Beim Diskurs um die Repräsentation von Frauen steht das Kopftuch an prominentester Stelle.

Foto: Christian Fischer

Bei Diskriminierung aufgrund des Äußeren gab es in den vergangenen Jahren einen klaren Fokus: das Kopftuch. Dass Frauen generell stark über ihr Äußeres bewertet werden und ihnen dadurch zusätzliche Hürden in den Weg gelegt werden, das ist indessen etwas in den Hintergrund geraten. In den Beiträgen des Sammelbands "Körperbilder, Körpersymbole und Bekleidungsvorschriften. Zur Repräsentation von Frauen in Werbung, Medien und Sport" wird der Frage nachgegangen, wo wir bei der Repräsentation von Frauen stehen, zudem wird deren Geschichte sowie neue Entwicklungen bei der Entstigmatisierung von Frauenkörpern untersucht. Die Herausgeberinnen Asiye Sel und Birgit Sauer über die Schwierigkeiten, Diskriminierung aufgrund des Äußeren dingfest zu machen, und darüber, warum das Kopftuch ein Stellvertreterkampfplatz ist.

STANDARD: Dass das Äußere von Frauen einen anderen Stellenwert hat als das von Männern, ist eigentlich kein großes Thema mehr. Warum jetzt dieses Buch?

Sel: Die Medienanalyse von Mediaaffairs hat für Österreich ganz klar gezeigt, dass der Diskurs über das Kopftuch alle anderen Frauenthemen völlig ausblendet. Doch bei diesen Debatten geht es gar nicht um das Kopftuch an und für sich, sondern es liegen ganz andere Interessen dahinter. Wir hatten 2018 bei der Arbeiterkammer eine Veranstaltung über das Kopftuch, die ein enormes Echo hatte. Wir wollten im Anschluss an diese Veranstaltung das Thema weiter und vor allem breiter angehen und insgesamt die Repräsentation von Frauen thematisieren.

Birgit Sauer, Asiye Sel, Ingrid Moritz (Hrsg.), "Körperbilder, Körpersymbole und Bekleidungsvorschriften. Zur Repräsentation von Frauen in Werbung, Medien und Sport." € 29,90 / 240 Seiten. ÖGB-Verlag, Wien 2020. Das Buch wurde von der Arbeiterkammer Wien und der Universität Wien, Institut für Politikwissenschaft, herausgegeben.
Foto: ÖGB Verlag

Sauer: Bezüglich der politischen Repräsentation von Frauen in Parteien, Parlamenten und Regierungen hat sich in den vergangenen jähren durchaus etwas verbessert. Die "Quotenparteien" SPÖ; Grüne und ÖVP konnten aufgrund der freiwilligen Parteiquoten ihre Frauenanteile in den Klubs erhöhen. Nun stellt sich die Frage: Machen mehr Frauen einen Unterschied in der Politik? Setzt sich eine höhere Frauenquote in bessere, gleichstellungsorientierte, umweltverträglichere, gewaltfreie etc. Politik um? Diese Transformation ist nicht erfolgt – wenn wir zum Beispiel die Aufnahme von Geflüchteten ansehen, die ja mehr als gering ist. Ich denke, dass es ruhiger um politische Repräsentation von Frauen geworden ist, hat auch damit zu tun, dass die Frage, was Frauen als politische Entscheidungsträgerinnen tun, nicht beantwortet ist und noch gar nicht wissenschaftlich untersucht ist. Fragen der Repräsentation sind mit den Aufsichtsräten und neuerdings Vorständen von großen Unternehmen wieder auf der Tagesordnung. Die Aufsichtsratsquote ist durch, für Vorstände ist die Debatte in Österreich erst am Beginn, wird aber bald kommen, in Deutschland gibt es die schon. Doch auch da wird sich die Frage stellen – wozu?

STANDARD: Und wie steht es mit dem öffentlichen Frauenbild?

Sauer: Das ist die dritte Dimension von Repräsentation: die Darstellung von stereotypen Geschlechterbildern – im Fernsehen, Filmen, im Theater, in der Werbung. Einen Film-Gender-Report gibt es, einer fürs Theater ist meines Wissens im Entstehen. Mit der medialen Überflutung durch die neuen Medien ist dieses Thema – obwohl weit relevanter – auch sehr komplex und daher schwer zu thematisieren geworden. Durch die Bilderflut ist Sexismus "normaler" geworden. Zudem haben wir es mit massiven antifeministischen Mobilisierungen unter dem Label Antigenderismus zu tun, der versucht, traditionelle hierarchische Zweigeschlechtlichkeit zu normalisieren und zum Beispiel knapp gekleidete Frauen im Bikini als Gegenbild verhüllten muslimischen Frauen gegenüberzustellen. Das erste ist modern und emanzipiert, die verhüllte Frau hingegen ein unterdrücktes Opfer.

