Es ist auch die Gunst der Stunde, von der der gleichermaßen sympathische wie charismatische Italiener Luca de Meo da profitiert. In der Ära Carlos Ghosn, unter dramatischen Umständen geschiedener Chef der Allianz Renault-Nissan-Mitsubishi und dessen kolportiert despotischem Führungsstil hätte er wohl kaum die jetzigen Entfaltungsmöglichkeiten gefunden. Ghosn hatte niemanden neben sich aufkommen lassen, Jungstars wie der heutige PSA-Chef Carlos Tavares zogen daraus ihre Konsequenzen.

De Meo, seit Juli 2020 Geschäftsführer von Renault, stößt sozusagen in das Nach-Ghosn-Vakuum hinein. Es hat den Eindruck, dass der vom VW-Konzern geholte Mailänder erst einmal tief Luft geholt, sich ein paar Monate im Laden orientiert und jetzt die Ergebnisse seines Nachsinnens auf den Tisch gelegt hat. In den zuletzt zu beobachtenden latenten Wildwuchs der Ghosn-Ära kommen nun Ordnung und präzise Struktur.

Planwirtschaft

Neue Besen kehren gut, inzwischen ist der Boden sauber, und auf diesem blitzblanken Untergrund rollt de Meo seinen Fünfjahresplan "Renaulution" aus. Hat natürlich wenig mit Kommunismus zu tun, wenngleich die politisch eingeforderte E-Mobilität bei etlichen Experten mitunter den Gedanken an Planwirtschaft aufkommen lässt.

Renault-Chef Luca de Meo hat eine umfassende Strategie erarbeitet, die dem französischen Konzern die Zukunft sichern und ihn als einen Hauptakteur neuer Mobilität verankern soll.
Foto: Renault

Nein, es geht dem Boss um eine "tiefgreifende Transformation unseres Geschäftsmodells", darum, das Unternehmen "vom Volumen zum Wert" auszurichten – kurz: Klasse statt Masse – (dazu zählt unter anderem die Reduktion des Produktionsvolumens von vier Millionen Einheiten 2019 auf 3,1 im Jahr 2025) und bei nachhaltiger Profitabilität das Ziel anzupeilen, den CO₂-Fußabdruck bis 2050 auf null zu reduzieren. Kleine Einschränkung: in Europa. Das wäre der 29-Jahres-Plan.

Der auf fünf Jahre angelegte Plan gliedert sich in drei Stufen: Erholung (bis 2023), Erneuerung (bis 2025), Revolution (ab 2025; da kennen die Franzosen sich aus). Punkt eins betrifft vorrangig die Optimierung der Margen, richtet sich somit in erster Linie an die Kapitalmärkte.

Punkt zwei sieht den Carguy – den Benzinbruder, hätte man früher gesagt – de Meo in voller Aktion, es geht um die "Erschließung neuer Fahrzeugsegmente", und der dritte sieht die "verstärkte Ausrichtung des Geschäftsmodells auf Technologie, Energie und Mobilität" vor. Ehrgeiziges, freilich nicht erstmalig artikuliertes Ziel: Renault müsse sich zu einem "Vorreiter der neuen Mobilität" mausern.

Der Prototyp EZ-1 ist 2,3 Meter lang,
er bringt den Twizy sozusagen auf ein aktuelles Niveau und Renaults neue Mobilitätsmarke Mobilize in Stellung.
Foto: Renault

Ähnlich hatte Ghosn vor zehn, fünfzehn Jahren bereits getönt: Die Allianz Renault-Nissan solle Pionier in Sachen Elektromobilität werden. Wurde sie auch, mit einzelnen Ikonen wie Renault Zoe und Nissan Leaf. Allerdings investierte – versenkte, monierten Kritiker – der Konzern Milliarden in die noch junge Technologie und vernachlässigte zugleich sträflich die Pflege respektive den Ausbau der konventionellen Modellbaureihen. Mit dem dort verdienten Geld jedoch musste (und muss) die Mobilitätswende sich immerhin finanzieren.

Und Stichwort Zoe, Leaf: Das waren teure Solitäre, wobei der Zoe wenigstens auf der alten Clio-Architektur basiert. Künftig spielt sich das auf den speziellen Elektroplattformen CMF-EV und CMF-B EV ab, beide hochflexibel bei den Abmessungen und Ausgangsbasis für ganze Elektromobil-Modellfamilien.

Alles neu macht der Meo

Ein Autohersteller lebt von seinen Fahrzeugen und dem Drumherum, Renault will dabei seine "Führungsrolle bei der Energiewende durch Elektro- und Wasserstofflösungen" stärken und bis 2025 ganze 14 neue Modelle ist Stellung bringen, die Hälfte davon sind batterieelek trische. Von jedem Neuzugang ist eine E- oder Hybridversion avisiert.

Schon als Seat-Chef hatte de Meo vehement den Standpunkt vertreten, die Mobilitätswende brauche neue (Sub-)Marken, Cupra ist seine Hinterlassenschaft bei den Spaniern. Bei Renault wird dieser Gedanke zu einem der vier neu geschaffenen Geschäftsbereiche und hört auf den Namen Mobilize.

Die Wiedergeburt des legendären Renault 5 als Elektromobil.
Foto: Renault

Der Prototyp EZ-1 ist ein erster konkreter Produkthinweis eines viel weiter reichenden Markenkonzepts, das 2030 über 20 Prozent des Konzernumsatzes einspielen und bis dahin die Aktivitäten der Bereiche "Shared-Mobility", Daten- und Energiedienstleistungen bündeln soll. Der Vollständigkeit halber: Renault, Dacia/Lada und Alpine sind die anderen drei Geschäftsfelder.

Ja, und derweil VW eine Ikone wie den Transporter (T-Modell) einfach wegwirft und künftig Ford-Nutzfahrzeuge umetikettiert, gedenkt de Meo, einst in der Fiat-Markenwelt groß geworden, aber für den Agnelli-Kosmos nicht geschaffen, des dort konzernrettenden Erfolgs des 500 und wiederbelebt bei Renault den legendären R4. Nein, das denn doch nicht, aber den R5. Ganz der Alte, ganz neu elektrisch.

Die Produktoffensive "Nouvelle Vague" (neue Welle) soll den R5 (eine Ansichtssache dazu finden Sie hier) an die Gestade der Kund(inn)enherzen spülen, erste Reaktionen zeugen von schierem Entzücken. Cinéastisch? Fantastisch! Ob auch eine François-Truffaut-Edition kommt?

De Meo jedenfalls empfiehlt sich mit der "Renaulution"-Strategie – so sie denn plangemäß aufgeht – nachhaltig, auch in der Allianzführung Renault-Nissan-Mitsubishi Ghosns Nachfolger zu werden. Film ab... (Andreas Stockinger, 2.2.2021)