Das Wohnen ist drinnen, die Stadt ist draußen. So dachten wir Architektinnen und Architekten das bis vor kurzem, wenn wir Wohnviertel, Stadtquartiere und öffentliche Plätze entwarfen. Das ist nun vorbei. Im Moment ist es noch ein bisschen kalt und zu feucht draußen. Aber der Frühling kommt in ein paar Wochen, und dann wollen wir wieder raus aus unseren Wohnungen. Die Frage ist bloß, wohin? Waren Sie in den letzten Wochenenden bei sonnigem Wetter in einem der städtischen Parks, zum Beispiel im Belvedere? Wahrscheinlich, denn ich war auch dort und gefühlt tausend andere Wiener und Wienerinnen auch. 

Architektinnen und Architekten bauen Häuser, die dann von anderen benutzt werden. Normalerweise. Heute jedoch öffnet und mischt sich das Feld. Längst sind Architekturplanende selbst zu Akteurinnen und Akteuren geworden. Sie nehmen Projektideen lieber selbst in die Hand, anstatt lange auf Aufträge zu warten und sind aktiv an der Veränderung von Raum und Stadt beteiligt. Dies ist gut. Es macht die oft distanzierte Position (mit Abstand Probleme lösen) von Architektinnen und Architekten obsolet, holt diese von jeder Art von Sockel (die Vogelperspektive ist nicht die beste) und platziert sie mitten in den urbanen, peripheren oder ländlichen Raum. Sie haben ein räumliches oder funktionales Problem? Wir kommen, aber nicht mit einem Plan, sondern mit Ideen und Szenarien. Und manches Mal bauen wir mit, dann wird es vielleicht besser.

Projekte von Gruppen wie Raumlabor Berlin aus Deutschland oder Assemble aus Großbritannien aktivieren, planen und bauen gleichermaßen. Sie wurden in den letzten Jahren ebenso ernsthaft in Magazinen vorgestellt wie große Architekturen bekannter Büros. Seit einigen Jahren findet ein Wandel statt. Architektur soll nicht nur abgeflachte Images auf Hochglanz liefern, sondern etwas Positives zum Leben beitragen. Architektur soll das Leben besser machen. Und ein solches besseres Leben sollte man nicht Developern und einer Investoren-getriebenen Planung überlassen. Es gibt also Einges zu tun für uns!

Ein komplexes, auf schrägen Stützen aufgestelltes grünes Dach (Medellin) schafft Raum.
Foto: Sabine Pollak

Wie wärs mit einem urbanen Wohnzimmer?

Die letzten Monate haben es gezeigt: Städtischer Raum ist immer nur so gut, wie seine Benutzbarkeit. Je mehr Nutzungen öffentlicher Raum zulässt, desto besser ist er. An berühmten Großarchitekturen kann man sich kurz erfreuen, stellt ein tolles Bild (die Stadt ohne Menschen) in soziale Netze, aber bis auf ein paar Likes oder Retweets bringt das wenig. Es braucht soziale Kontakte, und die finden in mitteleuropäischen Städten hauptsächlich in Konsum-orientierten Innenräumen statt, in Clubs, Gast- und Kaffeehäusern, Beisln, Bars und Spelunken, falls es die noch gibt. Wenn diese wegfallen, bleibt nichts übrig. Man sucht nach den wenigen Bänken, um ein Stück Stadt anders als stehend oder gehend einnehmen zu können. Durch kleine Durchreichen bekommt man Essbares herausgereicht (die Schütte-Lihotzky-Küche im Freien), aber gescheit essen kann man doch nur zu Hause. Die wenigen Sitzstufen, die es in Wien gibt, sind an sonnigen Tagen schnell ausgebucht und bei winterlichen Temperaturen ohnehin unbrauchbar.

