Trotz verschärfter Gesetze: Die Frage nach den ethischen Grundlagen unserer Ernährung bleibt aktuell.

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Das Ziel der Wirtschaft sei das Wachstum, lernten wir in Geografie und Wirtschaftskunde. Ich erinnere mich an einen bestimmten Moment, als jemand aus der Klasse fragte: "Und wo wird das enden, wenn das Wachstum immer weitergeht?" Es war so ein Moment, wo uns etwas Unheimliches ergriff, und die Lehrerin schwieg. Dann zuckte sie mit den Achseln und sagte, irgendwann werde das Wachstum wohl eine Obergrenze erreicht haben, aber noch lange nicht, dann werde man schon sehen.

Ich sah gewaltige, chromschimmernde Fabriken vor meinem geistigen Auge, eine betonierte Welt. Ich kann sagen, dass wir schon in den frühen 1980er-Jahren eine Ahnung hatten, worauf wir zusteuerten, dass die Ressourcen endlich sind. Ein zweiter solcher Moment kam einige Jahre später, ich studierte schon.

Das Mineralwasser, das bis dahin in Mehrweg-Glasflaschen abgefüllt worden war, wurde von da an in wegwerfbaren Plastikflaschen verkauft. Allein das Wort "wegwerfbar" tut heute weh. Doch wir hatten damals schon Gespräche darüber, ob das gutgehen könne. So viel Plastik? So viel wegwerfen?

Man fand sich ab. Man hatte keine Kraft, schon wieder auf die Barrikaden zu gehen, man war gerade gegen Zwentendorf und das Kraftwerk Hainburg auf die Barrikaden gegangen, permanent musste man die Umwelt gegen das Wachstum verteidigen und sich dafür als sentimental belächeln lassen.

Die graue Baracke

Als ich sechzehn Jahre alt war, suchte ich einen Ferienjob. Eine Schulfreundin sagte: "Du kannst bei uns im Hühnerstall arbeiten, meine Mutter braucht immer Hilfe." Die graue Baracke, die "Hühnerstall" genannt wurde, sah wenig bäuerlich aus, eher industriell. Hoch oben unter dem Dach gab es Fensterschlitze, die wohl ein klein wenig Licht hineinließen, in die man aber von außen nicht hineinsehen konnte.

Den "Hühnerstall" bemerkte man in der Nachbarschaft hauptsächlich durch seinen Gestank. Dieser wies überhaupt erst auf die Existenz der Hühner hin, die man nie zu Gesicht bekam. Wenn der Wind ungünstig stand, wehte die beißende Mischung aus Fäkalien und Fischmehl (mit dem die Hühner gefüttert wurden) hinüber in die idyllischen Gärten der Kleinfamilien.

Wir trafen uns um sechs Uhr früh vor dem doppelt versperrten Tor der Hühnerstallbaracke, denn es durfte nicht nur kein Tier heraus, sondern auch kein Unbefugter hinein. Ich hatte den Auftrag bekommen, abgetragene Kleidung anzuziehen, die schmutzig werden durfte. Auch meine Freundin trug Gummistiefel und ihr staubiges "Hühnerstallgewand".

Es stank bestialisch

Durch einen Vorraum gelangten wir in das Dunkel der großen Halle. Es stank bestialisch. Tausende Hühner raunten und klagten, es war ein apokalyptisches Geräusch. Hier waren Lebewesen zusammengepfercht, es atmete, es regte sich, es litt.

Meine Freundin schaltete das Neonlicht ein, das flackernd anging und alles, was ich in den Sekunden davor geahnt hatte, mit Gewissheit bestrahlte. Die Hühner waren nackt. Sie waren krank. Sie waren blutig. Meine Freundin erklärte mir, dass sie, so eng, wie sie in die Käfige gestopft waren, einander mit Schnabelhieben verletzten und die Federn ausrissen.

Viele hatten geschwollene, entzündete Kloaken, Milben liefen auf ihnen auf und ab. Das alles täte der Qualität der Eier keinen Abbruch. Dann begann sie durch die Käfigreihen zu gehen und die eine oder andere Tür zu öffnen.

