Julian H. im Vordergrund, hinten Strache und Gudenus in der Finca auf Ibiza

Foto: Spiegel/SZ

Im Juli 2017 betreten der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, sein Vize Johann Gudenus und dessen Ehefrau eine Finca auf Ibiza, um mit der Oligarchennichte Alyona Makarowa und deren Begleiter Julian H. über Deals zu sprechen. Zwei Jahre später, als Strache Vizekanzler ist, erscheinen Videoaufnahmen dieses Abends. Orchestriert hat die Aktion der Sicherheitsberater Julian H., der mittlerweile in Berlin in Haft ist; gemeinsam mit einer vermeintlichen Oligarchennichte. "Es war unglaublich", wie einfach Strache auf die Finca zu locken gewesen sei, erzählt H. dem STANDARD, der ihn telefonisch über Umwege im Gefängnis in Berlin erreicht – es ist das erste Interview, das er einem österreichischen Medium gibt.

Schon gehört? STANDARD-Journalist Fabian Schmid erklärt im Podcast, wie es zu dem Interview mit Julian H. kam und was wir bisher nicht wussten.

STANDARD: Wie kommt man auf die Idee, zwei hochrangige Politiker so hereinzulegen?

H.: Ich habe den Wiener Anwalt M. kennengelernt und mit ihm zusammengearbeitet. Einer seiner Mandanten war R., Straches Bodyguard. Ende 2015 ließ M. Informationen über Material fallen, das ihm zur Verfügung gestellt worden war und das einen Politiker belasten würde. Irgendwann bekam ich das Material zur Ansicht. Ich habe es gesichtet, mir war die Brisanz klar – aber das Material bewies nichts. Es war maximal dazu da, die Glaubwürdigkeit von R.s Aussagen zu stützen; aber selbst da stand es dann Aussage gegen Aussage.

STANDARD: Dann infiltrierten Sie die FPÖ-Spitze, um mehr Material zu erlangen?

H.: Im Sommer 2016 entstand über ein paar Drinks die Idee, Strache wegen seines angeblichen Drogenkonsums (Strache bestritt diesen stets, Anm.) auffliegen zu lassen. Wir unternahmen einen halbherzigen Versuch, Strache bei einer Veranstaltung näherzukommen. Das war eher amateurhaft und nicht ernst gemeint. Wir haben uns dann gegenseitig gehäkelt und gehänselt damit, dass wir Strache nicht erwischen. Dann kam es zu einem Disput zwischen Anwalt M. und mir, bei dem er mir vorwarf, ich käme bei der Strache-Geschichte nicht weiter und sei wohl nicht gut genug. Ich antwortete, dass ja kein Budget da sei. Er fragte, was ich brauchte, und ich warf eine Nummer in den Raum.

STANDARD: So entstand die Idee mit der falschen Oligarchennichte, die Interesse an einem Grundstück von Gudenus hatte?

H.: Ich sagte, das Wichtigste sei "Access, Access, Access", und M. meinte, Gudenus käme dafür am ehesten infrage. Von dem hatte ich damals noch überhaupt nicht gehört. Nachdem ich ihn mir näher betrachtet hatte, schien er relativ geeignet. M. kannte eine Maklerin, die wiederum Gudenus kannte, wir waren uns gegenseitig anfangs unsympathisch. Ich hatte am Anfang beschlossen, nicht aktiv an der Sache teilzunehmen. Ich wollte die Sachen planen und Bekannte überzeugen, das auszuführen. Das war ja noch weitaus harmloser angelegt: Wir dachten, wir gehen mit denen teuer essen und schauen, was sie konsumieren und reden, und im besten Fall kommt Strache dazu.

***********

Zu dem Material, das der Bodyguard seinem Anwalt übergeben hat, gehören auch Fotos von Sporttaschen voller Bargeld in Straches Auto. Diese sollen aus Osteuropa stammen. Julian H. erweitert nun seine Aktion um einen Russland-Aspekt und "erfindet" die falsche Oligarchennichte Alyona Makarowa. Sie trifft im März 2017 erstmals auf das Ehepaar Gudenus.

STANDARD: Wie lief das erste Treffen ab?

H.: Ich habe diese Russin überzeugt, mir behilflich zu sein. Beim ersten Treffen habe ich gleich das ganze Budget verballert. Das hat für großen Eindruck gesorgt. Der Abend wäre ein Erfolg gewesen, aber ich habe noch nie mit Aufnahmetechnik gearbeitet; ich war da komplett grün hinter den Ohren. Ich hatte vergessen, die Kameras mit SD-Karten zu bestücken, es gab keine Aufnahmen. Das fiel erst am nächsten Tag auf, und dementsprechend ist Anwalt M. dann explodiert.

