Aron Tänzer kam am 30. Jänner 1871 als Sohn von Marie (Maria), geborene Schlesinger (gestorben 1906), und Heinrich Tänzer im damals ungarischen Pressburg zur Welt. Genaue Lebensdaten seiner Eltern, die sich bald nach seiner Geburt trennten, fehlen. Jedoch wird in der Literatur manchmal darauf verwiesen, dass die Familie in einer 500-jährigen Rabbinertradition gestanden haben soll. Gesichert ist jedenfalls, dass der Vater neben seiner Tätigkeit als Kaufmann auch eine Rabbinerstelle bekleidete und die Mutter als Weißnäherin tätig war. So wuchs Tänzer als Sohn einer alleinerziehenden und berufstätigen Mutter auch in der Obhut seiner Großmutter Fanni Schlesinger auf, die mit dem Rabbi und Talmudlehrer Hersch Ber Schlesinger verheiratet war.

Aron Tänzer als Feldrabbiner im Ersten Weltkrieg.
Foto: Jüdisches Museum Hohenems/Erwin und Uri Tänzer

Beruf und Berufung

An seinem Geburtsort durchlief Tänzer, dem eine Frühbegabung zugeschrieben wird, alle Schulstufen und schloss 1890 die Rabbinatsschule ab. Zwei Jahre später zog er nach Berlin und studierte an der Friedrich-Wilhelms-Universität Germanistik, Philosophie und semitische Philologie, besuchte aber auch das orthodoxe Rabbinerseminar. 1895 folgten die Promotion in Bern sowie die Verleihung des Rabbinerdiploms in Obornik bei Posen. Danach kehrte er in die Habsburgermonarchie zurück, wo er, nach zwei kürzeren Stationen, im ungarischen Totis eine Anstellung als Hilfsrabbiner fand. Dort heiratete er 1896 die Rabbinertochter Rosa Eleonora Handler. Das Paar sollte jedoch nicht lange im Geburtsort der Ehefrau verweilen, da sich Tänzer noch im Oktober um eine freigewordene Stelle als Rabbiner im weit entfernten Vorarlberg bewarb.

Die Israelitische Kultusgemeinde Hohenems, die damals bereits von starker Abwanderung betroffen, aber immer noch sowohl für die jüdische Bevölkerung in Vorarlberg als auch jene Tirols zuständig war, engagierte ihn daraufhin ab Dezember. Die junge Familie bezog eine Wohnung im Rabbinerhaus neben der Synagoge. Beruflich war Tänzer beispielsweise zur Abhaltung der Gottesdienste, zur Erteilung des Religions- und Hebräischunterrichts oder zur Mitarbeit in Wohltätigkeitsvereinen verpflichtet. Die "Instructionen" des Rabbinats der Israelitischen Kultusgemeinde sahen neben der gewissenhaften Führung der Matriken auch die "fachmännische Mitwirkung bei der […] Restaurierung der Grabstein-Inschriften" vor. Daraus leitete Tänzer schnell einen wissenschaftlichen Auftrag an seine Person ab.

Ehemalige Synagoge in Hohenems, um 1900.
Foto: Jüdisches Museum Hohenems/Erwin und Uri Tänzer

Die Geschichte der Juden in Hohenems

Am Ende seiner Amtszeit sollte Tänzer der Gemeinde ein rund 800-seitiges Werk hinterlassen, das deren Geschichte sehr ausführlich darlegte und vor allem auch mit Informationen zum Status quo aufwarten konnte. Er verfasste darin Biografien seiner Vorgänger im Rabbineramt und beschäftigte sich mit Themen wie Handel und Gewerbe, der Jüdischen Schule oder rituellen Anstalten. Außerdem erforschte er den Jüdischen Friedhof, fertigte ein Gräberverzeichnis samt Lageplan an und legte eine Grabnummerierung fest. Seine Forschungen zum Friedhof veröffentlichte er bereits 1901, bettete sie mit Ergänzungen aber auch in sein Gesamtwerk ein, das im Jahr seines Wechsels nach Meran 1905 dort erschien.

Eine äußerst wertvolle Quelle für die im Jüdischen Museum Hohenems betriebene Genealogieforschung bildet darüber hinaus das im Buch enthaltene Familienregister. Darin stützte er sich auf die Vorarbeiten von Moritz Federmann und Heinrich Löwengard und fertigte Familienstammbäume an. Seine Forschungen, die er regelmäßig auch in Vorträgen, manchmal in seiner Funktion als Vorsitzender des Hohenemser "Bildungsclubs", präsentierte, führte er ehrenamtlich für die Marktgemeinde fort. Tänzer, der von seinem Freund Bürgermeister August Reis mit der Anlage eines Registers beauftragt wurde, ist somit als Begründer des heutigen Stadtarchivs zu verstehen.

