Die Ehe der Wiener Sängerin Izraa (28) hielt der monatelangen Trennung nicht Stand. Sie hat sich von ihrem im Ausland lebenden Partner getrennt.

Foto: Izraa (privat)

Donnerstagabend, 19 Uhr. Hubert S. setzt sich mit einem Gläschen Wein vor den Laptop. Auf dem Bildschirm taucht Kristin auf, seine Partnerin. Er wohnt im Burgenland, sie lebt in Island. Seit 14 Jahren sind sie ein Paar, sie leben eine Fernbeziehung. Doch vor Corona sahen sie sich jeden Monat, flogen abwechseln hin und her. Nun beschränkt sich ihr Kontakt wegen der Reisebeschränkungen auf Videotelefonate. "Natürlich vermisse ich den physischen Kontakt zu Kristin", sagt der sechzigjährige Winzer. "Aber wir sind optimistisch, dass dies bald wieder möglich ist."

Wie Hubert und Kristin sind derzeit Menschen auf der ganzen Welt durch die Pandemie von ihren im Ausland lebenden Familien getrennt. Fernbeziehungen sind ohnehin eine Herausforderung, die eingeschränkte Reisefreiheit bringt Paare allerdings an ihre nervlichen und finanziellen Grenzen. Vor allem dann, wenn ein Visum nötig ist, um überhaupt nach Österreich einreisen zu können. Nicht jede Beziehung übersteht diese Belastung – für Sängerin Izraa (im Protokoll unten) und ihren tunesischen Mann führte sie zur Scheidung.

Doch nicht nur Paare, auch Eltern, Großeltern und Geschwister leiden unter der wochen- oder monatelangen Trennung. Tausende Österreicher haben Verwandte im Ausland. Und sie mussten Geburtstage und Familienfeste in den letzten Monaten alleine verbringen. Das Schlimmste für die meisten: die Ungewissheit, wann Treffen wieder möglich sind – und ob man alte und kranke Angehörige überhaupt noch einmal wiedersehen wird.

Viele haben Angehörige verloren, ohne sich wirklich verabschieden zu können, weil die Grenzen geschlossen waren oder der Zugang zum Krankenhaus verwehrt wurde.

In persönlichen Protokollen schildern sechs Menschen ihre Trennungsgeschichte – und wie sehr sie dieser Zustand an ihre nervlichen Grenzen bringt. (Nadja Kupsa, 27.1.2021)


"Unsere Ehe ist an der Pandemie zerbrochen"

Izraa (28) aus Wien, Eventmanagerin und Sängerin

"Mein Mann und ich haben gemeinsam in Tunesien gelebt, bis ich letztes Jahr für einen Job als Eventmanagerin zurück nach Wien ging. Er wollte nachkommen, doch plötzlich hat Corona all unsere Lebenspläne über den Haufen geschmissen: Ich habe meinen Job verloren. Damit war es unmöglich, das Mindestgehalt aufzubringen, um meinen Mann nach Österreich zu holen. Wir haben uns monatelang nicht gesehen, ich wurde depressiv, und mir ging es auch körperlich immer schlechter.

Kein Job, kein Mann, keine Familie. Ich fühlte mich unglaublich einsam und unter Druck gesetzt. Alles hing von mir ab. Ich bettelte bei den Behörden, doch die Anträge für die Aufenthaltsgenehmigung meines Mannes wurden mehrmals abgelehnt.

Unveränderte Infektionszahlen, ein Lockdown nach dem anderen, steigende Arbeitslosenzahlen: Irgendwann wusste ich, dass das Ganze für uns aussichtslos ist. Ich habe die Beziehung beendet, denn ansonsten wäre ich psychisch daran zugrunde gegangen.

All diese Geschehnisse, den Trennungsschmerz und die Gefühle der Einsamkeit habe ich dann in einem Song verarbeitet. Ich habe in den letzten Monaten gemerkt, dass es mein großer Wunsch ist, Musik zu machen. Das ist vielleicht der Vorteil, den die Pandemie brachte: Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken und weiß nun genau, was ich will – und was nicht."


