Junge Menschen und Frauen sind von der psychischen Belastung besonders stark betroffen.

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Burnout, das heißt entweder: viel zu viel. Oder: viel zu wenig. Wer zu viel arbeitet, brennt auf Dauer aus – aber auch wer keine Beschäftigung hat, kann im Burnout landen. Wir alle brauchen einen ausgewogenen Mix aus Herausforderung und Ruhe. Doch die Pandemie verwehrt das den meisten: Das enge Aufeinandersitzen im Homeoffice, 24 Stunden, sieben Tage die Woche, oft mit Kindern, die quasi nebenbei unterrichtet werden müssen. Aber auch die Ängste, die bei Arbeiten mit Kundenkontakt einhergehen – all das erhöht das Stresslevel.

Und umgekehrt: Wer durch die Krise arbeitslos oder in Kurzarbeit zum Stubenhocken verordnet ist, bei dem setzt lähmende Langeweile ein. Sorgen um die eigene Gesundheit und die von Angehörigen belasten. Ein paar Wochen hält man das durch, vielleicht auch Monate.

Doch die Welt befindet sich mittlerweile seit fast einem Jahr im Ausnahmezustand. Dazu häufen sich die schlechten Nachrichten – gerade zu Beginn des neuen Jahres, wo doch alles besser hätte werden sollen. Die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr zur Normalität hat vielen die Kraft gegeben, weiter durchzuhalten. Doch sie schwindet nun. Ein zäher Start des Impfprogramms in Österreich, neue, gefährlichere Mutationen des Virus, dazu nun die Lieferprobleme bei Astra Zeneca.

Es ist ... einfach sehr mühsam

Droht jetzt ein kollektives Pandemie-Burnout? Wie holen wir uns da wieder raus – und was muss die Politik tun, um die psychische Gesundheit der Bevölkerung sicherzustellen? Fest steht: Es gibt gut erprobte Mittel, um die seelische Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern. Man muss sie nur umsetzen.

Derzeit gilt aber: "Es ist einfach mühsam." Das sagen sehr viele – auch Ingeborg Pucher-Matzner, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Verhaltenstherapie, die angehende Psychotherapeuten ausbildet. Orientierung und Kontrolle seien ein Grundbedürfnis der Menschen, "und wenn das verletzt wird, kommt es zu massiven Irritationen". Derzeit wissen wir nicht, wohin wir eigentlich gehen. Und das macht uns fertig.

Die Emotionen gehen aus

"Es gibt eine ganz lange Dauer an Isolation, an Verunsicherung, teils an Hoffnungslosigkeit", sagt Pucher-Matzner. Wer wegen Über- oder Unterforderung ins Burnout schlittert, werde müde, könne keine Energie mehr tanken oder "Emotionen nicht mehr in der ursprünglichen Vielfalt erleben", sagt die Therapeutin.

"Die grauen Wintertage sind das Schlimmste, ich vermisse die Sonne so sehr. Ich bin meist so träge, dass ich nichts weiterbringe und die Hausarbeit liegenbleibt. Meine Highlights sind die Besuche bei meiner Therapeutin alle zwei Wochen."

Katja (35)

Auch wenn es nicht in einem Burnout endet: Die psychische Belastung wird stärker, je länger die Pandemie dauert. Die Neigung zur Depressivität in der Bevölkerung steigt – das bedeutet nicht, dass sich das immer zu einer diagnostizierbaren Depression entwickelt, doch erste Anzeichen und Vorläufer sind da: Ängstlichkeit und Schlafstörungen nehmen zu. Das betrifft nun auch zunehmend Menschen, die vergleichsweise gut durch den ersten und zweiten Lockdown gekommen sind.

Die Jungen werden depressiver

"Es wird viel mehr ambulante Hilfe in Anspruch genommen, etwa Psychotherapie", sagt Alex Hofer, Leiter der Universitätsklinik für Psychatrie in Innsbruck. Die stationären Betten seien ohnehin immer voll. "Wesentliche Faktoren sind Einsamkeit und Langeweile." Fällt die Tagesstruktur weg, könnten das viele über Wochen oder Monate kompensieren, "aber jetzt kommt die Phase, wo man wirklich aktiv eine neue Struktur finden muss", sagt der Psychiater.