"Die Geschichte der Juden in Hohenems und im übrigen Vorarlberg" (1905).
Mit Widmung Tänzers an Anton Rosenthal.
Foto: Jüdisches Museum Hohenems

Über Meran nach Göppingen und in den Krieg

Im Mai 1905 übersiedelte Tänzer nach Meran, blieb dort zwei Jahre und bearbeitete den Nachlass seines Universitätsprofessors aus Berliner Studienzeiten, Moritz Lazarus. Ein längerer Aufenthalt war ihm in der Kurstadt aber nicht beschieden, da sich die Differenzen zwischen Innsbruck, Meran und Hohenems ob der Einrichtung eines eigenständigen Rabbinatsbezirks für Südtirol nicht ausräumen ließen. So bewarb sich Tänzer schon bald für eine Anstellung im württembergischen Göppingen, die er bereits 1907 antrat.

Er konnte an sein Wirken in Hohenems anschließen und zeichnete sich etwa durch die Einrichtung einer Volksbücherei, der heutigen Stadtbibliothek, aus. Daneben hielt er Vorträge, schrieb für verschiedene Zeitungen und gab von 1910 bis 1914 die "Straßburger Israelitische Wochenschrift" heraus. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs war auch eine Zäsur im Leben Tänzers. Als Feldrabbiner wurde er von 1915 bis Kriegsende in der deutschen Bug-Armee eingesetzt und war dabei meist in Brest-Litowsk, der vom Krieg stark zerstörten Stadt am Ufer des Bugs, und weiter östlich in Pinsk stationiert.

Neben der seelsorgerischen Tätigkeit richtete er Volksküchen ein und arbeitete im Lazarett. Aber auch wissenschaftlich versuchte er der Situation etwas abzugewinnen und hielt Vorträge, wie etwa vor einem Offizierskorps der Militäreisenbahn über "Juden in Polen" 1916. Neben diversen Zeitungsartikeln verfasste er mit Werken wie "Die Geschichte der Juden in Brest-Litowsk" (1918) in jener Zeit auch Bücher. Seine persönlichen Eindrücke brachte er zudem im handschriftlichen Kriegstagebuch und später in den getippten Kriegserinnerungen zu Papier.

Der Krieg war noch nicht lange ausgestanden, als der mit mehreren Orden dekorierte Tänzer mit dem grassierenden Antisemitismus und dem später folgenden nationalsozialistischen Umschwung konfrontiert wurde. Dennoch beschäftigte er sich weiterhin mit Themen seines Forschungsfelds und veröffentlichte 1927 die "Geschichte der Juden in Jebenhausen und Göppingen" und zehn Jahre darauf die "Geschichte der Juden in Württemberg". Kurz nach deren Erscheinen verstarb Tänzer am 26. Februar 1937.

Feldrabbiner Tänzer mit Rotkreuz-Armbinde und Davidstern-Halskette, Erster Weltkrieg.
Foto: Jüdisches Museum Hohenems/Erwin und Uri Tänzer

Lebendige Erinnerung

Von seinem Tod wurde in der Presse nur wenig Notiz genommen, was nicht zuletzt auch seinem letzten Willen entsprach, in dem er sich "keinerlei Dankrede, Nachruf oder dergleichen" wünschte. Testamentarisch legte er auch die Inschrift seines Grabsteins fest, die seine Rabbinerlaufbahn sowie die wissenschaftlichen Werke in den Vordergrund stellte. Das Grab befindet sich in der israelitischen Abteilung des Göppinger Friedhofs, wo an derselben Stelle bereits seine erste Frau Rosa beerdigt wurde. Seine zweite Ehefrau Bertha, die 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt verhungerte, wird auf dem Grabstein gleichfalls erwähnt.

Tänzer (Mitte) mit einer Gruppe von Menschen vor einer jüdischen Volksküche in Polen, 1916.
Foto: Jüdisches Museum Hohenems/Erwin und Uri Tänzer

Heute erinnert an ihn in Göppingen unter anderem das 2002 nach ihm benannte ehemalige Wohn- und nunmehrige Rabbiner-Tänzer-Haus. Eine 1987 im Vorarlberger Landesarchiv unter dem Titel "Rabbiner Dr. Aron Tänzer. Gelehrter und Menschenfreund" präsentierte Ausstellung wurde danach auch in Göppingen gezeigt.

2005 folgte erneut eine Schau zu seiner Person an beiden Orten, diesmal im 1991 eröffneten Jüdischen Museum Hohenems und im seit 1992 bestehenden Jüdischen Museum Göppingen-Jebenhausen. Nicht zuletzt ist wohl die weiterhin intensiv gelebte Verbindung zu Nachkommen Hohenemser Jüdinnen und Juden (darunter auch seiner eigenen Familie) ein Hinweis darauf, wie wohlwollend Tänzers genealogische Forschungen noch heute im Jüdischen Museum Hohenems aufgenommen werden. (Raphael Einetter, 29.1.2021)