"Ich wollte so gern Tschüss zu Mama sagen"

Gesine (43) aus Wien, Unternehmerin

"Es war mitten im Lockdown im April: Mein Mann und ich saßen gerade spätabends beim Puzzeln, als ich plötzlich einen Anruf aus Deutschland bekam. Es war das Krankenhaus in Bayern mit der Nachricht, dass meine 74-jährige Mutter mit Verdacht auf Corona eingeliefert wurde. Wir packten sofort die Taschen und stiegen ins Auto. Als wir beim Krankenhaus ankamen, wurde meine Mutter bereits in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt, an der Rezeption wurden wir aufgehalten: "Wegen Corona dürfen die Patienten nicht besucht werden." Ich weiß noch, wie ich dort stand, völlig überfordert, nur wenige Meter von meiner Mama entfernt und am Krankenhausgebäude zu den Fenstern hochsah. Meine Gedanken: Was, wenn sie jetzt stirbt? Ich stehe hier unten – und sie liegt da oben allein. Ich möchte zu ihr und Tschüss sagen. Doch es gab keine Chance. Mein Mann hat mich ins Auto gepackt und wir sind zu ihrem Haus gefahren, als auch schon der Anruf kam, dass sie die Nacht nicht überleben wird. Was sie genau hat, das wusste zu dem Zeitpunkt niemand. Der Oberarzt meinte, am Ende ist es egal, woran sie verstorben ist. Das stimmt, an den Schmerzen ändert es nur wenig.

Es gibt aber noch immer Momente, da weine ich und denke: Ich hätte mich so gerne verabschiedet, ihr das Gefühl gegeben, dass ich da bin. Seit Mamas Tod lebt ihr Hund Bobo bei uns, er tröstet mich."


"Ich fühle mich von meinem Sohn weggesperrt"

Karoline*, (79) aus Baden, Pensionistin

"Ich lebe allein in Österreich, mein einziger Sohn hat sein berufliches Glück im Ausland gefunden. Sein Vater ist schon gestorben, meine Eltern auch. Irgendwie bin ich hier übrig geblieben. Das ist so in meinem Alter, auch die Freunde sterben weg. Es war mir aber nie ein Problem, allein zu leben. Einsamkeit kannte ich bislang nicht, doch diese Pandemie hat alles verändert. Die räumliche Trennung von meinem Sohn konnte ich all die Jahre gut akzeptieren, ich habe Respekt vor seinem frei gewählten Leben und wünsche mir als Mutter nichts anderes als sein Lebensglück, seine Zufriedenheit. Und da war ja all die Jahre das Bewusstsein im Hinterkopf, dass die 1000 Kilometer Entfernung per Flugzeug oder Bahn jederzeit überbrückt werden können. Dass da stets eine offene Tür – der Weg zueinander – immer möglich ist.

So war es auch in den ersten Monaten der Pandemie, wir telefonierten viel miteinander und wussten, die Landesgrenzen sind nicht gesperrt. Mit einem PCR-Test konnte man einreisen nach Österreich. Dass es überhaupt jemals dazu kommen würde, selbst den Kindern den Weg zu ihren Eltern zu versperren, war für mich ganz und gar undenkbar. Ich dachte, zumindest zu Weihnachten würde ich meinen Sohn wiedersehen können. Bis Anfang Dezember freuten wir uns auf das gemeinsame Fest, bis der harte Schlag kam – die verschärften Einreisebestimmungen, die zehntägige Quarantäne, für alle, auch für Österreicher im Ausland, auch für die engsten Angehörigen, die Kinder. Da fiel bei mir im Hinterkopf diese stets offene Türe knallhart zu. Zum ersten Mal im Leben war ich von meinem Sohn abgetrennt, weggesperrt.

Das Gefühl kann ich nicht beschreiben. Ich hoffte zunächst noch auf eine Ausnahmeregelung. So kalt und hartherzig können die in der Regierung doch nicht sein, sind ja auch Menschen, dachte ich mir. Zumindest der Bundespräsident ist ein Mensch mit Herz, ja, ihn werde ich um Hilfe bitten. Auf seiner Homepage gibt es eine Seite "Ein offenes Ohr für Ihre Anliegen" mit der Einladung, in das Kontaktformular das Anliegen gleich einzutippen. Das tat ich im Vertrauen auf die Menschlichkeit. Und tatsächlich bekam ich schon am nächsten Tag eine Antwort von der Präsidentschaftskanzlei. "Der Herr Bundespräsident hat Verständnis für Ihre persönliche Betroffenheit" hieß es da. Und weiter: "Eine Note der Präsidentschaftskanzlei ist an das Kabinett von Herrn Bundesminister Rudolf Anschober mit der Bitte um Prüfung und direkte Kontaktnahme mit Ihnen ergangen." Mein Schreiben wurde im Auftrag des Bundespräsidenten an das zuständige Sozial- und Gesundheitsministerium weitergeleitet. Die Tür blieb allerdings zu, wie wir inzwischen alle wissen. Es kam auch kein Ton, kein noch so kleines Zeichen vom Gesundheitsministerium.