Sie griff in den jeweiligen Käfig hinein, holte unter den fiebrigen, zitternden, asthmatisch atmenden Hühnern ein verendetes heraus und warf es auf den Boden. Das sei der erste Durchgang, erklärte meine Freundin, ich müsse das nicht machen. Die Toten herausholen sei nichts für Anfänger, da müsse man sich erst abhärten.

Verdrängen und ausblenden

Das war 1982. Im Grunde wusste jeder, der die Entsetzlichkeiten der Massentierhaltung zu Gesicht bekam – und sei es nur auf einem Foto –, dass die Grundlagen unserer Ernährung nicht nur eine ethische, sondern auch eine hygienische Katastrophe waren.

Doch man musste sich abhärten, verdrängen, dissoziieren. Im November 2020, in der zweiten Welle der Corona-Pandemie, müssen elf Millionen Nerze aus der dänischen Pelzproduktion gekeult werden, weil sich unter ihnen eine Mutation des Virus verbreitet hat, die auf den Menschen übertragbar ist. Man ist entsetzt. Elf Millionen Nerze! Gekeult!

Natürlich wären diese Nerze ohnehin vergast worden, sie wurden nicht gezüchtet, um ein friedliches Dasein auf grünen Auen zu führen, sondern um nach entsetzlichem Elend in winzigen Käfigen als Jacken, Krägen und Hausschlapfen zu enden.

Doch was geschah in den Jahrzehnten zwischen meinem Ferienjob in der Legebatterie und der Ausbreitung eines für den Menschen gefährlichen Virus in gewaltigen Nerzfabriken? Österreich hat eines der fortschrittlichsten Tierschutzgesetze der Welt – fortschrittlicher als Dänemark etwa, denn bei uns wurden Pelztierfarmen bereits 1998 abgeschafft.

2002 folgte das Verbot von Wildtieren in Zirkussen, 2004 das Verbot der Käfighaltung für Hühner. Weiter ging es mit dem Verbot von Tierversuchen an Menschenaffen, dem Verbot von Verkaufsbörsen für Wildtiere und dem von Kastenständen für Mutterschweine, das allerdings erst 2033 in Kraft treten soll.

All dies ist einer der effizientesten Tierschutzorganisationen der Welt zu verdanken, dem Verein gegen Tierfabriken. Doch wie ging Österreich mit seinen internationalen Vorreitern um? Es stellte sie vor Gericht. In dem als "Wiener Neustädter Tierschützerprozess" in die Geschichte eingegangenen Justizskandal wurden 2010 mehrere Mitglieder des Vereines wegen der "Bildung einer kriminellen Vereinigung" angeklagt.

Symbolische Befreiung

Im Großen und Ganzen weil sie vor den Filialen einer Bekleidungskette gegen den Verkauf von Pelzen demonstriert hatten. Sie wurden alle freigesprochen, da nicht zuletzt die eingeschleuste Polizeispitzelin keinerlei kriminelle Aktivitäten hatte feststellen können. Die Betroffenen waren finanziell ruiniert und mussten Privatkonkurs anmelden. Das war wohl auch der tiefere Sinn des Zerstörungsaufwandes gewesen.

Als ich als 16-Jährige in der Hühnerfabrik arbeitete, wünschte ich mir inständig, dass irgendjemand kommen möge, um dieses furchtbare Leid zu beenden. Doch es waren nicht Eltern, Lehrer, Priester oder Politiker, die schließlich einschritten, sondern eine kleine Gruppe von Leuten, die man für verrückt hielt.

2004 besetzte der Verein gegen Tierfabriken die besagte Legebatterie und befreite symbolische dreißig Hühner, um sie auf der Wiese vor der Baracke etwas Luft schnappen zu lassen.

Im November 2020 sagte der österreichische Gesundheitsminister angesichts der Ausbreitung des Coronavirus in den dänischen Nerzfarmen: "Es ist allerhöchste Zeit, die Pelzzuchtindustrie in Europa insgesamt zu beenden. Aus Tierschutzgründen, aber auch aus Sicht des Gesundheitsschutzes."

Vielleicht wäre es auch Zeit, den ruinierten Tierschützern eine Entschuldigung zukommen zu lassen. Oder eine Entschädigung. (Bettina Balàka, ALBUM, 30.1.2021)