Juliane Köhler spielt am Residenztheater München in Lot Vekemans' "Niemand wartet auf dich" in einer Videokonferenzvorstellung.

Adrienne Meister/Residenztheater

Theater läuft derzeit notdürftig über digitale Kanäle. Synchron dazu meint man, förmlich das Raunen aus den Direktionen und Dramaturgien zu hören über den wesensfremden Sendekanal und die wenig bedankten Bemühungen, aus technischen Möglichkeiten Funken zu schlagen. Aber das Theater soll ja nicht in der Corona-Versenkung verschwinden!

Niemand kann sagen, wann Häuser wieder öffnen können – eine fragile Situation, denn jeder will für den Fortbestand und um sein Publikum kämpfen. Bisher aber eher mit leeren Streaming-Händen. Jetzt, da mit den Virusmutationen neue Unsicherheiten hinzugekommen sind und durch die neue Zweimeterregel die bisher konformen Sitzordnungen wieder überholt sind, womöglich gar eine deutlich längere Schließzeit droht, tut sich aber doch etwas an der Digi-Front.

Das Schauspielhaus Graz bietet in Kürze gar einen Theaterabend mit Virtual-Reality-Brille an, die dem Publikum nach Hause gebracht wird. Luxusservice! Das Landestheater Salzburg zeigt ab Februar Mitschnitte aus seinem Archiv und hat am 30. Jänner eine live gestreamte Uraufführung auf dem Plan. Auch das Wiener Kosmostheater hat seine Fight Club-Adaption von Chuck Palahniuk für Mitte Februar in eine Online-Version umgewidmet.

Einfache Kameraführung

Bühnen in Deutschland haben schon vor Monaten begonnen, in Streamings zu investieren, etwa das Schauspielhaus Bochum (nach King Lear jüngst mit einer Neuversion der Penthesilea mit Sandra Hüller und Jens Harzer), die Münchner Kammerspiele oder das Residenztheater, das kürzlich Lot Vekemans’ Niemand wartet auf dich zeigte.

Darin spielt Juliane Köhler hintereinander und im expliziten Verwandlungsprozess drei Figuren, die ihr Verhältnis zur Welt hinterfragen: eine Pensionistin, eine abdankende Politikerin und eine Schauspielerin. Die pensionierte Lehrerin beschäftigt der ständig wachsende Müll; die Politikerin ist desillusioniert wegen schwindender Handlungsräume; und die Schauspielerin fragt sich, was sie Hunger, Dürre und Krieg entgegenhalten kann. Im 2018 uraufgeführten Stück der viel gespielten niederländischen Autorin geht es um den Einzelnen und das große Ganze, das Verhältnis des sich ohnmächtig fühlenden Individuums zur Gesellschaft.

Dieser kompakte Zuschnitt eignet sich für eine Inszenierung mit digitalem Sendeauftrag (Regie: Daniela Kranz): frontale Rede, einfache Kameraführung. Vom Einstünder bleibt aber dennoch nicht viel übrig. Über die Conclusio – Mach die jeweiligen Weltprobleme zu deiner Aufgabe! – ließe sich gewiss diskutieren. Aber Theater ist kein Chatroom, auch wenn es gut gemeint ist. Der Verlust der realen Erfahrung vor Ort ist nicht wegzudiskutieren.

Verlustängste

Der Theaterstream bleibt also ein ungeliebtes Kind, auch vonseiten der Theaterschaffenden und Entscheidungsträger. Man versteht gut, warum. Die Aufzeichnungen und zuweilen Neuinszenierungen von Vorstellungen verursachen zusätzliche Kosten, bringen aber kaum bis keine Einnahmen und erinnern obendrein nur entfernt an Theater. Alle Schönheiten und Plagen des realen Erlebens der Bühne sind wie ausgelöscht. Am Ende bleibt die Wahrnehmung immer vereinzelt und eine distanzierte vor der privaten Mattscheibe.

Darauf beruft sich auch das Burgtheater, das seine bisherige Zurückhaltung beim Streamingangebot auf der Webseite folgendermaßen erklärt: "Theater ist in unseren Augen ein besonderes Medium, das im Moment stattfindet; das geht beim klassischen Streaming verloren, ebenso wie gemeinsame Energie zwischen Bühne, Schauspieler*innen und Zuschauerraum." Man kann es nachvollziehen. Aber wie lange kann eine Bühne stillstehen? Wie lange können Premieren aufgestaut werden? Und ist es besser, sie auf spätere Spielzeiten zu verschieben? Einige taten dies bereits.

Diese planerische Beweglichkeit hat das Sprechtheater der Oper voraus. Letztere ist im Korsett enormer Vorlaufzeiten gefangen und tut gut daran, ihren Premierenplan online oder via Fernsehen abzustottern, akustische Transportschrammen in Kauf nehmend. (Margarete Affenzeller, 28.1.2021)