Im größten Film, der über die Wall Street je gemacht wurde, spielt Leonardo DiCaprio den Aktienhändler Jordan Belfort. Neben Sex, Drogen und Zielschießen mit kleinwüchsigen Menschen geht es in Wolf of Wall Street um eine simple Idee, mit der Belfort Millionen verdient. Er verkauft billige Aktien von Schrott-Unternehmen an unbedarfte Kunden. Solange genug mitmachen, treibt das die Preise rauf und Belfort schneidet mit.

Würde jemand auf die Idee kommen, die Vorgänge der vergangenen Tage rund um den US-Spieleverkäufer Gamestop zu verfilmen, der Streifen wäre ein Wolf of Wall Street-Verschnitt mit einer ordentlichen Prise Robin Hood.

Der Einzelhändler Gamestop, der weltweit tausende Geschäfte betreibt, in denen er Spiele für Computer, Xbox, Playstation und Nintendo-Konsolen verkauft, steckt seit einiger Zeit in der Krise. Dem Unternehmen macht die Online-Konkurrenz zu schaffen: Wer heute ein Xbox-Spiel kauft, tut das online und braucht dafür keinen Händler mehr.

Der Konzern erwirtschaftete zuletzt horrende Verluste, fast eine halbe Milliarde US-Dollar waren es 2019. Die Aktienkurse dümpelten auf tiefem Niveau dahin.

Doch in den vergangenen Tagen ist der Kurs explodiert. Ende Dezember kostete eine Aktie des Unternehmens 17,25 Dollar, diese Woche waren 148 Dollar, das ist ein Plus von mehr als 700 Prozent.

Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe an Käufern begann, die Gamestop-Papiere zu kaufen, wodurch der Höhenflug anfing. Auf der Social-Media-Plattform Reddit sprachen sich die Käufer über eine Untergruppe namens WallStreetBets, der mehr als zwei Millionen User angehören, ab.

An dieser Stelle kommt Robin Hood oder das Prinzip "den Großen nehmen, um den Kleinen zu geben" ins Spiel. Damit aus einer Problemaktie nämlich ein Superstar werden konnte, musste noch eine besondere Konstellation hinzukommen. Was geschehen ist, erklärt Leopold Quell, Fondsmanager bei Raiffeisen KAG, einem der größten Vermögensverwalter in Österreich.

Unzählige Investoren hatten am Markt zuletzt Wetten darauf abgeschlossen, dass die Aktien von Gamestop weiter fallen werden. Dabei "shorten" Investoren die Papiere. Technisch läuft das so ab: Händler "A" borgt sich Anfang November von Händler "B" Aktien von Gamestop aus und verkauft die Papiere sogleich. Die Preise stehen bei zehn Dollar. Würden nach einem Monat die Kurse auf fünf Dollar fallen, hätte Händler "A" einen ordentlichen Gewinn gemacht, Er könnte die Aktie nun um fünf Dollar kaufen und sie an Händler "B" zurückgeben. Die Differenz, fünf Dollar, kann Händler "A" abzüglich der Leihgebühr behalten. Viele Fonds, die Aktien länger halten wollen, borgen Wertpapiere gern her, erklärt Fondsmanager Quell, und solche Wetten im großen Stil können gewinnbringend sein.

Warum so viele Wetten auf fallende Gamestop-Kurse? Wie Bloomberg berichtete, hatte ein bekannter US-Investor, Ryan Cohen, im vergangenen Jahr 13 Prozent der Anteile an Gamestop gekauft und sich über das schlechte Management der Firma beklagt. Daraufhin wurde er in den Vorstand einberufen – dieses Zeichen werteten Anleger als positiv, die Aktien zogen etwas an.

Panik bricht aus

Da platzierten aber Händler, darunter auch Hedgefonds, massenhaft Wetten auf fallende Kurse. An den Problemen des Unternehmens hatte sich ja nichts verändert.

Die Informationen über diese Wetten sind öffentlich und wurden in dem Reddit-Forum rege geteilt. Als die Gruppe begann, Aktien zu kaufen und die Preise nach oben zu treiben, ging es erst richt los, es setzte ein "short squeeze" ein. Vielen Anlegern, die auf fallende Kurse gewettet hatten, drohten plötzlich horrende Verluste. Egal wie hoch die Preise steigen, sie müssen geborgte Wertpapiere ja zurückkaufen und zurückgeben. Also versuchten viele zeitgleich aus der Wette auszusteigen und Aktien zu kaufen. Das trieb die Preise erst recht rauf.

Laut Finanzdienstleister S3Partners haben Anleger, die auf sinkende Kurse gewettet haben, mehr als drei Milliarden US-Dollar verloren. Laut vielen der Beiträge im Reddit-Forum ging es genau darum: Große Spekulanten, die mit dem Abstieg des Computerspielhändlers Geld verdienen wollten, sollten bezahlen.

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Gamestop vertreibt in zahlreichen Ländern, auch in Österreich, Computerspiele.
Foto: AP

Das Spiel ist riskant. Laut der Ratingagentur S&P wird Gamestop nicht vor 2023 Gewinne abwerfen, wie die Chefanalystin der Bank Austria, Monika Rosen, sagt. Was schnell aufsteigt, kann auch rasch fallen.

Rosen spricht von einem "neuen Phänomen", die Pandemie dürfte eine Rolle spielen: Viele junge Menschen haben begrenzte Freizeitmöglichkeiten und sind deshalb via Online-Broker in den Wertpapierhandel eingestiegen sein. Allein bei Robinhood, einem bekannten Broker, wurden im vergangenen Jahr zehn Millionen neue Accounts angemeldet.

Diese neuen Käufer befeuerten den Markt. Eine breitere Auswirkung auf andere Aktien erwartet Rosen nicht. In den USA wird spekuliert, ob die Börsenaufsicht in der Causa wegen Marktmanipulation ermitteln wird. (András Szigetvari, 28.1.2021)