***********

Julian H. spielt ab dann den Übersetzer und Berater der Oligarchennichte. Diese gab an, eine "Menge Schwarzgeld" russischen Ursprungs zu besitzen, das sie in die EU einschleusen wolle. Dafür seien Banken ohne allzu scharfe Kontrollmechanismen, Investmentmöglichkeiten und lasche Behörden nötig. Man plant, gemeinsam mit Gudenus Firmen aufzusetzen, die mit Immobilien handeln. Deren Werte sollten "aufgeblasen" werden, um "Geldflüsse" zu verschleiern – Gudenus bestreitet solche Vorwürfe. Im April 2017 sollten laut H. im Wiener Sofitel die Verträge für diesen Deal unterzeichnet werden.

STANDARD: Warum klappte der Deal nicht?

H.: Gudenus’ Ehefrau Tajana meldete Bedenken an. Die Verträge waren offenbar inhaltlich zu heikel.

STANDARD: Man hat den Eindruck, Tajana Gudenus war ja auch im Video die Einzige, die immer wieder skeptisch war?

H.: Absolut, sie war so alarmiert, dass wir nach Ibiza geprüft haben, ob sie eine Nähe zu Nachrichtendiensten auf dem Balkan hat. Auch im Ibiza-Video gibt es zwei Sequenzen, wo sie viel zu lang in die Kamera schaut. Sie mag einen fragwürdigen Geschmack bei der Wahl ihrer Männer haben, aber sie war fit.

***********

Spätabends soll Gudenus im Sofitel dann den Ankauf von Anteilen an der Krone durch die Oligarchennichte ins Spiel gebracht haben. H. sei "klar geworden", dass die Sache nun "eine neue Dimension" annehme. Ab da investierte er mehr Zeit. Drei Monate später kommt es dann zum Treffen in der ibizenkischen Finca.

STANDARD: Als Strache und Gudenus bei der Finca ankamen, haben Sie sich gedacht, das war leichter als gedacht?

H.: Aus meiner sicherheitstechnischen Perspektive war es unglaublich, dass man mit jemandem, der wohl bald in der Regierung sein würde, so leicht ein solches Treffen arrangieren konnte. Gudenus hatte von mir immer nur einen Vornamen und eine Wegwerfnummer. Gudenus’ Bodyguard hatte ich einmal meine Visitenkarte überlassen, aber soweit mir bekannt war, hat der sie ihm nie gezeigt. Ab und zu gab es Andeutungen, dass er und das Ehepaar Gudenus einen Pass sehen wollten, aber da konnte ich abbiegen und erklären, ich sei selbst nur wegen der Freundschaft zur Makarowa da und hätte daher keine Motivation, meine Reputation oder Firma zu riskieren.

STANDARD: Die Oligarchennichte wirkt perfekt gebrieft. Wie viel Training hatte sie?

H.: Tatsächlich gab es nur ein einstündiges Briefing vor Ibiza, in dem es um die Wasserrechte ging, weil das juristisch komplexer war. Sonst war das relativ spontan. Wir haben uns die Geschichte ausgemacht, und wohin wir damit wollten. Mehr kann man nicht planen. Man braucht wen, der in der Sekunde glaubwürdig improvisieren kann. Ich musste sie lang überzeugen mitzumachen. Bei Anbahnungstreffen in Wien war sie deutlich reservierter; auf Ibiza hat sie geglänzt. Und zwar, weil sie so sauer war, nach Ibiza zu müssen, dass sie aus ihrer schlechten Laune heraus den Strache von oben herab behandelt hat. Der ist quasi im Kreis gehüpft, um ihr zu imponieren.

STANDARD: Was war Ihr Gefühl, als der Abend auf Ibiza vorbei war?

H.: Es war mehr das Gefühl von Misserfolg, weil es meine Ambition gewesen war, von Strache ein direktes "Ich will das, dafür mache ich das" zu bekommen. Er hat das mit Gesten angedeutet, und Gudenus hat Makarowa auf der Terrasse versichert, sie verstünden eh, was wir wollen, aber sie könnten es nicht aussprechen.

