Verwaiste Klassenzimmer, vereinsamte Schülerinnen und Schüler, die zum Homeschooling abkommandiert wurden. Sie wollen zurück in die Klassen, schnell, aber auch gesundheitlich geschützt.

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Volles Programm, der Stundenplan wird auch im Distance-Learning, so gut es geht, durchgehalten. Nicht in allen Schulen, aber in vielen. Dieser zeigt das Wochenprogramm der 16-jährigen Flora Schmudermayer, die in der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau Schönbrunn den Zweig Garten- und Landschaftsgestaltung besucht.

Foto: Flora Schmudermayer

Als Flora an diesem Montag ihre erste Unterrichtsstunde antritt, klingelt bei so manchem "Homeofficer" gerade erst der Wecker. Es geht zack, zack mit kurzen Pausen: 7.30 Uhr Bodenkunde; 8.20 Uhr Deutsch, Lessings Emilia Galotti; Religion quasi als Freistunde, in der Wochenaufträge zu erledigen sind wie Zeitungen lesen und Nachrichten filtern; 10.20 Uhr Schularbeitsnachbesprechung in Mathematik, und nach dem Fach Staudenverwertung hat die 16-jährige Schülerin der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau Schönbrunn eine Stunde Mittagspause. Danach noch zwei Einheiten Gartengestaltung, und um 15 Uhr ist Schluss mit Schule. Ein ganz normaler Tag nach Stundenplan (siehe Foto).

Fast ganz normal. Denn Flora Schmudermayer sitzt wie so viele andere Oberstufenschüler seit 2. November vor allem daheim vorm Laptop, dank Corona zum Distance-Learning vergattert. Ganze vier oder fünf Tage war sie in der Schule.

Was bei ihr "sehr gut funktioniert", klappt aber bei vielen anderen gar nicht, erzählt Schmudermayer, die in der Bundesschülervertretung Sprecherin für die Zentrallehranstalten ist und der Schülerunion angehört (siehe Infobox unten): "Wie Schule jetzt funktioniert, ist sehr lehrerabhängig und sehr schulabhängig."

Es wird ihnen langsam zu viel

Da gibt es Schüler, die mit zehn bis 15 Arbeitsaufträgen pro Tag zugeschüttet werden, und solche, deren Lehrer keine Zoom-Videokonferenz auf die Reihe kriegen, geschweige so etwas wie digitalen Distanzunterricht – und ein paar Lehrkräfte sind überhaupt ganz im Corona-Nirwana untergetaucht. "Das Distance-Learning hat die Ungleichheiten in Qualität und Intensität der Bildung noch weiter verstärkt", beobachtet auch Sarah Juricek von Verde Wien, der 2019 gegründeten grünen Schülervertretung: "Gut läuft es in jenen Schulen, die schon vorher mit E-Learning gut unterwegs waren."

Oft kommen auch noch schwierige private Wohn- und Lebensverhältnisse, räumliche Enge und quengelnde Geschwister dazu. Die Palette reicht von Überforderung und Frustration bis Langeweile und Depression: "Klar, dass es uns langsam zu viel wird", meint Bundesschulsprecherin Alexandra Bosek (Schülerunion): "Am schlimmsten ist es für die, für die die Schule ein Rückzugsort vor einem schwierigen Zuhause, womöglich mit Gewalt, war. Wir haben das Distance-Learning mittlerweile so satt, dass wir alles tun würden, um in die Schule zurückzukehren. Schon ein Tag Präsenzunterricht wäre für uns wichtig", sagt die AHS-Schülerin aus Baden. Einmal kurz raus aus der Monotonie des Homeschoolings.

