlich folgenreicher für die Umgebung. Nicht nur wurde die "Zone" bald von teils grotesk mutierten Kreaturen bevölkert, sondern wertvolle, durch die Strahlung entstandene Artefakte lockten moderne Schatzjäger an. In diesem Szenario suchte der Spieler nach seiner Vergangenheit – und spürt dabei so manche düstere Geheimnisse und Komplotte auf. Heuer soll (nach dem Prequel Clear Sky und dem Handlungsabschluss in Call of Pripyat) der offizielle zweite Teil erscheinen. Zeit, mal wieder in die "Games von gestern"-Zeitmaschine zu steigen.

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"Kill Strelok"

Um der Handlung von Anfang an ein neugierstiftendes Element zu geben, beginnt der Spieler das Abenteuer ohne Erinnerung und einem Auftrag. Man ist Überlebender eines Unfalls und trägt ein Zeichen, dessen Bedeutung sich erst im späteren Verlauf des Spiels erschließt. Klar ist allerdings: Bisher wurde noch niemand mit diesem Zeichen lebend aufgefunden. Obendrein hat man auch noch einen Zettel im Gepäck, auf dem ein Auftrag steht: Töte Strelok.

Die Suche nach besagtem Strelok, über den man aufgrund der unfallbedingten Amnesie erst einmal nichts weiß, ist der rote Faden der Handlung, die einen von einem kleinen Lager in einem recht sicheren Zeil der Zone immer weiter nach Norden bis Pripyat und das Kraftwerk führt. Das allerdings nicht in abgegrenzten Levels, sondern in einer frei erkundbaren Welt (wenn auch mit festen Übergängen zwischen den Kartenteilen), in der man beliebig auf Erkundungstour gehen und diverse kleinere und größere Nebenaufträge annehmen kann.

Pionier

Stalker gehört damit zu den Pionieren der modernen Open-World-Shooter, noch bevor mit Farcry 2 ein großes, etabliertes Franchise auf den Zug aufsprang. Ein paar Inspirationen hat man sich dabei von Open-World-Rollenspielen wie The Elder Scrools Morrowind bzw. Oblivion geholt. Allen voran diverse Gegenstände, die sich auf die Eigenschaften des Spielers auswirken. Insbesondere zu erwähnen sind hier die Artefakte, die teilweise einfach in der Gegend herumliegen und teilweise nur an schwer und unter großer Gefahr zugänglichen Orten zu finden sind. Sie besitzen, mit wenigen Ausnahmen, eine Kombination aus positivem und negativem Effekt, wenn man sie anlegt. "Geboren" werden sie von Anomalien, die sich über die Karte bewegen und Spieler, NPCs und Feinde gefährden.

Dazu kommt ein Inventar, das weniger durch seine Größe, als durch ein Gewichtslimit beschränkt wird. 50 Kilogramm kann man ohne Probleme mitschleppen. Darüber hinaus gibt es Einbußen für die Kondition, bis hin zum kompletten Stillstand bei Überladung. Weiters lässt sich mit fast jedem nicht feindlich gesinnten Computercharakter handeln und erschossene Feinde können geplündert werden. Und es gibt mehrere Fraktionen, deren Einstellung gegenüber dem Spieler sich mit dessen Handlungen ändern kann.

Foto: Screenshot/DER STANDARD

Viel Atmosphäre...

Doch zurück zu den atmosphärischen Qualitäten: Stalker setzt auf das bewährte "From Zero to Hero"-Prinzip. Zu Beginn hat man keinerlei Ausrüstung und muss erstmal Aufträge für seinen Retter Sidorovich erfüllen, bei dem man in der Schuld steht. Er ist in der Zone eine der wichtigsten Quellen für Informationen und Güter von "außen". Das ist deswegen von Bedeutung, weil das Militär kurz vor dem zeitlichen Beginn des Spiels die Zone abgeriegelt hat und auch drinnen immer stärkere Präsenz zeigt. Die Hintergründe dessen – es geht um ein wissenschaftliches Geheimprojekt – offenbaren sich mit dem Fortschritt der Haupthandlung.

Es macht aber auch so Freude, auf Erkundungstour zu gehen. Dabei sollte man seine Ausrüstung und Ressourcen allerdings gut abschätzen, denn selbst im zweiten der vier Schwierigkeitsgrade ist Stalker stellenweise ein sehr forderndes Spiel. Zudem lauert abseits der üblichen Pfad meist auch größere Gefahr. Ein wichtiges Element für die Glaubwürdigkeit der Welt.

und ein wenig Altersschwäche

Technisch merkt man dem Game sein Alter mittlerweile an. Die Interaktionsmöglichkeiten mit NPCs sind neben dem Handel auf einfache Dialoge beschränkt, Sprachausgabe gibt es nur bei einzelnen Szenen. Die KI der Gegner ist im Vergleich zu vielen aktuellen Games sehr rudimentär ausgeprägt, einzig das Rudelverhalten mancher Tiere sieht auch heute noch glaubwürdig aus.

