Manche Fragen sind ja mehr Antwort oder Statement als echte Fragen. Und wenn man den oder die FragestellerIn nicht vor den Kopf stoßen will, sollte die Antwort dann vorsichtig und diplomatisch gegeben werden.

Besonders, wenn Fragen im Tripel- oder Doppelpack kommen: Einfach daheim versacken sei doch auch okay, oder? Weil das alles nur noch zach ist. Weil man vor lauter Herumsitzen nur noch Energie hat, irgendwas aus dem Fenster … oder kaputtzuschlagen.

"Wie schaffst du das, dich in der 578. Lockdown-Woche motiviert zu halten?" Weil – wie unlängst eine Fragende sagte – es immer schwerer werde, den Klimmzug aus dem Motivationsloch hinaus zu machen: Der Ringkampf mit dem Schweinehund falle von Tag zu Tag schwerer. Und nicht nur der Hund werde bissiger.

Foto: ©Barbara Strolz

Gute Frage. Berechtigte Frage. Denn nichts ist nerviger als Leute, die einem ständig, immer und überall mit einem fetten Dauergrinser entgegenstrahlen. Leute, die einem vermutlich sogar am Begräbnis der eigenen Mutter noch mit einem fröhlichen Klaps auf die Schulter, irgendwas von "Krise als Chance" oder sonst was Unpassendem "Mut" machen wollen: Nein, sicher nicht. Manchmal ist schwarz einfach schwarz. Und ein Loch eben ein Loch.

Und auch wenn niemand im Vergleich, sondern immer im eigenen Leben lebt, hilft es manchmal dann doch, sich selbst ein paar Dinge klarzumachen. Etwa, dass subjektives Schwarz in einer weiter gefassten Wirklichkeit oft gerade mal mittelgrau ist. Und dass viele vermeintlich bodenlos tiefe Löcher vielleicht doch nur knietief sind, wenn man sich drin nicht resignativ hinlegt – sondern aufsteht.

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Das gilt gerade und auch für, aber noch mehr mit Sport. Beim Laufen sowieso. Dass es eine Binsenweisheit ist, ist mir auch bewusst. Aber wenn es eh so klar ist: Wieso kommt die Statement-Frage dann so oft? Wieso gewinnt der "Mann mit dem Hammer" (oder Säbel) so oft dann doch? Zuletzt, letzte Woche, kam dieses Lamento von einer der Damen einer Firmenlaufgruppe, die ich (wenn nicht gerade Dauerlockdown ist) mitbetreue: Ihr fehle die Gruppe, schrieb sie. Und damit jeder Ansporn, sich zu bewegen. Weil: Wofür? Für wen? Mit welchem Ziel? Sie habe doch eigentlich für den Frauenlauf, ihren ersten 10er, … und so weiter.

Ich verstehe das. Sehr gut sogar. Und schickte der Frau ein paar Links. Den des Eisbärlauf-Cups (ja, auch wenn der erste Lauf der Serie schon vorbei ist), den des Wings for Life Run – und den des Tel-Aviv-Marathons.

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Auch wenn ich selbst alles andere als ein Fan von virtuellen Rennen bin, sind diese besser als ein leerer Wettkampf- oder Eventkalender: Die Eisbärläufe sind Wiens "klassische" Vorbereitungsrennen für den Frühling. Tel Aviv wäre ein erstes Saison-Highlight – mit der (okay: minimalen) Chance, dort für nächstes Jahr einen "echten" Startplatz inklusive Flug zu gewinnen.

Und "Wings for Life", weil es vielleicht ja doch eine minimale Chance gibt, dass der Lauf "in echt" stattfinden könnte. Oder man dann zumindest wieder in kleinen Gruppen organisiert rennen kann: Sogenannte "WFL-App-Runs", also organisierte Gruppenläufe parallel zum Hauptevent, gab es ja auch schon früher, wenn die "richtigen" Läufe aus- und überbucht waren. Und falls im Mai immer noch die Solo- oder Bezugspersonen-only-Regeln gelten sollten, kann man ja auch allein gegen die App rennen – und hatte einen Grund, sich vorzubereiten.

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Wobei auch das Alleinlaufen im Rudel funktioniert. Und da rede ich nicht von jenen Laufgruppen, die sich "zufällig" mit ihren BetreuerInnen, Pacern oder TrainerInnen irgendwo treffen und dann als kompakte Achtergruppe "zufällig" gemeinsam unterwegs sind: Ungeachtet der Frage, ob man sich beim Laufen oder beim Sport im Freien generell infizieren kann, und auch ungeachtet der Frage, wieso Nähe beim Eislaufen oder Skifahren kein Problem darstellt, überall anders aber angeblich doch, ist es schlicht und einfach nicht erlaubt. Und einer der Grundsätze eines jeden sozialen Gefüges ist, dass man sich auch an Regeln hält, die einem persönlich nicht sinnvoll, schlüssig oder fair scheinen. Mitunter ja auch, weil sie es nicht sind.