DER STANDARD: Im vergangenen Jahr hat der VfGH das Kopftuchverbot in Volksschulen gekippt. Hat so ein Urteil Einfluss auf den Diskurs um das Kopftuch?

Birgit Sauer ist Politikwissenschafterin und Professorin an der Universität Wien. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Geschlechterforschung in den Politikwissenschaften.
Foto: Otto Penz

Sauer: Das VfGH-Urteil kann dazu beitragen, dass der diskursive "Kampf um das Kopftuch" erst einmal leiser wird. Dieser war ja ein Stellvertreterkampf; den Akteur*innen geht es ja nicht – wie vielfach behauptet – darum, Mädchen zu schützen, sondern vielmehr darum, muslimische Communitys zu stigmatisieren – als frauenunterdrückerisch, als Parallelgesellschaften. Da ist der Verweis auf grundrechtliche Freiheit des VFGH heilsam. Und das Urteil verschafft in der medialen Öffentlichkeit eine Beruhigung und damit die Chance, dass Themen der sozialen Gleichheit im Kontext von Integration wieder mehr Gewicht bekommen. Allerdings ist die Kopftuchgeschichte eine lange Geschichte, die immer wieder auf die politische Agenda gehoben wird, wenn es um Ausgrenzung von Muslim*innen geht.

STANDARD: Es kommt in dem Buch Diskriminierung aufgrund des Kopftuchs ebenso vor wie Diskriminierung wegen nicht normschöner Körper. Lässt sich das aber überhaupt vergleichen?

Sauer: Wir konnten anhand der Artikel im Buch feststellen, dass der weibliche Körper in ganz unterschiedlicher Art und Weise als Projektionsfläche instrumentalisiert wird – als Projektionsfläche dafür, was als "anders", als nicht der Norm entsprechend", als nicht dazugehörig. Und darin liegt die Strukturähnlichkeit der Diskriminierung aufgrund des Körpergewichts, der Kleidung – auch der religiösen. Der weibliche Körper wird zum Kampffeld für Ausgrenzung, für Normierung und Normalität, für Dazugehören und für Ausgeschlossenwerden.

Asiye Sel, Soziologin und Referentin in der Abteilung Frauen – Familie bei der Arbeiterkammer Wien.
Foto: AK Wien

Sel: Ich denke schon, dass wir das vergleichen können. Es geht in dem Buch um die unterschiedlichsten Lebenswelten, sei es Medien, auch Werbung, Sport, Recht oder Arbeitswelt. In allen Bereichen überwiegt ein patriarchaler und kapitalistischer Ansatz, der die Körper von Frauen normiert. In der Arbeitswelt gibt es Bekleidungsvorschriften, und ich meine nicht solche wegen Sicherheits-, Hygiene- oder Gesundheitsaspekten, sondern jene, die eine ganz starke Sexualisierung von Frauen miterzeugen. Sehr deutlich ist das auch im Sport, wo teilweise sehr knappe Kleidung vorgeschrieben ist. Die Frauen sollen dabei Männern gefallen. Und wir dürfen auch nicht vergessen, dass es in allen Bereichen jene leichter haben, die der Norm entsprechen.

STANDARD: Wie spiegelt sich das in der Arbeitswelt wider?

Sel: Bewerbungen werden in der Regel mit Fotos versehen, das wird auch verlangt. Wir sehen deutlich, dass für stärkere Frauen, Migrantinnen aus bestimmten Ländern und jene, die ein Kopftuch tragen die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Den Frauen werden so ihre Kenntnisse, Fertigkeiten und Qualifikation über den Umweg des Aussehens abgesprochen. Ihre Qualifikationen werden ihnen aufgrund ihres Äußeren einfach weggenommen.

STANDARD: Was kann man dagegen tun?

Sel: Diskriminierung aufgrund des Aussehens ist wahnsinnig schwer zu beweisen. Nicht einer bestimmten Norm zu entsprechen, das ist vom Gleichbehandlungsgesetz nicht geschützt. Insofern gibt es nur sehr wenige, die sich deshalb beschweren. Beim Kopftuch gibt es sehr wohl klare Fälle, etwa bei denen der Arbeitgeber gesagt hat, dass sie nur, nur wenn sie das Kopftuch ablegen, sie aufgenommen würden. Die Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft oder der Religionszugehörigkeit umfasst das Gleichbehandlungsgesetz. Es gibt zahlreiche Studien über Lookismus, es ist also ganz klar, dass es auch darüber hinaus Benachteiligung aufgrund des Aussehens gibt. (Beate Hausbichler, 28.1.2021)