Allerdings heißt das nicht, dass man überall einfaches Spiel hat. Die Entwickler kompensieren das KI-Defizit teilweise mit der Anzahl der Widersacher, mit psychokinetischen Superkräften mancher mutierter Widersacher und teilweise damit, dass die Gegner mit voranschreitender Handlung immer mehr zu "Munitionsschwämmen" werden. Dazu kommt noch, dass Munition in Stalker immer wieder auch zu einer knappen Ressource wird.

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Hier kommt dann auch eine der größeren Unannehmlichkeiten zu tragen. Wer einen größeren Munitionsvorrat anlegen will, muss zwangsläufig zu einem der beiden Händler – Sidorovich und einem Barkeeper weiter im Norden der Zone. Bei gefallenen Gegnern oder in Stashes anderer Stalker reicht der Nachschub oft kaum fürs nächste größere Gefecht. Dazu bleibt während den Kämpfen kaum Zeit, im altbackenen Inventar herum zu arbeiten, um die Hauptwaffe auf einen Schießprügel zu wechseln, für den man noch Munition hat. Denn man kann lediglich eine Pistole und eine automatische Waffe direkt mitführen, der Rest verweilt im Rucksack.

Wer nun denkt, einfach die Karte öffnen und auf Sidorovichs Untergrundbehausung oder die Militärbasis, in der sich die Bar befindet, klicken zu können, irrt gewaltig. Eine Schnellreisefunktion bietet Stalker nicht. Wer einkaufen oder Aufträge der beiden einflussreichen NPCs abschließen will, muss dort zu Fuß hin, was gut und gerne auch einmal zehn Minuten oder länger in Anspruch nehmen kann.

Im Bann der Zone

Dennoch (oder für Hardcore-Freunde: auch deswegen) zieht einen die Zone nach und nach in ihren Bann. Trotz aller Defizite wirkt die Welt lebendig und glaubwürdig. Dafür sorgen auch Elemente wie das dynamische Wetter und die großartige akustische Gestaltung. Ein Lob verdient sich weiters das Waffenhandling, das für damalige Verhältnisse sehr ausgereift war und passabel gealtert ist. Und so schwach die KI in Kämpfen sein mag, sorgt sie doch immer wieder für Interaktionen zwischen computergesteuerten Figuren, Freund wie Feind, die dem Spiel Leben einhauchen.

Kaum etwas ist befriedigender, wie ein Gegner, der mitten in einem Kampf in eine "Whirligig" gerät, die ihn in die Luft befördert und Kraft ihrer Hurrikan-artigen Fliehkräfte zerfetzt oder durch die Gegend wirft. Neben der teils trostlosen und teilweise bizarren Natur der Zone versprühen auch Gebäude und Innenraumlevels immer noch viel Atmosphäre. Zurück zu kommen ins Lager, vorbei an Stalkern, die am Lagerfeuer einem Kumpanen und seiner Gitarre lauschen, hat nach einer Weile etwas von heimkommen, speziell wenn man gerade eine gefühlte Ewigkeit durch die Landschaft gestapft ist und eben noch ein Rudel wilder Hunde mit Müh und Not abgewehrt hat.

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Mods, Mods, Mods

Last, but not least, lässt sich das Spiel modden. Und die große Anhängerschaft von Stalker hat dem Game in den vergangenen 14 Jahren nicht gerade wenige Zusätze beschert. Von grafischen Aufwertungen über neue Storyinhalte und Gegenstände bis hin zur Einpflegung frischer Features – darunter auch das Schnellreisen – reicht die Auswahl. Ein guter Teil der Modifikationen funktioniert auch mit der Steam-Version des Games.

Fazit

Wer fordernde Shooter mag und bereit ist, sich auf ein Open World-Abenteuer einzulassen und einem Spiel die eine oder andere Altersschwäche zu vergeben, der wird mit dem ersten Stalker-Game viel Freude haben. Das Szenario ist einzigartig und die Umsetzung in fast jedem Aspekt gelungen. Und wer es gerne etwas moderner und hübscher hätte, kann einfach mit Mods nachhelfen. (Georg Pichler, 24.1.2021)