Gasthäuser und Cafés werden wieder aufsperren, und das ist auch wichtig. Aber nun haben wir uns ein Jahr lang selbst versorgt, haben Rezepte getauscht und Thermoskannen mit hinausgenommen, um der Enge der Wohnung zu entkommen. Und es wird weitergehen die nächsten Monate, so viel ist klar. Also sollten wir uns etwas überlegen. Ich würde vorschlagen, jetzt sofort eine ganze Reihe an urbanen Einrichtungen für eine bessere Benutzung des öffentlichen Raums unserer Städte zu bauen. Ein urbanes Wohnzimmer zum Beispiel. Es bräuchte nicht viel. Ein Dach (ein Zelt, eine Plane, ein leichtes Flugdach), einen Tisch, der über die Minimalvariante der Parkmöblierung hinausgeht, Bänke, eine Wasserstelle und gute Müllentsorgungsbehälter. Man könnte es mit einer Tauschbibliothek kombinieren, die ja vielerorts gut funktioniert. Das urbane Wohnzimmer könnte es in verschiedenen Größen geben, gut verteilt in den Städten. Vielleicht bräuchte man ein paar Freiwillige, die sich ein wenig darum kümmern, also urbane Wohnzimmerbeauftragte quasi. Der Wiener Salon bekäme eine neue Bedeutung. Urbane Wohnzimmer sollten robust sein und nach dem ersten Salontreffen nicht gleich in Brüche gehen. Aber das ist ja alles machbar.

Salettln über der ganzen Stadt

Die meisten Städte in Österreich verfügen über gute Freiflächen - Stadtparks, Flusslandschaften und Spielplätze für (relativ) freie Nutzungen bei halbwegs gutem Wetter. Es braucht aber auch Übergangsräume für Übergangszeiten. Früher waren dies Pavillons, freistehende, überdachte Architekturen, mit Öffnungen ohne Fensterscheiben, die zu Bruch gehen könnten, oder überhaupt nur als Dach auf Säulen konzipiert. Oft waren sie wie kleine Tempelchen gebaut, die Charme hatten, aber außer für Tempelzwecke (Ritual, Opfer) schlecht benutzbar waren. Ursprüngliche Pavillons waren leichte Zeltstrukturen (Papillo, der Schmetterling). Im Österreichischen nannte man Pavillons Salettln. Salettln waren offene, hölzerne oder aus zarten, gusseisernen Konstruktionen gebaute, leicht erhabene Überdachungen, unter denen bei Festen die Musik und in später Stunde amouröse Abenteuer Platz fanden.

Ein Pavillon zum Liebhaben, Kopenhagen, Superkilen.
Foto: Sabine Pollak
Dächer wie gefaltete Sonnenschirme, Tische und Sessel, der Picknick kann beginnen. Kopenhagen.
Foto: Sabine Pollak

Pavillons und Salettln sind so herrlich altmodisch, könnten aber unser urbanes und suburbanes Leben durchaus bereichern. Ich würde ein Netz über alle mittelgroßen und größeren Städte in Österreich legen. An den Knotenpunkten (oder in der Nähe, dort wo es Sinn macht) könnten Pavillons und Salettln gebaut werden. Sie hätten ein Dach und eine Bühne, wären leicht angehoben über dem Asphalt und würden zumindest einer Big Band Platz schaffen für ein Openair-Konzert. Für die Planung solcher Salettn würde ich die jungen Architekturbüros der Städte beauftragen, also jene, die gerade raus sind aus den Unis und große Lust haben zu bauen. Alle 500 Meter sollte so ein Salettl stehen. Salettln würden der Musik- und Performanceszene überdachten Raum für Darbietungen geben. Kleine Skulpturengärten würden andocken. Frisch Getestete könnten dort Tango tanzen. Sonntags früh würden Aerobic-Kurse in Glitzerleggins stattfinden. Und in der Nacht gäbe es Miniaturclubbings light. Es wäre wunderbar, die Bandbreite an freien, offenen Architekturen in allen Farben und Materialien und in außergewöhnlichen Konstruktionsprinzipien zu sehen, mit Bögen, Tonnen, Faltungen, Zelten oder Pneus, bunte Schmetterlinge für die Stadt. Es würde den grauen und seit Monaten so langweiligen Städten neuen Pop-up-Pepp geben. Und jungen Architektinnen und Architekten kleine Aufträge, die sie vielleicht sogar selbst bauen könnten. Kommt, lasst uns das machen, die kleinen Experimentier-Architektur-Schmetterlinge. Die Nachbarschaften wären eingebunden, man könnte die Salettln mit kleinen Gärten kombinieren. Aber hey, es müsste jetzt gemacht werden, sonst kommt der nächste Pandemiefrühling und dann ist wieder nix da in der Stadt. (Sabine Pollak, 4.2.2021)

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