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Fast niemand kann sich in Taiwan vorstellen, dass Taipeh wieder offiziell zu China gehört.

Foto: Reuters / ANN WANG

Viele Menschen in Taiwan sind die Nachrichten längst gewohnt: Wieder einmal sind chinesische Kampfflugzeuge in den Luftraum der Insel eingedrungen. Zunächst am vergangenen Freitag, am Sonntag waren es dann 15 Maschinen, darunter zwölf Kampfflugzeuge, die das südliche Ende der Insel und die durch Taiwan kontrollierten Dongsha-Inseln durchflogen.

Immer wieder provozierte Peking in den vergangenen Monaten mit solchen Aktien die Insel mit ihren 23 Millionen Einwohnern, die es als Teil seines Staatsgebiets betrachtet. Die USA haben nun ein Geschwader um den Flugzeugträger USS Theodore Roosevelt in die Region entsandt.

Taiwan wieder ein "Land"

Brisant aber ist der Zeitpunkt, denn er macht klar, dass das amerikanisch-chinesische Verhältnis auch unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden von massiven Spannungen geprägt sein wird. Nur wenige Tage vor der Vereidigung Bidens hatte der damalige US-Außenminister Mike Pompeo die jahrzehntealten Beschränkungen für diplomatische Kontakte mit Taiwan vollständig aufgehoben. Taiwan kann seitdem auch wieder als "Land" bezeichnet werden.

Für Peking war das ein Affront, sieht man die Insel doch als "abtrünnige Provinz". Die Entsendung des Flugzeugträgers zeigt aber auch, dass der chinesisch-amerikanische Konflikt auch die Präsidentschaft Bidens bestimmen wird. Taiwan ist dabei der Brennpunkt, an dem er sich entzünden könnte.

Rhetorische Aufrüstung

Washington fordert von Peking, den "militärischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Druck auf Taiwan" einzustellen. Dies trage zu Frieden und Stabilität in der Region bei, so das Außenministerium. Man "steht felsenfest zu Taiwan".

In der chinesischen Presse ist seit Monaten immer wieder vom "Verfall des Westens und dem Aufstieg des Ostens" zu lesen. Partei-Strategen sehen das schlechte Management der Corona-Krise als weiteren Beleg für den Niedergang der westlichen Welt, insbesondere der USA. Der Zeitpunkt, Pekings geostrategische Ziele voranzutreiben, sei demnach historisch günstig.

Auf USA angewiesen

Klar ist, dass Taiwan im Falle einer militärischen Invasion Pekings kaum eine Chance hätte. Auf der Insel hat man 2015 die Wehrpflicht abgeschafft, die kleinen Landstreitkräfte gelten als schlecht motiviert. Peking hat zudem in den vergangenen Jahren seine See- und Luftstreitkräfte modernisiert und genau auf ein solches Szenario vorbereitet. In Taipeh wie in Peking ist man sich deswegen darüber im Klaren, dass nur ein militärisches Eingreifen der USA die Insel vor der Annexion bewahren kann.

Dass die Führung in Peking darauf abzielt, Taiwan zu annektieren, ist Teil der sogenannten "Ein-China-Strategie". Nach dem verlorenen Bürgerkrieg gegen die Kommunisten hatte sich die unterlegene KMT unter der Führung Chiang Kaisheks 1949 nach Taiwan geflüchtet. Bis US-Präsident Nixon 1972 eine Kehrtwende in der China-Politik vollzog, galt die KMT als offizielle Vertretung der chinesischen Regierung – eine Wiedervereinigung mit dem Festland war für die KMT ebenso wie für die kommunistische Partei in Peking ein Langfristziel.

Chinas Kultur und Demokratie

Nur haben sich die Zeiten geändert: Die meisten Taiwanesen sind mittlerweile in einer offenen Gesellschaft groß geworden. Das Land ist ein Beweis dafür, dass chinesische Kultur und Demokratie gut zusammengehen (was Nationalisten auf dem Festland immer wieder gerne bestreiten). Gerade für junge Leute ist der Gedanke, unter der Herrschaft Pekings zu stehen, ein Albtraum. Laut einer Umfrage sehen sich 83 Prozent der Erstwähler als Taiwanesen, nur 1,1 Prozent bezeichnen sich als Chinesen. Und nur sechs Prozent aller Taiwanesen wünschen sich noch eine Vereinigung mit dem Festland.

Im Jänner vergangenen Jahres gewann Präsidentin Tsai Ing-wen die Wahlen mit 57 Prozent der Stimmen. Sie steht für eine moderne und weltoffene Politik – Wiedervereinigung mit dem Festland steht nicht auf dem Programm. Auch aufgrund ihres guten Managements der Corona-Krise steht Tsais Beliebtheit derzeit so hoch wie noch nie. Rund 73 Prozent unterstützen sie.

Die Sorge der Taiwaner um die eigene Freiheit hat in den vergangenen Monaten nochmals zugenommen: Nachdem die Regierung in Peking die Autonomie Hongkongs mit dem "Nationalen Sicherheitsgesetz" beendet hat, sind zahlreiche Demokratie-Aktivisten zu Haftstrafen verurteilt worden. Für viele Taiwaner zeigt das: Der kommunistischen Führung in Peking ist nicht zu trauen. Eine Wiedervereinigung mit dem Festland bedeutet den Verlust der Freiheit. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 26.1.2021)