Ein Team der medizinischen Universität Wien untersucht die Folgen der Krise auf die seelische Gesundheit der Bevölkerung. In zwölf Befragungswellen wurden zwischen April und Ende Dezember verschiedene Kennwerte in Stichproben erhoben, die für die Gesamtbevölkerung repräsentativ sind. Das Ergebnis: Besonders betroffen von der Pandemie-Erschöpfung sind junge Menschen, Frauen und Personen mit niedrigem Einkommen.

"Gefühlsmäßig bin ich gegenüber der Pandemie mittlerweile etwas abgestumpft. Meine berufliche Zukunft ist auch unsicher geworden. Mit diesen Ängsten kann ich mich jetzt im Vergleich zum Herbst besser arrangieren, doch der Stress bleibt."

Klemens (36)

Unter 29-Jährige berichten etwa doppelt so häufig über Anzeichen von Suizidalität, auch das Risiko häuslicher Gewalt ist bei ihnen erhöht. Je älter die Menschen werden, desto seltener geben sie an, Anzeichen von Depressivität oder Suizidgefährdung zu verspüren, das wurde mit bereits etablierten Fragebögen erhoben. "Das dürfte damit zu tun haben, dass ältere Menschen mehr Lebenserfahrung und damit auch mehr Resilienz aufgebaut haben", sagt Thomas Niederkrotenthaler, Mitautor der noch nicht publizierten Studie. Junge Menschen berichten in der Pandemie auch öfter über Einsamkeit, wie eine Untersuchung der Uni Wien zeigte.

Was macht die Politik?

Zuletzt schlug der Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Wiener Allgemeinen Krankenhaus auf Ö1 Alarm, dass immer mehr junge Menschen ohne Vorbelastung mit immer schwereren Symptomen – von Depressionen und Suizidgedanken bis zu Essstörungen – auf seine Station kämen. Geschlossene Schulen mögen epidemiologisch wirksam sein; psychologisch richten sie großen Schaden an.

Frauen sind die zweite Risikogruppe der Mental-Health-Krise. Corona hat in vielen Fällen einen Rückschritt in traditionelle Rollenbilder mit sich gebracht – sind etwa beide Eltern im Homeoffice, ist es meist die Mutter, die nebenbei noch die Kinder betreuen muss. Dazu kommt, dass viele Berufe mit hohem Ansteckungsrisiko überwiegend von Frauen ausgeübt werden: die Supermarktkassierin, die Pflegerin, die Reinigungskraft. Die psychische Last dieser Gesundheitskrise liegt viel stärker auf weiblichen Schultern als auf männlichen. Dazu kommt noch die steigende Gefahr durch häusliche Gewalt.

Eine Gesundheitskrise ist eine Gesundheitskrise

Und dann sind da noch die Einkommensschwachen. Eine halbe Million Menschen in Österreich sind arbeitslos, 140.000 in Kurzarbeit, darunter viele Geringverdiener. Wer finanziell nicht abgesichert ist, hat Sorgen, leidet öfter unter Angst. Belastungen addieren sich nicht, sie multiplizieren sich.

"Es gibt gute und schlechte Tage. Manchmal tanze ich allein in der Wohnung, manchmal komme ich wegen meiner Depression den ganzen Tag nicht aus dem Bett. Ich habe mir jetzt professionelle Hilfe geholt und hoffe, dass es besser wird."

Evelyn (25)

Wenn es um die Verbreitung des Virus geht, fragen wir zu Recht oft: Was macht die Politik dagegen? Welche Maßnahmen wirken, welche nicht? Doch bei der psychosozialen Krise scheinen die Menschen sich selbst überlassen. Dabei ist eine Gesundheitskrise eine Gesundheitskrise, egal ob die Krankheit körperlich oder seelisch ist. Die psychischen Folgeerscheinungen der Pandemie werden noch Jahre nachwirken.

Therapie ist nur die Spitze der Pyramide

Aber hat die Politik überhaupt eine Medizin dagegen? Experten verweisen bei dieser Frage auf die Interventionspyramide. Die Spitze: professionelle Hilfe. Sie kann in der Politik erst die letzte Maßnahme in Sachen Prävention oder Behandlung seelischer Erkrankungen sein – was nicht heißt, dass die Unterversorgung mit Kassenplätzen für Psychotherapie in Österreich nicht eklatant wäre.

