Perspektivenlosigkeit und Zukunftsängste belasten mit Fortdauer der Pandemie vor allem junge Menschen, warnen die Experten.

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All die Monate der Pandemie, der Unsicherheiten und verschwimmenden Perspektiven schlagen sich messbar auch auf die psychische Verfasstheit der Österreicherinnen und Österreicher nieder.

"Es kam zu einer deutlichen Verschlechterung der psychischen Gesundheit", sagt Christoph Pieh, Leiter des Departments für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit an der Uni Krems, der jetzt gemeinsam mit Peter Stippl, dem Präsidenten des österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie, die Ergebnisse einer Studie zur psychischen Gesundheit vorlegte.

Demnach leidet aktuell mehr als ein Viertel der Bevölkerung – 26 Prozent – an depressiven Verstimmungen, 23 Prozent an Angstsymptomen und 18 Prozent an Schlafstörungen. Die Studie bezieht sich auf Angaben einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe von rund 1500 Personen. Als besonders gravierend bezeichnen die Studienautoren die Ergebnisse bei jungen Menschen zwischen 18 und 24 Jahren. Diese Altersgruppe sei von psychischen Belastungen erheblich betroffen.

"Besorgniserregend"

"Die Entwicklung ist besorgniserregend. Bei den jungen Erwachsenen leidet mittlerweile bereits die Hälfte unter depressiven Symptomen", fasst Pieh zusammen. Neben Sorgen um die eigene Gesundheit seien auch Zukunftsängste, finanzielle Probleme und Einsamkeit hier wesentliche Ursachen.

In der Praxis bemerkt Ewald Lochner, er ist der Koordinator für Psychiatrie-, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, eine vermehrte Inanspruchnahme der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Angebote der Stadt. Mit dem Fortschreiten der Pandemie habe zudem eine Verlagerung stattgefunden, erzählt er im Gespräch mit dem STANDARD: Jetzt würden auch jene Familien Hilfe suchen, "wo das im Normalfall aufgrund sozialer Umstände nicht zu erwarten war". Die jungen Erwachsenen kommen etwa mit Depressionen, Angststörungen oder Essproblemen. Und das oft schon mit zwölf Jahren aufwärts. Je älter die jungen Menschen, desto größer die Nöte, weiß Lochner: "Normalerweise verliebt man sich mit 16 einmal im Jahr", stattdessen drehe sich derzeit alles um die gerade aktuellen Ausgangsbeschränkungen. Gleichzeitig gelte: Je älter ein Kind, desto größer sei das Bedürfnis nach sozialen Kontakten. Überraschend komme die angespannte Gemütsverfassung der jungen Erwachsenen also nicht.

Für Psychotherapeut Peter Stippl spielen auch die zunehmende Perspektivlosigkeit eine Rolle und der Umstand, dass kaum noch etwas planbar ist". Lockdownzeiten, Impftermine, Lockerungen: Nichts sei wirklich einschätzbar, und diese Unsicherheit werde durch die politische Kommunikation auch noch verstärkt. "Einmal gibt es Licht am Ende des Tunnels, dann wieder einen harten Lockdown, dann kommen Aussagen wie ‚der Sommer wird so sein wie früher‘, obwohl alle wissen, dass das nicht der Fall sein wird", moniert Stippl im Gespräch mit dem STANDARD. Da passierten einfach schwere Fehler in der politischen Kommunikation, die Desorientierung schaffen. Es sei zu beobachten, dass sich junge Menschen ausklinken, sich zurückziehen, das Studium schleifen lassen. In dieser Altersgruppe geht es um den "Start ins Leben", um die Berufswahl, um die eigene Wohnung vielleicht um die Gründung einer Familie. Und nun fallen die Perspektiven, die Planungen und Träume weg. Das schafft Frustration, die auch in die Depression führen kann.

Spätfolgen

Der Wiener Koordinator Lochner warnt zudem: "Die wirklichen Auswirkungen werden wir erst merken, wenn die Pandemie vorbei ist." Also müsse neben dem geplanten Ausbau der Psychotherapieplätze auch dringend bei den ärztlichen Behandlungsmöglichkeiten aufgestockt werden. Lochner: "Die Krankheiten, die ich heute nicht behandle, muss ich in ein paar Jahren als chronische Krankheiten behandeln."

Psychotherapeut Stippl findet, es wäre schon viel geholfen, wenn die Regierung "ehrlich und offen die Dinge anspricht". Jeder habe für Maßnahmen Verständnis, wenn ehrlich kommuniziert wird. Wobei die Maßnahmen dann auch durchgehalten werden müssten. Denn wenn ein Teil munter auf den Pisten feiert, während der andere im Lockdown sitzt, führe dies "bei jenen, die sich an die Lockdownregeln halten unweigerlich zur frustrierenden Frage: Bin ich der einzig Blöde?" (Walter Müller, Karin Riss, 28.1.2021)