Die Schüler des GRG 1 Stubenbastei sammelten über eine Online-Petition tausende Unterschriften. Ihr Ziel steht kurz und prägnant im Titel: "Tina und ihre Familie befreien".

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Mit einem Mal war Tina nicht mehr bei der Online-Videokonferenz ihrer Schulklasse anwesend. Ihre Klassenkolleginnen und -kollegen der 3B des GRG 1 Stubenbastei in Wien fanden das ungewöhnlich und kontaktierten sie. Die zwölfjährige Schülerin schilderte dann, dass sie am Montag von der Polizei abgeholt wurde, weil sie, ihre Mutter und ihre fünfjährige Schwester am Donnerstag nach Georgien abgeschoben werden sollen. Die Klasse sei bestürzt, erzählt die Direktorin des Gymnasiums Stubenbastei, Nina Hochleitner.

Innerhalb kürzester Zeit setzte die 3B aber alles in Bewegung was sie nur konnte. Sie wendete sich an den Schülervertreter der Stubenbastei, schrieb E-Mails an Zeitungsredaktionen wie den STANDARD und setzte eine Online-Bürgerpetition auf, die tausende Menschen bereits unterzeichnet haben. Auch wenn der Fall gesetzlich abgeschlossen ist, wollen Tinas Mitschülerinnen und Mitschüler erreichen, dass zumindest noch einmal über jedwede Möglichkeit nachgedacht wird, damit Tina am Ende doch noch in Österreich bleiben kann.

"Österreich ist ihre Heimat"

Tina wurde in Österreich geboren. "Das ist ihre Heimat", sagt Hochleitner. "Sie kennt in Wahrheit nichts anderes." Tina lebte aber nicht durchgängig hierzulande.

Ihre Mutter reiste 2006 ein und stellte einen Asylantrag, der in sämtlichen Berufungen abgelehnt wurde. 2012 kehrte Tina mit ihrer Mutter daher nach Georgien zurück – um 2014 erneut in Österreich einzureisen; Tinas fünfjährige Schwester Lea wurde danach geboren. Sechs Asylanträge stellte die Mutter seither, alle wurden abgelehnt, 2019 auch vom Verwaltungsgerichtshof.

Die Familie widersetzt sich der Abschiebung bereits seit Jahren, sie betrachtet Österreich als ihren Lebensmittelpunkt. Der Vater etwa befindet sich derzeit legal im Land: Er verfügt über ein dreimonatiges Touristenvisum.

Für die Kinder wurde ein Antrag auf humanitären Aufenthalt eingebracht, über den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch nicht entschieden hat. Derlei Anträge verhindern eine Abschiebung nicht.

Der Abtransport der Frau und beider Kinder sei rechtlich durchsetzbar, sagt ein Behördeninsider. Sechs Asylanträge seit dem Jahr 2014 seien ihnen negativ beschieden worden. Der jetzige Abschiebeversuch sei der sechste. Alle bisherigen seien gescheitert – wegen Unauffindbarkeit oder Krankheit.

Verärgerter Bürgermeister

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) ärgert sich: "Eine derartige Abschiebung gerade in Corona-Zeiten ist nicht nachvollziehbar. Das kann ich nur verurteilen." Die grüne Menschenrechtssprecherin, Ewa Ernst-Dziedzic, plädiert für eine humanitäre Lösung. "Rechtsgrundlage hin oder her: Niemand versteht, wieso Kinder, die nur hierzulande eine Heimat und Schulgemeinde haben, rausgerissen und der Ungewissheit ausgesetzt werden."

Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) sucht nun in der Sache das Gespräch mit Innenminister Nehammer. Man habe zugesichert, die Fälle zu prüfen, berichtete er nach dem Ministerrat. Es wäre gut nach menschlichen Lösungen zu suchen. Denn es könne ja nicht sein, dass bestens integrierte Schüler in einer Situation, wo sie nicht einmal das Herkunftsland kennen, aus den Klassen geholt werden.

ÖVP-Sicherheitssprecher Karl Mahrer wiederum verteidigte die Abschiebungen mit Verweis auf die geltende Rechtslage. In Österreich geborenen Kindern den Zugang zur Staatsbürgerschaft zu erleichtern, wie das am Dienstag auch SOS-Mitmensch gefordert hatte, lehnt der ÖVP-Politiker ab. Jetzt müsse man einmal die bestehenden Asylverfahren abarbeiten und abgelehnte Asylwerber "in einer geordneten Form zurückführen".

20-Jährige soll ebenfalls abgeschoben werden

Mit vielen Mails setzen sich seit Anfang der Woche auch Schüler der Höheren Schule für Wirtschaftliche Berufe am Reumannplatz in Wien gegen die Abschiebung einer Mitschülerin ein. Die 20-jährige Sona Balabekyan soll mit ihren Eltern sowie ihren minderjährigen Bruder Ashot am Donnerstag nach Jerewan gebracht werden. Die Familie sitzt seit dem Wochenende in der Wiener Zinnergasse in Schubhaft.

Die Familie lebt seit sieben Jahren in Österreich. Gründe für ein Aufenthaltsrecht wegen guter Integration, über das nach fünf Jahren entschieden werden kann, sahen die Behörden nicht. Laut einem Behördenvertreter haben die Familienmitglieder trotz vorheriger Ablehnungen immer wieder zeitversetzt um Asyl angesucht. Das sei als "Verzögerungstaktik" gewertet worden.

Auch eine georgische Familie samt Kindern aus Eichgraben in Niederösterreich sollte abgeschoben werden. (Irene Brickner, Jan Michael Marchart, Michael Völker, 28.1.2021)