Bei der Basis der Pyramide kann die Politik schon wirksamer werden. Sie lautet: Existenzsicherung. Wer mit Armut kämpft, dem helfen auch noch so viele Kassenplätze für Psychotherapie nichts, das belegen die Untersuchungen. Je niedriger das Einkommen, desto größer die Belastung. Eine treffsichere Sozialpolitik wirkt sich also positiv auf die Gesundheit der Bevölkerung aus. Die von der Regierung öffentlich prolongierte Idee, das Arbeitslosengeld mit fortschreitender Dauer der Jobsuche zu senken, würde sich auf Betroffene also eher negativ auswirken.

Die Lücken im System

"Die Pandemie zeigt deutlich, wo die Lücken im System sind", sagt Barbara Juen, Expertin für Krisenintervention und fachliche Leiterin der psychosozialen Dienste des Roten Kreuzes in Österreich. Jetzt müsste man beginnen, Ressourcen im psychosozialen Bereich aufzubauen.

Das gilt vor allem für niederschwellige Zugänge wie Gratis-Onlineberatung. Da bestehe bereits ein breites Angebot (siehe Infos unten), das sehr wirksam sei und den Druck rausnehme. Juen hofft, dass es auf politischer Ebene "vielleicht ja in die Köpfe reingeht, dass man auch Geld spart, wenn man auf die psychosoziale Gesundheit schaut". Wichtig ist laut der Psychologin auch, zivilgesellschaftliches Engagement zu stärken und Communitys "Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die sie brauchen, um selbst aktiv zu werden".

Gerade jetzt sei der Ausbau von Maßnahmen für die seelische Gesundheit dringend notwendig. Denn die größte Herausforderung auf diesem Gebiet steht noch bevor. Die Suizidgefahr, so die Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts, steigen immer erst, nachdem das Schlimmste überwunden scheint. "Während der Krise beißt man die Zähne zusammen und hält durch. Danach wird es brenzlig", sagt Juen.

Im Großen und im Kleinen

Nach und nach scheint die Botschaft auch in der Politik widerzuhallen. Am Mittwoch kündigte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) die Einrichtung eines Beraterstabs für die psychosozialen Folgen der Krise an. Dieser soll "die Pandemie auch stärker als psychosoziale Krise begreifen und weitere maßgeschneiderte Lösungen für aus den Folgen der Krise resultierende Probleme erarbeiten", heißt es aus dem Ministerium auf STANDARD-Anfrage. Auch der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) regte an, Psychologen in die Krisenstäbe zu entsenden.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat die Einrichtung eines eigenen Beraterstabs angekündigt.
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Parallel dazu kündigt Anschobers Ressort die "kontinuierliche Aufstockung von Psychotherapieplätzen" und den Ausbau von Hotlines und Online-Beratungen an. Mangelberufe in der psychosozialen Versorgung – vor allem von Kindern und Jugendlichen – sollen einen Schwerpunkt bilden. Wichtig sei auch die "Entstigmatisierung von Personen, die von psychischer Erkrankung betroffen sind".

Dem Risiko, dass nach dem Ende der virologischen Krise die Suizidzahlen steigen könnten, will sich das Ministerium ebenfalls annehmen. Fix sei schon der Ausbau eines Ausbildungsprogramms für Berufsgruppen, die mit Menschen in suizidalen Krisen in Kontakt kommen können.

Das Gespräch suchen

Doch auch wenn die politischen Maßnahmen greifen – in erster Linie kommt es nun verstärkt auf unser soziales Umfeld an. Wenn Menschen tatsächlich ins Burnout rutschen, merken sie das selbst meist gar nicht, sagt Expertin Pucher-Matzner – im Unterschied zu einer Depression, die von den Betroffenen sehr stark als solche empfunden wird. "Umso wichtiger ist es, dass das Umfeld die Erschöpfung wahrnimmt und etwas sagt."

Von anfänglicher Abwehr solle man sich nicht entmutigen lassen und nochmal das Gespräch suchen, Informationen anbieten. Die Psychologin plädiert auch für mehr Zusammenhalt: "Wir teilen uns die Welt, in der dieses Virus tobt." Politiker müssten auf wiederholte Sachinformation setzen, das bedient unser Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle.

Lösungen für die psychischen Herausforderungen der Pandemie müssten aber gemeinsam gesucht werden. Sowohl in der Politik als auch in der Familie und im Freundeskreis. Im Großen wie im Kleinen. Dann fällt es auch leichter, noch ein bisschen länger durchzuhalten. Denn erspart bleibt uns das wohl nicht. (Sebastian Fellner, 30.1.2020)