***********

Das große Interesse Straches an der "Krone" ist einer der bekanntesten Aspekte des Ibiza-Videos. "Zack, zack, zack" wollte Strache dort Redakteure austauschen. Doch bis die Öffentlichkeit davon erfuhr, verging viel Zeit. Julian H. forderte von Gudenus die Übermittlung eines Codes als Zeichen des weiteren Interesses an einem Deal. Zu sehen ist dieser in einer öffentlichen Aussendung der FPÖ Wien, an deren Schluss "Wer zahlt, schafft an" steht. Bislang unbekannt ist, dass Strache laut H. ein weiteres Treffen mit der Oligarchin wollte – Strache selbst dementiert das.

STANDARD: Wie ging es nach Ibiza weiter?

H.: Es gab den Wunsch, vor der Wahl 2017 noch ein Treffen im Ausland zu machen, wo Strache angeblich ganz offen reden wollte. Wir hätten die Handys vorher abgeben müssen, das wollte Anwalt M. aber nicht mehr finanzieren. Ich wusste auch nicht, ob ich die Russin noch einmal dafür bekomme.

In den kommenden Wochen versucht Anwalt M. laut Julian H., das Material zu verkaufen, um finanzielle Absicherung für Straches Bodyguard zu erhalten. Er zeigt das Material dem Umfeld von Hans Peter Haselsteiner, dort wurde es abgelehnt. H. und M. hoffen, dass jemand in der Schlussphase des Nationalratswahlkampfs 2017 zugreift. Doch dann kocht die Causa Silberstein hoch: Der Wahlkampfberater der SPÖ hatte Fake-Seiten für und gegen Sebastian Kurz betrieben, um dem ÖVP-Spitzenkandidaten zu schaden. "Damit war alles, was nach Dirty Campaigning aussah, verpönt. Und auf einmal war die FPÖ in der Regierung, was große potenzielle Gefahren mit sich brachte", sagt H.

STANDARD: Ein Angebot gab es auch an die SPÖ. In Wien wird gern getuschelt. Glauben Sie, dass Informationen über das Video bis zur ÖVP durchgedrungen sind?

H.: Kurioserweise hat Gudenus mir schon am Abend vor dem Treffen in der Finca – also vor der Videoaufnahme – gesagt, sie hätten Warnungen aus dem Kurz-Umfeld bekommen, dass sie jemand mit einem Video reinlegen wolle, und deshalb müssten wir vorsichtig sein. Ich glaube, das liegt daran, dass M. nach dem Treffen im Sofitel mit einem Journalisten gesprochen hat, der das entgegen Verschwiegenheitsabreden direkt ins ÖVP-Umfeld getragen haben dürfte. Das war mit ein Grund, warum danach deutsche Medien kontaktiert wurden.

STANDARD: Wie fiel dann die Entscheidung, das Video Journalisten zu überlassen?

H.: Es war dann klar, dass die FPÖ in der Regierung Innen- und Verteidigungsministerium erhält. Da begannen meine Sorgen, weil ich die Angelegenheit nicht sauber abgeschlossen hatte. Anwalt M. hatte den Luxus, Dementi-Fähigkeit zu haben; der hätte noch sagen können, selbst getäuscht worden zu sein. Ich konnte schwer sagen, das sei nicht in meinem Wissen entstanden, nachdem ja nur ich und die Oligarchin dort gewesen waren.

STANDARD: Welche Reaktion auf das Video haben Sie erwartet?

H.: Ich ging nie davon aus, dass das Video zum Rücktritt führen würde. Ich dachte, es wird ein Skandal, es wird einen U-Ausschuss geben, aber Kurz wird an Strache festhalten, weil er nur mit ihm stramm rechte Politik machen kann. Wir hatten ernsthafte und begründete Sorgen vor dem Backlash der Behörden und potenziell auch russischer Kontakte. M. wurde die Sache zu heikel, ich wollte aber nicht aufgeben und habe ihm abgerungen, dass ich mit Medien reden kann. Ich bin dann über mehrere Ecken zur SZ gekommen.

STANDARD: Nachdem die Ausschnitte am 17. Mai 2019 erschienen waren, herrschte in Teilen der Bevölkerung und Politik Euphorie.

H.: Der Rückhalt war schnell wieder weg. Als ich die Bilder vom Heldenplatz am Tag nach der Videopublikation gesehen habe, war ich den Tränen nahe.

STANDARD: Um das einmal klar festzuhalten: Es floss kein Geld für die Veröffentlichung?

H.: Nein. Das Video wurde nicht verkauft. Es gab Angebote nach der Veröffentlichung. Zwei, drei Millionen, wenn ich mich öffentlich bekennen und die SPÖ oder Haselsteiner belasten würde. Es gab Medien, die mich bedrängt haben. Wäre Geld die Motivation gewesen, hätte ich genug Möglichkeiten gehabt.

