Im Handelsvertrag zwischen der EU und Großbritannien sind Schiedsgerichte vorgesehen, die bei der Vollstreckung weitreichendere Kompetenzen als bei herkömmlichen Schiedsverfahren haben.

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So kann man sich irren: Der Handelsvertrag mit der EU werde "der einfachste in der Menschheitsgeschichte" werden, hatte 2017 der damalige britische Handelsminister Liam Fox verkündet. Trotz solcher Sprüche konnten die britischen Verhandler ihre Erleichterung nicht verbergen, als sie am 24. Dezember mit Ringen unter den Augen "Happy Brexmas" verkünden durften.

Gespießt hat es sich am Ende an den Themen Staatshilfen, Fischereirechte und der Nordirland-Frage. Ein anderes Konfliktthema, den Streitbeilegungsmechanismus, hatte man zuvor bereits klammheimlich aus dem Weg geräumt. Denn auch die EU-Kommission hatte einsehen müssen, dass an Schiedsgerichten kein Weg vorbeiführt, wenn es um die supranationale Durchsetzung wechselseitiger Rechte geht.

Flexible Schiedsgerichte

Die europäischen Träume von einem multilateralen Investitionsschiedsgerichtshof, der Ad-hoc-Schiedsgerichte verdrängen sollte, scheinen an der mangelnden Akzeptanz durch die Handelspartner wie etwa Japan zu scheitern. Stattdessen greift man wieder zu den in den letzten Jahren verteufelten Schiedsgerichten und räumt ihnen sogar noch mehr Kompetenzen ein.

Nach 30-tägigen politischen "Konsultationen" wird ein Schiedsgericht bestehend aus drei Schiedsrichtern gegründet. Dafür sind Listen mit Kandidaten aus der EU und Großbritannien vorgesehen, die von den Parteien benannt werden können. Die geforderte "Handels- und Streitbeilegungskompetenz" deutet darauf hin, dass dabei weiter auf jene Praktiker zurückgegriffen wird, die man auch bei herkömmlichen Investitionsschutzstreitigkeiten als Schiedsrichter beauftragen würde.

Ohne Berufungsmöglichkeit

Das Schiedsgericht entscheidet dann innerhalb von höchstens 160 Tagen – im Gegensatz zum Streitbeilegungssystem der Welthandelsorganisation (WTO), an das es sonst angelehnt ist, sogar ohne Möglichkeit einer Berufung.

Stattdessen haben die Streitparteien die Möglichkeit, zu einem vorläufigen Bericht des Schiedsgerichts binnen 14 Tagen Stellung zu nehmen. Nach nur weiteren zehn Tagen erlässt das Schiedsgericht dann seine endgültige Entscheidung.

Beratungen des Schiedsgerichts sind vertraulich. Abweichende Meinungen, sogenannte "Dissenting Opinions", werden nicht veröffentlicht. Eine höchst bedenkliche Bestimmung, wenn man bedenkt, dass gerade die mangelnde Transparenz einer der Hauptkritikpunkte an den herkömmlichen Schiedsverfahren war.

Weitgehende Kompetenzen

Dasselbe Schiedsgericht ist dann auch für die Aufsicht über die Beseitigung der festgestellten Verletzung des Abkommens zuständig. Ist der klagende Staat der Ansicht, dass keine ausreichenden Maßnahmen getroffen wurden, kann er sich wieder an das Schiedsgericht wenden.

Teilt das Schiedsgericht diese Meinung, kann der klagende Staat selbst Abhilfe schaffen, indem er seine eigenen Verpflichtungen aus dem Abkommen aussetzt oder eine Entschädigung vorschlägt. Diese vorläufigen Gegenmaßnahmen, über deren Angemessenheit abermals das Schiedsgericht entscheidet, kann der beklagte Staat dann wiederum durch Beseitigung der Verletzung des Abkommens beenden.

Ob der beklagte Staat den Einklang mit dem Abkommen wiederhergestellt hat, entscheidet ebenso das Schiedsgericht. Solche weitgehenden Kompetenzen in der Vollstreckung gehen selbst über die bei der WTO-Streitbeilegung vorgesehenen hinaus und sind bisher weder in Handelsabkommen noch in Investitionsschutzabkommen anzutreffen.

Keine Chance für Private

Doch ein großer Pferdefuß bleibt: Obwohl die im Abkommen gewährleisteten Rechte durchaus auch Einzelpersonen und Unternehmen zugutekommen können, wird diesen keine Möglichkeit eingeräumt, ihre Rechte auch selbst durchzusetzen – weder vor staatlichen Gerichten noch vor den im Abkommen verankerten Schiedsgerichten.

Erleidet daher zum Beispiel ein EU-Investor in Großbritannien durch Verletzung des Abkommens einen Nachteil, so muss er die EU überzeugen, seinen Fall vor das Schiedsgericht zu bringen. Zählt man nicht zu den strategisch wichtigen Unternehmen, scheint dieses Unterfangen von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Warum die Schiedsgerichtsbarkeit zur Streitbeilegung zwischen der EU und Großbritannien nützlich sein soll, aber nicht für die Streitbeilegung zwischen einem Investor und einem Staat, lässt sich nicht erklären. Diese Exklusivität weicht auch von den derzeit üblichen Handelsabkommen der EU ab, wie etwa dem Ceta-Abkommen mit Kanada, wo zumindest ein alternativer Streitbeilegungsmechanismus für Investoren vorgesehen ist.

Unmittelbare Lösung

Eine unmittelbare Klagemöglichkeit für Investoren hätte nämlich einen gewaltigen Vorteil: Streitigkeiten werden unmittelbar zwischen den betroffenen Investoren und dem Staat gelöst und entlasten somit die zwischenstaatlichen Beziehungen. Man räumt Investoren die Möglichkeit einer finanziellen Entschädigung und einen exekutierbaren Titel in das Vermögen des verurteilten Staates ein.

Dadurch erspart man sich das zu Recht kritisierte politische Hickhack, bei dem unrechtmäßige Maßnahmen oft nur mit anderen Handelshemmnissen beantwortet werden, wo meist das Recht des wirtschaftlich Stärkeren gilt und an dessen Ende meist erhöhte Preise für Endkunden stehen. Alles keine Geschenke, über die man sich unter dem Brexmas-Baum freuen sollte. (Filip Boras, 25.1.2021)