Proteste gegen Ausgangsbeschränkungen, die Israels Regierung in ultraorthodoxen Vierteln nicht durchsetzen kann.

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Die Polizei kommt nur sporadisch.

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Ein Bub wirft einen Karton ins Feuer, die Flammen schießen hoch. Kurz dreht er sich um, sucht Blickkontakt mit dem Vater, der Vater schaut nur zu. Er hat keinen Einwand gegen die Zündellust des Sohnes, hier, mitten an einer Straßenkreuzung im zentralen Jerusalemer Viertel Geula. Es geht ja um die Sache.

Seit Tagen zündeln Ultraorthodoxe in ganz Israel gegen die Corona-Beschränkungen. Mitten in den am dichtesten bewohnten Wohnvierteln des Landes brennen Kunststoffcontainer, Müllsäcke, Möbel. Rundherum stehen Schaulustige. Auch hier, in Geula, schauen ein paar Dutzend ultraorthodoxe Männer den Flammen zu. "Bin gespannt, wann die Polizei kommt, heute war sie noch nicht hier", sagt ein Teenager, er grinst.

Offene Gewalt

Einen Kilometer weiter steht ein Angestellter der Verkehrsbetriebe und leitet Busse um. Man will vermeiden, was vergangenen Sonntag geschah. In der Ultraorthodoxen-Hochburg Bnei Brak gingen zwei Busse in Flammen auf. Zuvor hatte ein Mob einen Busfahrer dermaßen drangsaliert, dass er laut eigenen Angaben geglaubt hatte, es sei bald um ihn geschehen.

Woher kommt die Gewalt? Diese Frage wurde in den vergangenen Tagen oft gestellt. Dass Polizisten in den Vierteln der Strengreligiösen körperlich attackiert werden, wenn sie Betversammlungen auflösen, ist nichts Neues. Seit Monaten werden Beamte angegriffen, den Polizeiautos werden Reifen aufgestochen, Scheiben eingeschlagen. Da wagen sich manche Streifen lieber erst gar nicht ins fromme Viertel.

Nun aber sind es nicht mehr nur einzelne Akte gewaltsamen Widerstands, eher ist es ein Flächenbrand. Der Protest findet täglich und an vielen Orten statt, er hat ein neues Aggressionslevel erreicht. In Jerusalem wurde die auch von Religiösen gut genutzte Straßenbahn mit Pech übergossen, auf einer Etappe wurden die Schienen zugepflastert. Wenn 30 Menschen im öffentlichen Verkehrsmittel stehen dürften, dann dürfe dieselbe Anzahl wohl auch in der Thoraschule sitzen, denn diese sei ja wohl mindestens ebenso essenziell, hatte der einflussreiche oberste Rabbiner der chassidischen Wischnitzer Sekte am vergangenen Wochenende erklärt.

Schulbusse im Lockdown

Es war der Startschuss fürs Aufsperren vieler frommer Schulen. Bereits Sonntagfrüh kurvten die Schulbusse wieder durch Israels ultraorthodoxe Viertel, während überall sonst die Schüler weiter genervt vor ihren Zoom-Klassen sitzen.

Die wütenden Mobs sind eine Minderheit, viele Ultraorthodoxe lehnen die Gewalt ab. So auch Rachel, eine siebenfache Mutter, die gerade zwei schwere Einkaufstaschen nach Hause trägt. Sie verstehe aber den Zorn. "Haben Sie auch die prügelnden Polizisten gesehen?", fragt Rachel. Tatsächlich sah man auf Zeugenvideos eindrückliche Beispiele exzessiver Polizeigewalt gegen Ultraorthodoxe. Es sei eben nicht leicht, sich von Ultraorthodoxen als Nazis beschimpfen zu lassen, Exekutivbeamte seien auch nur Menschen, erklärte ein hochrangiger Polizeikommandant im öffentlichen Radio lapidar.

Der Frust über die andauernden Lockdowns ist in Israel groß. Viele sind verunsichert davon, dass die massiven Einschränkungen diesmal nicht zu greifen scheinen und die dritte Welle erschreckend viele Tote fordert. Allein seit Jahresbeginn sind mehr als tausend Menschen an Corona gestorben.

Aufgeheizte Stimmung

Aufgeheizt ist die Stimmung auch in Israels Regierung. Es sei Premier Benjamin Netanjahus Schuld, dass viele Ultraorthodoxe tun, was sie wollen, meint Koalitionspartner Benny Gantz. Netanjahu hatte im Oktober strengere Strafen für Regelbrecher angekündigt, gab dann aber dem Druck der ultraorthodoxen Parteien nach, um deren Unterstützung auch nach der Wahl im März er wieder bangt.

Nun macht auch Gantz Druck: Seine Partei werde die geplante Lockdown-Verlängerung blockieren, wenn nicht bald harte Strafen kämen, drohte er. Beide Gesetzesvorlagen, jene über den Lockdown und jene über Strafanhebungen, werden derzeit im Parlament debattiert. Die Uhr tickt: Gibt es bis Freitagmittag keinen Beschluss, läuft der Lockdown am Sonntag aus. (Maria Sterkl, 28.1.2021)