Barry Gibb ging nach Nashville – ein Cowboy wurde dort nicht aus ihm.

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Barry Gibb – schwierig. Popgenie hier, Schmalzfasskaiser dort. Ein geföhnter Weltstar in den USA, ein geadelter Sir auf der Insel – vor allem aber eines: Als Kopf der durch natürliche Abgänge kaltgestellten Bee Gees gilt er als der nach Paul McCartney erfolgreichste Songschreiber der Musikgeschichte. Sein Output ist hundertfach gecovert geworden – was zugleich das Problem seines neuen Albums ist.

Nachdem der letzte Lebende des britisch-australischen Trios seine Zeit sonst eher mit Geldzählen und Haarelegen verbringt, hat er sich im Corona-Jahr aufgemacht, den eigenen Katalog in ein neues Gewand zu hüllen. Entstanden ist das Album Greenfields: The Gibb Brothers Songbook Vol. 1. Der Hinweis "Vol. 1" macht schon darauf aufmerksam, dass dieses Œuvre zu umfangreich ist, um auf einen einzigen Silberling zu passen. Schließlich schufen die Brüder mit ihren phimosisch dargebrachten Pop-Perlen über Jahrzehnte Hits – und ein paar tolle Alben.

Jedenfalls ging Barry nach Nashville, um zwölf und ein paar Bonus-Aufnahmen durch die Country-Brille zu betrachten. Also Country im Sinne von Kylie Minogue – eher nichts für Freunde von Hank Williams oder Merle Haggard.

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Mit Partnerinnen wie Dolly Parton, Olivia Newton-John, Sheryl Crow oder Alison Krauss duettiert sich der 74-Jährige in süßer Eintracht. An Partons Seite tremoliert er wie ein defekter Defibrillator durch die Schmalzballade Words, Miranda Lambert verleiht Jive Talkin’ die notwendige Kante. Doch das erwähnte Problemchen – bei aller Genialität wurden viele Gibb-Songs ihrem Schöpfer über die Jahre künstlerisch enteignet: Nina Simones Version von To Love Somebody? Nicht zu schlagen. Al Greens Sichtung von How Can You Mend A Broken Heart? Unpackbar.

Purple Rain auf Kantri? Ja, das geht

Das lässt Gibbs neue Versuche stellenweise blass aussehen. Zwar sind alle Lieder in geschmackvolle Arrangements gehüllt, gleichzeitig bleibt die Idee, den Songs den Cowboyhut aufzusetzen, unterhalbherzig. Eine gefiedelte und Square-Dance-taugliche Hottehü-Interpretation von Stayin’ Alive – das wäre was gewesen.

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Wie so etwas mit Würde und Respekt geht, haben die Okra All Stars mit einer Stallversion von Princes Purple Rain einmal gezeigt. Gibbs Neuinterpretationen hingegen verschwinden hinter zu vielen Gefälligkeitsmerkmalen des Mainstream-Pop. Ihm aber das vorzuwerfen, nachdem er ein Leben und eine Weltkarriere dort verbracht hat, wäre natürlich Unsinn. Andererseits stellt sich doch die Frage, ob man dann nicht lieber gleich bei den Originalen bleibt – mit Lockenwicklern und Glockenhose. (Karl Fluch, 29.1.2021)