Postkarten, Briefe, Petitionen

Ihren Unmut, ihre Erschöpfung, ihre Wünsche kommunizieren sie, wie Vorarlberger Schüler, mit Postkarten an den Bildungsminister oder in offenen Briefen, in denen die Schülervertretungen von mehr als 75 Schulen in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland um eine "Rückverlegung" der Abgabetermine für die vorwissenschaftliche Arbeit bzw. Diplomarbeit ersuchen oder die steirische Landesschülervertretung nach nur etwa 40 Schultagen in Präsenz wissen will, "wie wir das verlorene Wissen aufholen sollen". Die Linzer Schülerin Arbnora Shahini (HBLW Landwiedstraße) initiierte eine Online-Petition, deren Ziel "Keine Kochprüfung im Corona-Schuljahr!" (nach nur circa viermal Koch- bzw. Serviceunterricht im ganzen Jahr) bereits mehr als 4500 Schülerinnen und Schülern unterstützen.

"Auch die mentale Gesundheit wird total vergessen", warnt Annika Wakolbinger (Aktion kritischer Schüler_innen): "Nach einem Jahr Krise haben wir noch immer keine klaren Konzepte, aber Leistung müssen wir trotzdem bringen. Wir fühlen uns im Stich gelassen." Mit "wir" meint die Schülerin der Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe Marienberg in Bregenz vor allem die berufsbildenden Schulen, die "oft vergessen werden. Die Erleichterungen im Semester in den BHS sind im Vergleich zur AHS sehr unfair und im Hinblick auf die Matura schwach."

Für eine andere Gruppe, die in den Politikermeldungen bezüglich der Schule (nicht nur) im Corona-Jahr meist nicht einmal erwähnt wird, spricht Jeremie Dikebo: die Berufsschüler. Zuletzt waren sie – und die Landwirtschaftsschulen – von der ersten Tranche für die Corona-Testkits ausgeschlossen. "Das ist ungerecht und auch respektlos gegenüber den Lehrlingen, die in diesem Jahr viel für die Bevölkerung getan haben, zum Beispiel im systemrelevanten Lebensmittelhandel", sagt der 17-jährige Oberösterreicher, der als AKS-Vertreter in der BSV die Berufsschulen vertritt. Genauso ungerecht findet Dikebo, der im zweiten Ausbildungsjahr als Telekommunikationskaufmann bei A1 ist, "dass wir noch immer nicht wissen, wie es mit den Lehrabschlussprüfungen aussieht. Über die Matura wird viel geredet, aber niemand fragt: Wie geht’s den Jugendlichen in den Berufsschulen?"

Wir fragen. Abgesehen von den vielerorts üblichen Problemen mit schlechtem Internet und etwas holprigem Distance-Learning "geht’s so weit ganz gut", berichtet Dikebo: "Es gibt nicht nur negative Sachen. Wir lernen jetzt auch viel, das durch die neue Situation entsteht. Es ist kein verlorenes Jahr, auch nicht für Lehrlinge."

Keine verlorene Generation

Auch das ist ein Tenor, den die Schülersprecher unterstreichen: Krise? Ja, aber nicht überall – und nicht immer dort, wo die Erwachsenen sie wähnen. Verlorenes Jahr? Verlorene Generation? Nein! Dieses Etikett lassen sie sich nicht verpassen. Die Politik muss schon auch liefern. Abgesehen von Detaillösungen ist das übergeordnete Ziel klar: Sie wollen zurück in die Schulen. So schnell wie möglich, so sicher wie möglich. Der Notabene-Zusatz, dass die Rückkehr an den großen Sehnsuchtsort in der Corona-Krise natürlich abhängig sei vom allgemeinen Infektionsgeschehen und die Gesundheit immer Vorrang habe, gehört für die Repräsentanten dieser jungen, informierten und krisengestählten Generation zum Einmaleins einer Pandemie. Davon gehen sie aus.

In einer Mischung aus Realitätssinn und Pragmatismus plädieren sie daher für einen Weg, den Neos-Schülervertreter Leopold Plattner, im Vorjahr Vizebundesschulsprecher und Gründer der Junos Schüler_innen, stellvertretend für die anderen formuliert: "Es muss etwas zwischen Schule komplett zu und komplett offen geben. Dafür brauchen wir ein Konzept, aber solche Lösungen fehlen noch immer. Der Sommer wurde verschlafen, der Winter wird hoffentlich genutzt." (Lisa Nimmervoll, 29.1.2021)