Hallo oder auf Wiedersehen? Unübersichtliche Lage für Conte.

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In Rom hat ein barockes Procedere begonnen, das in Italien als "crisi al buio" bezeichnet wird – Regierungskrise in der Dunkelheit: Taktische Spielchen, Spekulationen und gezielte Indiskretionen haben Hochkonjunktur. Fest steht einzig, dass Staatspräsident Sergio Mattarella der Steuermann sein wird. Er nahm am Dienstag Giuseppe Contes Rücktrittsschreiben entgegen und führt ab Mittwochnachmittag mit den Parteichefs Gespräche über mögliche Auswege aus der Krise.

Viel steht auf dem Spiel für Italien und Europa. Denn wenn es Mattarella nicht gelingen sollte, Mehrheiten für eine neue Regierung zu finden, wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als vorzeitige Neuwahlen auszuschreiben. Diese würden spätestens im Juni stattfinden – und gewonnen würden sie laut aktuellen Umfragen wohl von der rechtsradikalen Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini und von den postfaschistischen Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni. Das würde dann auch bedeuten, dass der Nachfolger des überzeugten Europäers Mattarella, dessen Amtszeit in einem Jahr ausläuft, von einem neuen Parlament gewählt würde, in dem die Rechtspopulisten und Europafeinde die Mehrheit hätten.

In diesem Fall könnte der große Traum des Silvio Berlusconi in Erfüllung gehen: Der 84-jährige Ex-Premier, der im Zusammenhang mit seinen früheren Sexskandalen immer noch ein Strafverfahren wegen Zeugenbestechung am Hals hat, würde seine lange politische Karriere liebend gerne als Staatspräsident beschließen.

Berlusconi Presidente?

Möglich wäre aber auch, dass Salvini und Meloni bei der Wahl des Mattarella-Nachfolgers einen Euro-Austritt-Theoretiker vom Schlage eines Paolo Savona auf den Schild heben würden. Salvini hatte Savona schon 2018 als Finanzminister durchboxen wollen, das wurde aber von Mattarella abgeblockt.

Das Berlusconi-Savona-Szenario ist derart gruselig, dass es gerade deswegen unwahrscheinlich wird: Die europafreundlichen Parteien und Mattarella werden alles unternehmen, um Neuwahlen zu vermeiden. Der – zumindest auf den ersten Blick – einfachste Ausweg aus der Krise bestünde darin, dass Mattarella dem demissionierten Premier noch eine Chance gibt: Die noch verbliebenen drei Koalitionspartner – die Fünf-Sterne-Bewegung, der sozialdemokratische PD und die linke Kleinpartei LEU – wollen ja Conte weiterhin die Treue halten.

Auch Ex-Premier Matteo Renzi, der mit dem Abzug seiner beiden Ministerinnen aus der Regierung die politische Krise erst ausgelöst hatte, bekräftigte, dass er und seine Minipartei Italia Viva "zu Gesprächen bereit" wären.

Conte selber wünscht sich ohnehin nichts sehnlicher, als gleich wieder in den Palazzo Chigi zurückzukehren. Eine Regierung mit den alten Koalitionspartnern und dem alten Premier müsste aber auch neue Bundesgenossen finden, um den Stabilitätsansprüchen zu genügen, die Mattarella zweifellos an eine Regierung Conte III stellen würde.

Ist "Ursula" die Lösung?

Alles andere als unwahrscheinlich ist aber auch die Bildung einer sogenannten "Ursula-Regierung": Der neuen Koalition würden dann alle Parteien angehören, die im Juli 2019 bei der Bestellung des EU-Kommissionspräsidiums für Ursula von der Leyen gestimmt hatten. Das wären die bisherigen Koalitionspartner Contes plus die Christdemokraten sowie die Forza Italia von Silvio Berlusconi.

Keine Unterstützung hätte "Ursula" von der Lega und von den Fratelli d’Italia zu erwarten, was nicht weiter tragisch wäre, da die beiden Parteien über weniger als ein Viertel aller Sitze verfügen. Theoretisch könnte eine Ursula-Koalition von Conte angeführt werden; im Gespräch ist unter anderem aber auch die parteilose Innenministerin Luciana Lamorgese. Sie wäre die erste Frau an der Spitze einer Regierung.

Es gibt auch noch einen weiteren Grund, warum Neuwahlen unwahrscheinlich sind, und der ist gleichzeitig der wichtigste: Seit den Parlamentswahlen 2018 ist eine Reduktion der Zahl der Parlamentssitze um 345 auf 600 beschlossen worden. Hunderte Abgeordnete müssten bei Neuwahlen deshalb um ihre Wiederwahl bangen, ganz besonders die "Grillini": Die Fünf-Sterne-Bewegung Beppe Grillos ist mit 33 Prozent der Stimmen die stärkste Partei geworden und kommt in den Umfragen heute bloß noch auf die Hälfte. Unter den Abgeordneten und Senatoren der Fünf Sterne herrscht Panikstimmung: Sie werden wohl jede neue Regierung unterstützen, wenn sie damit ihre Sessel retten können. Dennoch: Prognosen wagt in Rom derzeit niemand – sonst wäre es ja auch keine "crisi al buio". (Dominik Straub aus Rom, 26.1.2021)