Foto: thomas rottenberg

Aber dieses Diskussion will und werde ich hier nicht führen, sondern stattdessen exemplarisch auf eine jener Laufgruppen verweisen, die per definitionem gegen den "Ennui" der langen Soli gegründet wurden und trotz und gerade im Lockdown bestens funktionieren: den "Weekly Longrun". Der ist zwar von einem Laufschuhshop (dem WeMove Runningstore) initiiert, funktionierte aber seit jeher ohne Kauf-oder-sonst-was-Verpflichtung. Und mitunter liefen da 50 und mehr Menschen in unterschiedlichen Tempogruppen.

Foto: thomas rottenberg

Jetzt, im Lockdown, rennt zwar jeder und jede alleine oder – wie der WLR-Organisator, der Jurist Stefan Langer (in Orange), mit seinem Sohn Nikolaus und seinem Bruder Felix – in der "maximal erlaubten Konstellation", aber über den Whatsapp-Gruppenchat ist die große Bande eben doch zusammen. Und weil Wien (aber das gilt auch für weit größere Städte) ein Laufdorf ist, sieht man sich und einander auch auf den Trampelpfaden der Stadt immer wieder: nein, nicht um dann "zufällig" plötzlich die gleiche Route zu haben, sondern wirklich zufällig. Aber das Du-bist-nicht-allein-Lächeln hält dann meist doch ein paar Kilometer.

Und im Whatsapp-Chat freut man sich dann nachher gleich noch einmal.

Wobei ich zugebe, dass ich die meisten dieser Gruppen mittlerweile auf "stumm" geschaltet habe: So fein es ist, nicht allein zu sein, ist das Dauerbimmeln, wenn alle über ihre Läufe (vollkommen zu Recht) berichten und die der anderen feiern, doch manchmal ein wenig, äh, intensiv.

Foto: Stephan Langer

Ähnlich motivierend funktionieren da ja auch die zahllosen Laufgruppen auf Facebook. Oft redundant ("Hallo, Runnies, ich bin neu hier: Welche Laufuhr ist denn die beste?"), gern rechthaberisch ("Also mit DEM Schuh kann doch kein Mensch laufen") und leider auch immer öfter medizinisch -ferndiagnostisch kaffeesudlesend-anmaßend ("Knieschmerzen? Das ist blablablabla. Da hilft nur blablabla"), meist aber freundlich-launig – und dadurch auch anspornend-motivierend: Wenn da jemand aus Irgendwo-in-Deutschland schreibt, er oder sie sei "stolz wie Bolle", oder aus Wien ein "Oida, mein erster 5k-Run" kommt, hagelt es in der Regel Likes.

Foto: thomas rottenberg

Auch von mir. Weil es um Motivation geht. Genau deshalb stören mich dort aber auch "Heldengeschichten" kein bisserl: Auf Strava, Komoot & Co – und ganz besonders auf den Plattformen der Laufuhrenhersteller – finden sich die, die eh schon ähnlich gestrickt sind, zwar auch, aber in den "niederschwelligen" Social-Media-Gruppen stolpern auch weniger Erfahrene über solche Einträge.

Und erkennen meistens recht rasch, dass viele für sie sur- und irrealen, weil (noch) utopisch-unerreichbaren Zahlen von Leuten kommen, die auch nur ganz normale Hobbyathleten sind.

Menschen, die halt im Vergleich zu ihnen selbst nicht nur "ein bisserl dings", sondern eben "ein bisserl dingser" sind.

Foto: thomas rottenberg

Das sind, blöderweise aber oft Menschen, die genau deshalb mit der Eingangsfrage derer, deren "Dings"-Sein noch nicht so ausgeprägt ist, oft wenig anfangen können: Wenn Bewegung, längst nicht nur Laufen, Teil der individuellen DNA geworden ist, stellt sich irgendwann die Frage "Wie kriegst du deinen Hintern hoch?" nicht mehr oder nur noch selten.

Mehr noch: Unsereiner versteht oft gar nicht, wie es anders sein könnte. "Nicht vom Sofa wegkommen? Was meinst du? Sitzt man dort nicht erst, wenn man richtig ausgepowert ist?"

Foto: thomas rottenberg

Ob das dann nicht auch Sucht ist?

Wenn es Sie glücklich macht: Meinetwegen. Nur: Na und?

Natürlich hat das alles – auch – Suchtcharakter. Trotzdem ist mir diese "Krankheit" mit all ihren Nebenerscheinungen lieber als die gängigen Süchte.

Die erzeugen im Druckkochtopf "Lagerkoller" nämlich sehr rasch ein hochexplosives Amalgam.

Eines, in dem nicht der innere Schweinehund, sondern seine Halterinnen und Halter bissig und aggressiv werden.

Rausgehen, losrennen hilft. Ist ein Ventil.

Auch wenn ich genau das genau denen, die die eingangs gestellte Nichtfrage stellen, so natürlich nie sagen würde.

Weil am durchdrehen natürlich immer nur die anderen sind.

(Tom Rottenberg, 26.1.2021)

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