Brookesia nana in voller Pracht und Herrlichkeit.
Foto: Frank Glaw

Ein internationales Forscherteam hat auf Madagaskar eine neue Spezies entdeckt, die die Grenzen dessen auslotet, was bei Landwirbeltieren an Miniaturisierung möglich ist. Wie die Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns berichten, handelt es sich um eine bislang unbekannte Chamäleonart; sie erhielt die Bezeichnung Brookesia nana. Die Männchen – die ein bisschen kleiner sind als die Weibchen – bringen es auf eine Körperlänge von 1,3 Zentimetern und sind damit die kleinsten Reptilienmännchen überhaupt.

Unterboten wird der Winzling unter den Landwirbeltieren nur noch von ein paar Froscharten. Rekordhalter ist dabei der Engmaulfrosch Paedophryne amauensis von Neuguinea, dessen Körper zwischen sieben und acht Millimeter klein bleibt. Daneben wirken die kleinsten Vertreter der Vögel und Säugetiere – die sechs Zentimeter lange Bienenelfe (ein Kolibri) und die vier Zentimeter lange Etruskerspitzmaus – wie ungeschlachte Kolosse.

Paedophryne amauensis ist das kleinste bekannte Landwirbeltier der Welt. Sollte es noch kleinere geben, hat man sie bislang übersehen.
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Praktischerweise konnte das deutsch-madagassische Expeditionsteam sowohl ein männliches als auch ein weibliches Exemplar aufgreifen. "Mit einer Körperlänge von nur 13,5 Millimetern und einer Gesamtlänge von knapp 22 Millimetern ist das Männchen des Nano-Chamäleons das kleinste bekannte Männchen unter allen höheren Wirbeltieren", sagt Frank Glaw von der Zoologischen Staatssammlung München, der Erstautor der Studie, die im Fachjournal "Scientific Reports" erschienen ist. Das Weibchen seien mit 19 Millimeter Körperlänge und 29 Millimeter Gesamtlänge deutlich größer.

Warum sich die Ahnen des Tiers zu derartiger Winzigkeit weiterentwickelt haben, können die Forscher nicht sagen. Das bekannte Phänomen der Inselverzwergung reiche nicht aus, um einen derartigen Extremfall zu erklären, meint Fanomezana Ratsoavina von der Universität Antananarivo. Interessant sei auch, dass der nächste Verwandte des Winzlings nicht etwa die nächstkleinere Chamäleonart auf Madagaskar sei, sondern eine doppelt so große Spezies. Offenbar wurde der Weg zur Winzigkeit in derselben Region – einem Gebirge im Norden der Insel – öfter als nur einmal eingeschlagen.

Da die Verbreitungsgebiete der meisten Zwergchamäleons erstaunlich klein sind und in Extremfällen eine Fläche von nur wenigen Quadratkilometern umfassen, dürfte dasselbe auch für Brookesia nana gelten. "Der Lebensraum des Nano-Chamäleons ist leider stark von Abholzung betroffen, aber das Gebiet wurde kürzlich unter Schutz gestellt, so dass die Art hoffentlich überleben wird", meint Oliver Hawlitschek, vom Centrum für Naturkunde in Hamburg, der an den Felduntersuchungen beteiligt war.

Vergleichsweise große Geschlechtsorgane

"Mit Hilfe von Mikro-CT-Scans fanden wir zwei Eier im Körper des Weibchens und konnten so zeigen, dass es erwachsen ist", ergänzt Mark D. Scherz von der Universität Potsdam. Um herauszufinden, ob auch das Männchen geschlechtsreif ist, untersuchte das Team die gut entwickelten Genitalien des Tieres. Diese sogenannten Hemipenes sind bei allen Schuppenkriechtieren doppelt vorhanden. Oft weisen sie Merkmale auf, anhand derer sich verwandte Arten unterscheiden lassen.

Beim Vergleich mit anderen Chamäleonarten konnten die Forscher feststellen, dass das Nano-Chamäleon recht gut bestückt ist. Die Länge seiner Genitalien entspricht 18,5 Prozent der Körperlänge, womit es sich unter die Top Five der insgesamt 52 untersuchten Spezies reiht. Bei der ebenfalls sehr kleinen Art Brookesia tuberculata erreichen die Genitalien sogar fast ein Drittel der Körperlänge.

Die größten Reptilien (oder genauer gesagt Sauropsiden) der Erdgeschichte wurden an die 40 Meter lang. Hier sieht man das andere Ende der Skala.
Foto: Frank Glaw

Als wahrscheinlichen Grund für die Ausstattung der Männchen nennen die Forscher den wechselhaften Geschlechtsdimorphismus von Chamäleons. Denn während bei den großgewachsenen Arten die Männchen die Weibchen übertreffen, ist es bei den kleinsten genau umgekehrt. "Demnach bräuchten die extrem miniaturisierten Männchen verhältnismäßig größere Genitalien, um eine erfolgreiche Paarung mit ihren deutlich größeren Weibchen zu ermöglichen", erklärt Miguel Vences von der Technischen Universität Braunschweig.

Weitere Aussagen zum Verhalten der Tiere oder zur Größe ihres Verbreitungsgebiets sind vorerst aber nicht möglich. Dafür müssten noch weitere Exemplare gefunden werden – doch das ist den Forschern trotz großer Mühen bislang nicht gelungen. (red, 28. 1. 2021)