Dass ich Weihnachten allein sein würde, war nicht mein größtes Problem, aber der ohne Ablaufdatum bis auf weiteres versperrte Weg zu meinem Sohn, diese zugefallene Tür in meinem Hinterkopf machte mir Schmerzen und macht sie mir noch immer, unaufhörlich, bis heute. Wir haben uns damit getröstet, das ausgefallene Weihnachtsfest bald, noch im Winter, nachzuholen, mit allen heimatlichen Bräuchen, mit Christbaum, Kerzen, Glöckchen und Liedern. Am Heiligen Abend telefonierten wir eine ganze Stunde miteinander und stärkten uns gegenseitig in der Zuversicht, sehr bald schon das Versäumte nachzuholen. Darüber, wie lange diese Trennung noch dauern wird, denke ich nicht mehr nach. Ich packe gerade ein großes Paket mit den Weihnachtsgeschenken und schicke es noch diese Woche ab an Sohn und Schwiegertochter, die dasselbe Schicksal mit ihrer Herkunftsfamilie in Österreich erleidet.

Was mir am meisten neben der Trennung zu schaffen macht, ist die Stigmatisierung zur Hochrisikoperson, zur Todeskandidatin, mit oder ohne Impfung, allein wegen des Alters. Ich weiß, ich muss mir diesen Schuh nicht anziehen, ich bin gesund und selbständig. Nie zuvor habe ich mich gefährdet und hinfällig gesehen. Das Alter ist nur eine Jahreszahl, solange mich die Kreativität samt Energie nicht verläßt. Wenn einem aber tagtäglich seit einem Jahr schon die Angst vor schwerer Krankheit durch das Virus bis hin zum Tod eingehämmert wird, wenn sogar die Kinder und Kindeskinder aufgerufen wurden, es läge jetzt an ihnen, ihre Eltern und Großeltern zu schützen, ja ihnen durch Verzicht auf Besuche sogar das Leben zu retten, dann mischt sich zu aller Bedrückung der blanke Zorn dazu, den Kindern und Enkelkindern eine solche Last aufzubürden.

Ich wünsche mir von der Politik in erster Linie Ehrlichkeit, Verständnis und Menschlichkeit besonders in Grenzfällen – und das ohne PR und Show. Es fällt keinem ein Stein aus der Krone, wenn Fehler, die zwangsläufig in einer solchen Ausnahmesituation passieren, auch zugegeben und bedauert werden. Wir können dieses Virus nur gemeinsam besiegen, nur in gegenseitigem Vertrauen, dass wir es schaffen. Mein Vertrauen in die Politik ist – wie man unschwer hier erkennen kann – auf den Nullpunkt gesunken."


"Meine Großmutter nicht zu sehen belastet mich sehr"

Finn (30), Wien, Softwarevertrieb

"Ich lebe und arbeite seit einigen Jahren in Wien und meine gesamte Familie in Hamburg. Für mich war es natürlich immer schon schwieriger, meine Familienmitglieder zu sehen, weil sie über 1.000 Kilometer entfernt wohnen. Da war es zu Beginn der Pandemie auch nicht so schlimm, als die ersten Geburtstage und Feste ins Wasser fielen. Als dann die ersten Reisebeschränkungen kamen und die Grenzen zu Deutschland erstmals dichtgemacht wurden, war das nicht mehr so entspannt.

Zu meinem 30. Geburtstag im Oktober hatten schon alle Flüge gebucht und wollten zu uns nach Wien kommen. Das ist natürlich dann wieder ins Wasser gefallen, weil es etwa für meine Geschwister beruflich gar nicht vereinbar wäre, dass sie dann zehn Tage in Heimquarantäne gehen. Weihnachten war es das Gleiche. Die Regelungen haben ein Treffen unmöglich gemacht.

