Melisa Erkurt startet "Die Chefredaktion".

Foto: STANDARD/Heribert Corn

Es seien ohnehin oft dieselben Themen, es mache aber einen großen Unterschied, wer sie wie und für wen aufbereitet: Die Journalistin Melisa Erkurt hat sich Ende des Jahres vom ORF-Politikmagazin Report verabschiedet, um ein neues Medienprojekt für die junge Zielgruppe von 14 bis 24 Jahren zu gründen. Es geht am Mittwoch als Instagram-Account an den Start, heißt Die Chefredaktion und soll politische und gesellschaftsrelevante Themen aufgreifen, aber mit einem anderen Fokus: "Jetzt ist die Realität im Journalismus nicht abgebildet. Bei uns wird selbstverständlich jeder Zweite oder Dritte Migrationshintergrund haben." Es werden sowohl Akademiker- als auch Arbeiterkinder mitarbeiten.

Das Alleinstellungsmerkmal sei, "dass wir nicht nur Storys für junge Leute machen, sondern sie immer ins Making-of einbeziehen", sagt Erkurt zum STANDARD. "Alle sind dabei, wenn die Redaktion gegründet wird. Es ist ein Experiment."

Im Vordergrund publizieren

Transparenz ist das Credo. "Man sieht nicht nur die Geschichte, sondern auch, wie sie entstanden ist." Und bekommt von Anfang an Hintergrundinfos serviert wie: "Gibt es wirklich so wenige Migranten, wie viele behaupten? Wie viele Leute haben mir abgesagt? Wieso interviewe ich diesen Politiker? Welcher Politiker hat mir das Du-Wort angeboten? Zu welchen Hintergrundgesprächen ist Die Chefredaktion eingeladen worden und zu welchen nicht?" Am Ende stünden die Geschichten, die nicht tagesaktuell, sondern anfangs als Wochenthema veröffentlicht werden, so Erkurt. Mit der Option auf Verdichtung, sollte das Projekt gut laufen.

Der Name Die Chefredaktion wurde gewählt, um die Verhältnisse in der Medienbranche umzukehren: "Menschen mit Migrationsbiografie und junge Menschen schaffen es normalerweise nicht in die Chefredaktion, jetzt haben sie eine eigene." Hinter der Chefredaktion steht das Biber Newcomer Netzwerk (BNN), das Erkurt für das Magazin Biber aufbaut, das aber redaktionell unabhängig agieren soll. Das Konzept dafür hat sie gemeinsam mit dem damaligen Biber-Gründer und jetzigen Geschäftsführer des fjum_forum journalismus und medien, Simon Kravagna, entwickelt. Erkurt: "Ich konzentriere mich nicht auf Migranten-only-Themen, sondern auf die junge Zielgruppe, die ist sowieso divers."

Journalismusprojekt an Schulen

Die Journalistin und Buchautorin (Generation haram: Warum Schule lernen muss, allen eine Stimme zu geben) war viele Jahre bei Biber, das sich laut Eigendefinition an "Menschen mit und ohne Migrationshintergrund" richtet. Erkurt hat dort das Journalismusprojekt an Schulen geleitet: "Ich konnte sehen, welchen Journalismus die Jungen wollen." 95 Prozent der Schüler hätten bei ihren Umfragen angegeben, dass sie sich über Instagram informieren. Auf der Foto- und Videoplattform, die Facebook gehört, seien alle gesellschaftlichen Schichten vertreten, so die Journalistin, die in Sarajevo geboren wurde.

Erkurt, derzeit noch als One -Woman-Team mit nur einer Praktikantin unterwegs, verantwortet bei der Chefredaktion die Entwicklung journalistischer Formate sowie das Talentscouting. "Hauptsächlich möchte ich mit Schülerinnen und Schülern und Studierenden zusammenarbeiten, ich bin mit Abstand die Älteste", sagt die 29-Jährige. "Ich rekrutiere Leute, die Storys produzieren." Selbstverständlich gegen Bezahlung. Der Fokus liegt auf Video. Die Chefredaktion soll nur der erste Schritt sein, weitere Formate – auch auf anderen Plattformen – könnten folgen.

Als Medium etablieren

Die finanzielle Startrampe ist eine Förderung von 200.000 Euro von der Mega Bildungsstiftung. In weiterer Folge hofft Erkurt auf eine Unterstützung durch die Wiener Medieninitiative, bei der das Projekt eingereicht wurde. Als dritte Säule soll ein Supporters-Modell fungieren: "Wir wollen Leute ins Boot holen, denen es wichtig ist, dass junge Menschen, die sonst eher keine Medien konsumieren, erreicht werden." Und das seien viele, so Erkurt. (Oliver Mark, 27.1.2021)