"The Medium" ist der neueste Streich des Indie-Studios, das mit Spielen wie "Observer" oder "Blair Witch" bereits auf sich aufmerksam gemacht hat.

Foto: Bloober Team

Das Indie-Studio Bloober Team ist Horror-Fans ein Begriff. Mit den gelungenen First-Person-Spielen Layers of Fear, Observer und Blair Witch haben sich die Polen einen Namen als Gänsehautgaranten gemacht, mit Spielen, die das Erbe des legendären Horror-Experiments P.T. angetreten haben. Ihr neues Spiel The Medium ist ebenfalls ein Experiment: Das soeben erschienene Horror-Abenteuer ist nicht nur in Sachen Produktion und Technologie der ambitionierteste Titel im Portfolio der Krakauer Entwickler, sondern betritt auch in Sachen Technologie Neuland.

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Perspektivenwechsel

Zunächst einmal ist das einem Perspektivwechsel geschuldet: Im Unterschied zu den früheren Spielen des Entwicklers blickt man hier von außen auf die Protagonistin, und zwar meist aus unbewegten Kameraperspektiven, wie man es von den Survival-Horror-Klassikern Resident Evil und Silent Hill kennt. Die Hauptfigur, Marianne, hat die Fähigkeit, mit der übernatürlichen Zwischenwelt in Kontakt zu treten, die nicht nur von den ruhelosen Geistern der Verstorbenen bewohnt wird. Von einem geheimnisvollen Anrufer wird dieses Medium zu einem verlassenen Hotelkomplex irgendwo im Nirgendwo gelockt, an dem die Wunden einer blutigen Vergangenheit nie verheilt sind.

Dass die junge Frau sowohl die reale als auch die übernatürliche Welt sehen und sich in ihnen bewegen kann, ist der Aufhänger für den visuellen und technischen Clou von The Medium: An vorgegebenen Stellen der linearen Story trennt sich der Bildschirm, und beide Welten werden per Splitscreen gleichzeitig angezeigt – eine von Bloober Team unter dem Namen "Dual Reality Gameplay" patentierte technische Innovation. Um voranzukommen, ist ein cleveres Wechseln zwischen den Welten gefragt; auch in den Cutscenes wird die doppelte Ansicht effektvoll zum Einsatz gebracht. Etwa ein Drittel der Spielzeit blickt man so auf beide Welten gleichzeitig, den Rest der Zeit ist man "klassisch" auf eine Welt beschränkt.

Auch wenn The Medium mit seinem cinematischen Kameraeinstellungen und der unheimlichen Atmosphäre an die großen Kultspiele des Survival-Horrors erinnert, unterscheidet es sich von diesen in Sachen Gameplay grundlegend. Statt Kämpfen warten hier nämlich überwiegend "nur" Erforschung und jede Menge Rätsel, nur hin und wieder gilt es, in Action-Sequenzen vor geskripteten Monsterangriffen zu fliehen oder Schleichpassagen zu überleben.

Das "Dual Reality Gameplay" sorgt für doppelte Spannung beim Spieler.
Foto: Bloober Team

Was ist gelungen?

In Sachen Atmosphäre ist The Medium ein Genuss: Vor allem die Geisterwelt beeindruckt durch ihre Gestaltung, die sich stark am Werk des polnischen Surrealisten Zdzisław Beksiński orientiert. Die düstere Fantasie des oft mit dem weitaus berühmteren Künstler H. R. Giger verglichenen Malers stand Pate für die bedrückende spirituelle Welt und die sie bevölkernden grotesken Gestalten.

Auch musikalisch ist The Medium absolut gelungen, mit Akira Yamaoka ist sogar das musikalische Mastermind der "Silent Hill"-Reihe mit an Bord. In Sachen Sprecher merkt man The Medium ebenso nicht an, dass es mit weitaus weniger Budget als große AAA-Titel auskommen musste.

Positiv fällt auch der Abwechslungsreichtum auf: Statt auf Jumpscares und Action setzt das Spiel beim Gameplay auf recht unterschiedliche Rätsel und vermeidet Wiederholungen. Zentral ist dabei die spannend inszenierte Geschichte, die mit interessanten Wendungen bis ganz zum Schluss motiviert.

Was ist weniger gelungen?

Bis ganz zum Schluss? Fast: Das Ende der hintergründig erzählten Horrorstory nach knapp zehn linearen Stunden, das sei ohne zu spoilern hier notiert, wird wohl nicht jede und jeden zufriedenstellen.

Ebenfalls zwiespältig: Das Dual-Reality-Gameplay sieht zwar hübsch aus und ist vor allem technisch spannend, doch als spielentscheidendes Element ist die neue Technik in "The Medium" mit wenigen Ausnahmen selten zwingend. Im Gegenteil: In einigen Szenen mit Splitscreen-Ansicht wünscht man sich eher, die toll gestaltete Spielwelt auf dem ganzen Bildschirm bewundern zu dürfen.

Den Entwicklern zufolge ist dem Einsatz des Gimmicks auch eine weitere, an manchen Stellen leider etwas störende Gestaltungsentscheidung zu verdanken: Weil die Dual-Reality-Darstellung in Kombination mit moderner Third-Person-Verfolgerkamera bei frühen Tests für Übelkeit beim Publikum gesorgt hat, kommen nun im ganzen Spiel die nicht zufällig aus der Mode gekommenen fixen Kameraeinstellungen zum Einsatz; gelegentliche Orientierungsprobleme und verwirrende Perspektivenwechsel sind die Folge. Auch manche Animationen fallen qualitativ gegenüber dem hohen Standard, den Hochglanzspiele wie The Last of Us Part 2 vorgelegt haben, deutlich ab.

Das Horrorspiel sollte man nur mit starken Nerven angehen.
Foto: Bloober Team

Fazit

The Medium ist ein Horrorspiel, das sein großes Potenzial nicht vollständig über die Ziellinie bringt; als ambitionierter Titel eines Indie-Studios schlägt es sich aber in einem Feld mit weitaus größeren und teurer produzierten Konkurrenten überraschend gut.

In Sachen Atmosphäre und Abwechslungsreichtum braucht sich das Spiel vor den Großen nirgends zu verstecken. Auch die spannende Geschichte weiß – bis fast auf die allerletzten Meter – zu überzeugen. The Medium ist das Versprechen, dass aus Krakau noch großartiger, subtiler Horror zu erwarten ist.

The Medium ist für Windows und Xbox Series XS um 49,99 Euro erschienen. (Rainer Sigl, 27.1.2021)