Was ich jetzt total belastend finde, ist, dass ich gar nicht mehr weiß, ob ich meine Familie demnächst überhaupt sehe. Es ist diese Ungewissheit, die einen so fertig macht. Besonders schwer ist die Trennung für mich gerade jetzt: Meiner Großmutter geht es nicht gut, die hat starken Diabetes. Sie nicht zu sehen ist sehr belastend für mich. Zum einen, weil ich weiß, dass sie Corona-Hochrisikoperson ist, und zum anderen, weil ich nicht weiß, wie lange sie überhaupt noch leben wird."


"Meine Tochter hat ihren Vater Monate nicht gesehen"

Michaela (35) aus Lienz, Sozialarbeiterin

"Mein Mann und ich haben uns bei der Arbeit in Tansania kennengelernt. 2019 kam unsere Tochter zur Welt, wir hatten vor, unseren Lebensmittelpunkt nach Österreich zu verlegen. Als mein Mann dann letztes Jahr im März, also kurz vor dem ersten Lockdown, zurück nach Tansania geflogen ist, wussten wir nicht, was auf uns zukommen würde: Die Österreichische Botschaft in Kenia blieb wegen Corona geschlossen, und damit war es für ihn nicht mehr möglich, an ein Visum zu kommen. Ich war mit Baby alleine in Tirol, er saß in Tansania fest. Wir haben versucht, mit Politikern zu sprechen, mit NGOs, mit Medien, in der Hoffnung, dass uns jemand helfen würde. Vergeblich. Unsere Tochter war zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ein Jahr alt. Ich hatte wirklich Sorge, dass sie ihren Vater beim Wiedersehen gar nicht mehr erkennen würde.

Im September hat er es dann endlich nach Österreich geschafft. Nun darf er bis Ende Februar hier bleiben. Und wir stehen vor der nächsten großen Herausforderung: Inmitten einer wirtschaftlichen Krise einen Job für ihn zu finden. Wenn er es in den nächsten Wochen nicht schafft, eine Einstellungszusage für ein Jahr zu bekommen, haben wir als Familie keine Chance. Wir stehen total unter Druck. Und es macht mich so wütend und traurig, dass meine Tochter null Rechte darauf hat, ihren Vater bei sich zu haben."


"Wir reden mehr als die meisten Paare"

Hubert (60), Breitenbrunn, Winzer

"Ich habe meine Partnerin Kristin 1983 das erste Mal als junger Student auf Reisen in Island kennengelernt. Vor 14 Jahren sind wir uns dann wieder begegnet und wurden ein Paar. Seither leben wir in wilder Ehe – und führen eine Fernbeziehung. Sie lebt in Island, ich im Burgenland. Längere Trennungen sind wir demnach gewöhnt. Dennoch sehen wir uns normalerweise monatlich, fliegen abwechselnd hin und her, da ich auch beruflich in Island zu tun habe. Seit der Pandemie hat sich das verändert. Von Jänner bis Juni hat sich unser Kontakt auf Telefonate beschränkt. Das Problem sind derzeit die eingeschränkten Flugverbindungen und Reisebedingungen. Aber für uns als langjähriges Paar ist all das nicht so schlimm. Denn wir reden dennoch sehr viel miteinander, vielleicht sogar mehr als die meisten Paare, die zusammenleben. Das geht nur, indem man sich auch wirklich abends hinsetzt und sich Zeit nimmt für das Gespräch über die Webcam.

In zwei Ländern, quasi in zwei Welten zu leben, kann mitunter auch anstrengend sein und verursacht gelegentlich Termindruck. Dank Corona hatte ich mehr Zeit, mich um meine Weingärten zu kümmern und das Wiedersehen mit Kristin war nach längerer Trennung umso schöner und erfüllender.

Ich bin bisher noch recht optimistisch, dass regelmäßige physische Treffen bald wieder möglich sein werden. Ich sehe, dass man in Island sehr schnelle und gute Fortschritte macht. Die werden ganz schnell mit dem Durchimpfen der Bevölkerung fertig sein. Dann ist es nicht mehr schwer, zwischen Island und Österreich hin und her zu reisen."


*Name wurde geändert