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Emmanuel Macron hat in der Kampagne 2022 wohl vor allem eine Gegnerin: Marine Le Pen
Foto: REUTERS/Pedro Nunes

Die erste ernstzunehmende Erhebung zur französischen Präsidentenwahl im Frühjahr 2022 hat viele überrascht: Die Rechtsextreme Marine Le Pen würde gemäß dem Institut Harris den ersten Wahlgang mit 27 Prozent der Stimmen vor Staatschef Emmanuel Macron mit 24 Prozent gewinnen. Abgeschlagen würden die Konservativen Xavier Bertrand (16 Prozent) und Valérie Pécresse (14) folgen, vor den Linkspolitikern Jean-Luc Mélenchon (11) und Anne Hidalgo (7) und dem Grünen Yannick Jadot (8). Die Stichwahl wurde nicht nachgefragt

Le Pen steigert sich damit gegenüber dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahl von 2017, als sie 21,6 Prozent erhielt. Politologen glaubten im Gegenteil, der Trump-Effekt sei verpufft und die Covid-Krise für Le Pen ein politischer Rückschlag. Opportunistisch stellt sie sich einmal gegen die Massenimpfung, dann wieder dahinter; und auch gegenüber den Verschwörungstheoretikern inner- und außerhalb ihrer Partei findet sie keine klare Linie.

Warum startet Le Pen dennoch aus der Führungsposition in das mehr als einjährige Rennen? Zum einen wohl, weil ihr Hauptwidersacher Macron keine gute Corona-Figur macht: In allen Fragen – Schutzmasken, Tests und Impfung – erweist er sich als erstaunlich unsicherer Krisenmanager.

Der Schein trügt

Zum anderen trügt der Schein. Le Pen, die seit zehn Jahren an der Spitze des Rassemblement National (früher Front National) steht, hat zwar heute eine solide Wählerschaft bei Globalisierungsgegnern, Arbeitern und jungen Arbeitslosen. Doch die Mittelklasse und die älteren Jahrgänge bleiben ihr weitgehend verschlossen. Im zweiten Präsidentschaftswahlgang scheint eine Stimmenmehrheit für sie nach wie vor unerreichbar. Seit ihrem verpatzten TV-Duell von 2017 gegen Macron schreckt sie gemäßigtere Wähler nicht nur mit ihren Hasstiraden ab, sondern auch wegen ihrer fachlichen Inkompetenz.

Macron können Le Pens gute Umfrageresultate nur recht sein. Er stilisiert die französische Königswahl bewusst zu einem Glaubenskrieg zwischen bornierten Nationalisten und liberalen Demokraten. Damit sucht er Rechts- und Linkskandidaten auszuschalten, die ihm im zweiten Wahlgang dank der Stimmübertragung bedeutend gefährlicher werden könnten als Le Pen.

Die neueste Umfrage macht auch deutlich, wie gut es den gegenseitigen Wunschgegnern Le Pen und Macron gelingt, das Präsidentschaftsrennen schon jetzt auf ein Duell zu reduzieren. Die klassischen Links- und Rechtsparteien lehnen sich zwar wütend gegen diese Konstellation auf – doch neue Köpfe haben es schwer. Am ehesten noch könnte eine weitere weibliche Kandidatur – Hidalgo oder Pécresse – die Dominanz des Paares Macron / Le Pen sprengen. (Stefan Brändle aus Paris, 26.1.2021)