Signal hat in den vergangenen Wochen ein massives Nutzerwachstum hingelegt, das wirft aber auch neue Probleme auf.

Foto: Signal Foundation

Eigentlich haben die Entwickler von Signal derzeit jeden Grund zu feiern: Die Kontroverse um neue Nutzungsbedingungen bei Whatsapp hat dem ganz auf Sicherheit und Privatsphäre ausgerichteten Messenger nicht nur jede Menge öffentliche Aufmerksamkeit, sondern auch zahlreiche neue Nutzer beschert. Innerhalb weniger Wochen soll sich die User-Zahl von 20 auf mehr als 40 Millionen mehr als verdoppelt haben. Von den zwei Milliarden Nutzern von Whatsapp ist man damit zwar noch immer weit entfernt, aber für eine App, die über viele Jahre bloß ein Geheimtipp unter Experten war, ist das ein erstaunliches Wachstum.

Interne Unruhe

Genau dieser Boom ist es aber, der nun zu internen Streitigkeiten führt, wie Casey Newton in seinem Newsletter "Platformer" schreibt. Demnach zeigen sich mehrere Mitarbeiter besorgt über die aktuellen Entwicklungen. Der Kern der Kritik: Neue Features könnten von böswilligen Nutzern missbraucht werden, um gesellschaftlichen Schaden anzurichten – was wiederum in der Debatte über eine strikte Verschlüsselung – und dem Wunsch mancher Behörden nach Hintertüren – schädlich wäre. Genau diese Bedenken würden von der Firmenleitung bisher aber einfach ignoriert.

Der Ausgangspunkt der Diskussion liegt bereits einige Monate zurück: Ende Oktober hat Signal die sogenannten "Group Links" eingeführt, mit denen Nutzer über einen Verweis einfach zu neuen Gruppen mit bis zu 1.000 Teilnehmern eingeladen werden können. Genau diese Senkung der Einstiegshürde führt zu Sorgen, dass man damit unter anderem rechtsextreme Gruppen wie die Proud Boys anziehen könnte, die den Messenger zur Rekrutierung neuer Mitglieder und zur Koordination von Gewalt missbrauchen könnten. Dass man dieses Feature mitten in der Hochphase des Wahlkampfs um die US-Präsidentschaft präsentierte, verstärkte diese Befürchtungen noch.

Keine fixe Policy

Das Problem wurde schlussendlich in einer internen Mitarbeiterversammlung aufgebracht, die Reaktion von Signal-Gründer Moxie Marlinspike soll bei den Anwesenden aber für einige Verblüffung gesorgt haben, da er sich partout nicht auf eine fixe Policy festlegen wollte. "Über solche Dinge machen wir uns erst Gedanken, wenn sie akut werden", fassen Anwesende die Position zusammen.

Genau dieser Zeitpunkt könnte aber jetzt gekommen sein. Immerhin waren die vergangenen Wochen nicht nur von Diskussionen über die Wahl des richtigen Messengers geprägt, infolge des Sturms von Trump-Anhängern auf das US-Kapitol kam es auch zu einer Sperrwelle gegen rechtsextreme und verschwörungstheoretische Konten bei zahlreichen sozialen Netzwerken. Viele davon dürften zu Telegram, zum Teil aber auch zu Signal gewechselt sein, wie ein Bericht der "New York Times" vor einigen Tagen betonte.

Anonymität

Was noch dazukommt: Einige in Entwicklung befindliche neue Features könnten besonders für Missbrauch anfällig sein, befürchten Mitarbeiter laut dem Bericht. So arbeitet man derzeit an einem neuen System für User-Konten. Dieses soll ohne die Angabe der Telefonnummer auskommen, also eine vollständig anonyme Registrierung ermöglichen. Genau das wurde lange von Sicherheitsexperten gefordert, hat aber auch eine Schattenseite. So könnten sich damit Nutzer als jemand anderer ausgeben. Einen Plan, wie man mit dieser Herausforderung umgehen soll, hat man offenbar nicht.

Dies könnte sich nun ändern: Im Gespräch mit "Platformer" legt sich Marlinspike darauf fest, dass das Unternehmen jemanden anstellen wird, der sich um solche Policy-Fragen kümmern soll. Zudem betont er, dass man auch nicht prinzipiell davor zurückschrecken werde, Gruppen-Links zu löschen, wenn die Plattform im großen Stil missbraucht wird. Signal sei nicht zuletzt entstanden, um marginalisierten Personen einen sicheren Platz für ihre Kommunikation zu geben, diese Funktion aufrechtzuerhalten habe oberste Priorität. Das heiße aber natürlich auch, dass man bei jeder Maßnahme gegen "böse Akteure" sehr genau darauf schauen müsse, ob sie nicht negative Auswirkungen auf andere hat.

Kryptowährung

Zudem soll Signal an der Integration von Bezahlvorgängen mittels Kryptowährung arbeiten. Marlinspike hat in der Vergangenheit die Firma Mobilecoin beraten, wo man verspricht, Geldtransfers auf Basis der Stellar Blockchain vollständig nicht nachvollziehbar zu machen. In Kombination mit einem anonymen, Ende-zu-Ende-verschlüsselten Messenger könnte dies aber wiederum Kriminelle anziehen und so den öffentlichen Druck auf Signal verstärken – und so auch das bisher sehr gute Ansehen des Messengers beschädigen. Marlinspike selbst versucht diese Pläne gegenüber Newton herunterzuspielen, während Angestellte berichten, dass bereits mehrere Mitarbeiter mit der konkreten Implementation betraut sind.

Finanzielle Zukunft

Parallel dazu gilt es, die finanzielle Basis der Signal-Entwicklung langfristig zu sichern. Von der Non-Profit-Organisation Signal Foundation getragen, lebt man bisher von einer Finanzspritze von Whatsapp-Gründer Brian Acton. Ursprünglich auf 50 Millionen US-Dollar ausgelegt, soll dieser Betrag mittlerweile auf mehr als 100 Millionen Dollar angewachsen sein. Um die Unabhängigkeit der Entwicklung zu garantieren, will man sich ganz auf Spenden verlassen. Damit diese die laufenden Kosten tragen, müssten die Nutzerzahlen aber noch deutlich weiter steigen. Bei 100 Millionen Nutzern geht man davon aus, dass dieser Zustand erreicht ist. Ein Wert, der aber selbst angesichts der aktuellen Situation schwer zu erreichen sein dürfte. Immerhin ist die Konkurrenz im Messenger-Feld groß, und solche "Geschenke" wie die Diskussion über die Nutzungsbedingungen bei Whatsapp gibt es nicht jeden Tag. (Andreas Proschofsky, 26.01.2021)