Ein Eiswürfel mit zehn Kilometern Kantenlänge neben Manhattan. 28 dieser Klötze haben sich zwischen 1994 und 2017 in Wasser verwandelt.
Illustr.: Esa/Planetary Visions

Paris – Der Verlust an Eis hat sich deutlich beschleunigt. Was bereits zahlreiche Studien in der Vergangenheit nahelegten, konnte nun von einem Team unter der Leitung der Universität Leeds erneut mit Daten untermauert werden: Die Erde habe zwischen 1994 und 2017 "erschütternde" 28 Billionen Tonnen Eis verloren, schrieben die Forscher in der Fachzeitschrift "The Cryosphere".

Zehn Kubikkilometer Eis

"Die Geschwindigkeit des Eisverlustes ist seit den 1990er-Jahren um 65 Prozent gestiegen: von 0,8 auf 1,2 Billionen Tonnen pro Jahr. Betroffen waren Gebirgsgletscher, antarktische und grönländische Eisschilder und das süd- und nordpolare Schelfeis", erklären die Experten mit Verweis auf mathematische Modelle und Beobachtungen mit ERS-, Envisat- und CryoSat-Satelliten der Esa sowie Daten aus den Missionen Copernicus Sentinel-1 und Sentinel-2.

Nachdem man sich unter diesen enormen Mengen kaum etwas vorstellen kann, haben die Wissenschafter die Zahlen in eine recht anschauliche Form gegossen: Ein Eiswürfel mit einer Masse von einer Billion Tonnen hätte eine Kantenlänge von zehn Kilometern – er wäre damit höher als der Mount Everest. Fast dreißig dieser riesigen Eiswürfel haben sich in den vergangenen 27 Jahren verflüssigt. Zum Vergleich: Das antarktische Eisschild besteht aus rund 30 Millionen Kubikkilometer Eis, das wären dann 300.000 solcher Eiswürfel.

Eines der schlimmsten Szenarien

"Obwohl alle untersuchten Regionen Eis verloren, hat sich der Schwund in der Antarktis und in Grönlands am stärksten beschleunigt", sagt Thomas Slater, Hauptautor der Studie vom Leeds Center for Polar Observation and Modeling. "Die Entwicklung der polaren Gletscher folgen damit mittlerweile den schlimmsten Szenarien der Klimaerwärmung, die vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) festgelegt wurden." Der Anstieg des Meeresspiegels als Folge der fortdauernden Eisschmelze in dieser Größenordnung würde in diesem Jahrhundert noch zu sehr schwerwiegende Auswirkungen für Küstenbewohner führen, prophezeien die Wissenschafter.

Die Grafik zeigt die durchschnittliche Änderungsrate der Eisdicke in der südlichen (links) und nördlichen (rechts) Hemisphäre zwischen 1992-2017.
Grafik: The Cryosphere/Thomas Slater et al.

Hauptursache für die beschleunigte Eisschmelze sei die Erwärmung der Atmosphäre und der Ozeane, deren Temperaturen seit 1980 um 0,26 Grad Celsius bzw. 0,12 Grad Celsius pro Jahrzehnt angestiegen sind. Im Untersuchungszeitraum zwischen 1994 und 2017 stellten die Wissenschafter einen Verlust von 7,6 Billionen Tonnen von arktischem und 6,5 Billionen Tonnen antarktischem Meereis.

35 Millimeter Meeresspiegelzuwachs

"Dieses Schmelzwasser trägt nicht unmittelbar zum Anstieg des Meeresspiegels bei, hat jedoch einen indirekten Einfluss", erklärt Isobel Lawrence, Mitautorin der Studie. "Eine der Schlüsselrollen des arktischen Meereises besteht darin, die Sonnenstrahlung zurück in den Weltraum zu reflektieren, um die Arktis kühl zu halten." Im selben Maße wie das Meereis schrumpft, wird mehr Sonnenenergie von den Ozeanen und der Atmosphäre absorbiert, wodurch sich die Arktis schneller erwärmt als irgend eine andere Region der Erde.

Video: Der globale Eisverlust zwischen 1994 und 2017.
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Die Hälfte aller Verluste entfiel auf Eis an Land – darunter 6,1 Billionen Tonnen von Gebirgsgletschern, 3,8 Billionen Tonnen von der grönländischen Eisdecke und 2,5 Billionen Tonnen von der antarktischen Eisdecke. Diese Verluste haben den globalen Meeresspiegel um 35 Millimeter erhöht. Wissenschafter schätzen, dass für jeden Zentimeter rund eine Million Menschen in Küstenregionen in Gefahr sind, vom Meeresanstieg vertrieben zu werden. (tberg, 3.2.2021)