Die politische Stabilität in dem wirtschafts- und einwohnerstärksten Mitgliedsstaat der Europäischen Union hing stets von der Lösung der Führungsfragen an der Spitze der beiden Volksparteien Mitte-rechts und Mitte-links, CDU/CSU und SPD ab. Von Willy Brandt und Helmut Schmidt bis Helmut Kohl und Angela Merkel haben die deutschen Führungspersönlichkeiten in enger Tuchfühlung mit den jeweiligen französischen Staatspräsidenten den Prozess der europäischen Integration auch entscheidend mitgeprägt. Deshalb lösen die Vorgänge vor und nach der Wahl des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet zum neuen CDU-Vorsitzenden internationale Beachtung aus.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet wurde zum neuen CDU-Vorsitzenden gewählt.
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Die Ergebnisse der Abstimmungen beim CDU-Parteitag haben unmissverständlich gezeigt, dass die stärkste deutsche Regierungspartei zerrissen ist. Laschet konnte bei der Stichwahl nur 52 Prozent der Stimmen und bei der Briefwahl ohne Gegenkandidat das nicht gerade überschwängliche Votum von 83 Prozent für sich gewinnen. Die entscheidende Machtfrage bleibt aber ungeklärt: Wer wird der Kanzlerkandidat der CDU-CSU bei der Bundestagswahl am 26. September 2021?

Bei den Umfragen führt bisher unangefochten der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder: 55 Prozent der Befragten halten ihn für einen "guten Kanzlerkandidaten"; Laschet kommt nur auf 27 Prozent. Unter den CDU/CSU-Anhängern liegt Söder sogar bei 80 Prozent! Trotzdem scheint Laschet als Vorsitzender der CDU, also der größeren Partei, entschlossen zu sein, auch den Kampf um die Kanzlerkandidatur zu gewinnen.

Vorsprung bei den Umfragen

Obwohl die beiden früheren Kandidaten aus der CSU, Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber, 1980 bzw. 2002 scheiterten und Söder sich noch bedeckt hält, hegen die meisten Beobachter kaum Zweifel, dass – vorausgesetzt, sein Vorsprung bei den Umfragen bleibt stabil – der ehrgeizige CSU-Chef eine "Einladung" der Schwesterpartei nicht ablehnen würde. Seine offizielle Linie heißt: Laschet und er als Parteivorsitzende werden "zum optimalen Zeitpunkt" einen gemeinsamen Vorschlag für die Kanzlerkandidatur unterbreiten.

Der Ausgang der Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg Mitte März solle laut Söder die Entscheidung nicht beeinflussen. Dass Söder in knapp einem Jahr die Gunst der Wählermehrheit und der CDU-Anhänger gewinnen konnte, hängt offensichtlich mit der Wirkung seines zupackenden Stils während der Pandemie zusammen. Darüber hinaus wirbt der wandlungsfähige Politiker jetzt für "die Versöhnung zwischen Ökonomie und Ökologie" als unausgesprochener Auftakt zu einer möglichen Koalition mit den Grünen, deren Stimmenanteil von 10,9 Prozent bei der letzten Wahl in den Umfragen auf fast 20 Prozent schnellte. Laschet, der in Nordrhein-Westfalen seit 2017 mit den Freien Demokraten regiert, möchte mithilfe der FDP die CDU/CSU-SPD-Koalition nach der Bundestagswahl ablösen. Die liberale Partei schwächelt allerdings in den Umfragen bei sieben Prozent.

Die Karten werden nicht nur in der deutschen Innenpolitik neu gemischt. Weder Laschet noch Söder können die "gähnende Leere" (so der Londoner Economist) auf der internationalen Bühne nach dem Abgang von Angela Merkel füllen. (Paul Lendvai, 26.1.2021)