***********

Julian H. ist klar, dass er sich mit der Veröffentlichung des Videos viele Feinde machen wird. Er behauptet, aus dem Innenministerium bedroht worden zu sein. Da er die Staatsspitze vorwarnen will, wendet sich H. an die Kanzlei des Bundespräsidenten. In einem Hotel will er eine Woche vor der Publikation einem Mitarbeiter von Alexander Van der Bellen Videopassagen gezeigt haben. Er wolle keinen Staatsstreich und keine Straffreiheit, sagte H. Zur Sicherheit schickt er ein "Testament" und Bekenntnis an die Präsidentschaftskanzlei. Die bestätigt, eine E-Mail erhalten zu haben; zu einem Treffen mit einem Mitarbeiter sei ihr "nichts bekannt".

STANDARD: Sie hatten Angst, mit konstruierten Vorwürfen verfolgt zu werden. Jetzt sind Sie wegen des Verdachts auf Drogenhandel und Erpressung im Gefängnis. Hat sich Ihre Prophezeiung damit erfüllt?

H.: Ja. Diese Vorwürfe werden seit Sommer 2019 konstruiert. Es gibt immer wieder neue Vorwürfe, aber keinerlei handfeste Beweise, nur Aussagen von zweifelhaften Zeugen. Diese Vorwürfe mussten zur Bewilligung intensiver Grundrechtseingriffe herhalten, die erst jetzt, über ein Jahr nach Beschwerde ans Oberlandesgericht Wien, als teilweise rechtswidrig beschieden wurden, soweit eine Art Bewegungsprofil von mir gemacht worden ist. Den Medien konnte ich entnehmen, dass es einen Haftbefehl gegeben haben soll. In Berlin war davon über lange Monate bis zu meiner Festnahme nichts zu spüren. Ich war in laufenden ärztlichen Behandlungen, hatte Treffen mit Medienvertretern in Berlin. Die Nachfragen meiner Anwälte wurden nicht beantwortet. Mich hat bis heute kein österreichischer Polizist zu erreichen versucht.

STANDARD: Sie sagten allerdings als Zeuge vor Gericht aus.

H.: Die Justiz hat mich sehr wohl erreicht. Wir haben der Polizei im November 2019 geschrieben, ich sei zur Einvernahme verfügbar. Ich habe mich nicht versteckt, keine Angst vor der Polizei gehabt. Deren Ermittlungen waren von erbärmlicher Qualität. Ich hatte Sorge vor anderen Akteuren und Racheaktionen, weshalb ich vorsichtig war und für Unberufene schwer erreichbar. Immerhin habe ich aus den Medien erfahren, dass von Privatdetektiven nach mir in Deutschland gesucht worden ist und GPS-Tracker eingesetzt worden sein sollen. Wenn ich eine Vorladung erhalten hätte, wäre ich erschienen. Meine Anwälte haben ständig Kontakt gehalten, ich bin in Berlin mit vielen Leuten zusammengetroffen.

STANDARD: Sie wurden rasch vom Helden zum Bösewicht. Hat Sie das überrascht?

H.: Mir war schon klar, wie diese Kampagnen funktionieren. Was mich überrascht hat, war die Willigkeit von Qualitätsmedien, nicht überprüften Blödsinn zu übernehmen. Aber mir ist klar, wie komplex die Angelegenheit ist. Ibiza ist nun wie Dungeons & Dragons: eine eingeschworene Community, wo jeder alles weiß, aber außerhalb kennt sich niemand mehr aus.

STANDARD: Am Mittwoch wird im U-Ausschuss die Schredderaffäre in der ÖVP thematisiert – ein weiterer Nebenstrang.

H.: Man kann zu Ibiza stehen, wie man will. Was mich fasziniert, ist, dass das Kunststück geschafft wurde, den Inhalt und die Wirkung als gut darzustellen, aber die Tat als schlecht. Was treibt wen dazu, dieses krampfhafte Narrativ der Regierung aufrechtzuerhalten, dass wir Kleinkriminelle wären? Gut, es lenkt ab vom Rest, der im U-Ausschuss aufgedeckt wird. Es lenkt die Aufmerksamkeit nicht auf Casinos, Beschuldigte wie Ex-Finanzminister Hartwig Löger und Co, sondern auf angebliche Balkan-, Mafia- und Drogenconnections der "Ibiza-Macher" und delegitimiert unsere Aktion. (Fabian Schmid, 27.1.2021)