Rotterdam war besonders schwer von den Ausschreitungen betroffen, 50 Personen wurden festgenommen.

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Den Haag – Die Niederlande haben am Montagabend erneut schwere Ausschreitungen infolge von Protesten gegen die Corona-Ausgangssperre erlebt. Hunderte gewaltbereite Jugendliche randalierten nach Polizeiangaben bis zum späten Abend in mehreren Städten und griffen die Polizei an. Mindestens 151 Personen wurden laut Polizei festgenommen. Unruhen wurden aus etwa zehn Städten gemeldet, darunter Amsterdam, Den Haag und Rotterdam.

Die Menschen hatten sich kurz vor Beginn der Ausgangssperre in Stadtzentren versammelt. In großen Gruppen zogen sie plündernd und randalierend durch die Straßen.

Wasserwerfer und Tränengas, behinderte Krankenwagen

Rotterdam war besonders schwer betroffen. Mindestens zehn Polizisten seien verletzt worden, sagte Polizeichef Fred Westerbeeke Dienstagfrüh im Radio. Sie wurden, wie auch schon am Vorabend, mit Steinen und Feuerwerkskörpern angegriffen. Die mobile Einheit der Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein. Nach Polizeiangaben wurden alleine in Rotterdam rund 50 Menschen festgenommen.

Krankenwagen im Noteinsatz seien behindert worden, berichtete Westerbeeke. Hunderte Jugendlichen hatten stundenlang randaliert, die Polizei mit Feuerwerkskörpern und Steinen angegriffen, Geschäfte geplündert und Brände gelegt.

Einsatzkräfte nahmen Randalierer in Rotterdam fest.
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"Schamlose Diebe", klagte Rotterdams Bürgermeister Ahmed Aboutaleb über den Mob. "Wir konnten noch keine Bestandsaufnahme machen, aber es ist trotzdem eine traurige Bilanz", wurde er von der Zeitung "De Telegraaf" zitiert.

Feuerwerk und Plünderungen

Auch in Den Bosch, etwa 100 Kilometer südlich von Amsterdam, waren die Ereignisse laut einem Bericht des TV-Senders NOS "gehörig aus dem Ruder gelaufen". Nach einem Feuerwerk sei eine sehr große Gruppe von Randalierern in die Stadt gezogen. "Auf der gesamten Strecke wurden Plünderungen begangen, Feuer gelegt, Autos zerstört, Geschäfte geplündert."

In der Provinz Brabant und Den Bosch versuchten Randalierer laut Medienberichten auch in Krankenhäuser einzudringen. Die Polizei habe die Zugänge weiträumig abgeriegelt. Krankenwagen mussten in andere Kliniken ausweichen. "Das war beängstigend für die Mitarbeiter", sagte Krankenhausdirektor Piet-Hein Buiting dem regionalen Radio.

Auch Journalisten und Kamerateams wurden laut Medienberichten Opfer von Gewalt. Die Polizei forderte inzwischen über Twitter Bürger auf, eventuelle Videoaufnahmen der Ereignisse einzusenden, um die Ermittlungen zu erleichtern.

Gegen Mitternacht hatte die Polizei die Lage weitgehend unter Kontrolle, sagte Polizeichef Willem Woelders dem Sender NOS. "Wir stellen fest, dass es im größten Teil der Niederlande wieder ruhig ist."

Bei den Demonstrationen in den Niederlanden kommt es immer wieder zu Krawallen und heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.
DER STANDARD

Seit Samstag Ausgangssperre

Anlass der Unruhen sind die von der Regierung verhängten verschärften Corona-Maßnahmen und eine seit Samstag geltende Ausgangssperre. Polizei und Bürgermeister der betroffenen Städte gehen davon aus, dass sich verschiedene Gruppen an den Krawallen beteiligen – darunter Corona-Leugner, Fußball-Hooligans und Neonazis. Unter den Randalierern befanden sich vor allem Jugendliche. Laut Polizei suchten sie bewusst die Konfrontation mit der Polizei.

Sonntagnacht hatten schwere Unruhen in etwa zehn Städten das Land erschüttert. Die Polizei hatte von den schlimmsten Krawallen seit 40 Jahren gesprochen. Polizei und Bürgermeister hatten bereits vor weiteren Unruhen gewarnt, nachdem mehrere Aufrufe in den sozialen Medien erschienen waren. Erste Krawalle hatte es bereits am Samstag gegeben.

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Am Samstagabend war in den Niederlanden erstmals seit Beginn der Pandemie landesweit eine Ausgangssperre in Kraft getreten. Die Bürger müssen von 21 bis 4.30 Uhr in ihren Wohnungen bleiben. Verstöße werden mit Geldstrafen von 95 Euro geahndet.

Hohe Gewaltbereitschaft

Ganz überraschend kamen die Unruhen laut dem Sozialpsychologen Bert Klandermans von der Freien Universität Amsterdam (VU) nicht. Frust habe sich in den vergangenen Monaten in der Bevölkerung aufgestaut und sich nun mit Beginn weiterer Einschränkungen entladen, sagte Klandermans der APA. "Was aber wirklich schockierend ist, ist die hohe Gewaltbereitschaft."

"Ich habe schon vor einigen Monaten gesagt, dass wohl eine Zeit kommen wird, in der die Leute sagen, ich kann nicht mehr und will nicht mehr mitmachen", so der Experte. Schritt für Schritt seien auch die Möglichkeiten, etwas zu tun, sich beschäftigt zu halten oder abzulenken, dezimiert worden.

Vor allem während der Anfangsphase der Pandemie setzte die niederländische Regierung auf weniger restriktive Maßnahmen als die meisten anderen EU-Staaten. Bereits im September wurde das Land aber hart von der zweiten Welle getroffen. (APA, 26.1.2021)