Die Organisatoren gaben die Versammlung als "Wallfahrt" aus.

Foto: Johannes Pucher

Es ist eine ungewöhnliche Vorgangsweise nach einer Demo: Um 21.30 Uhr traten Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Polizeipräsident Gerhard Pürstl noch spontan vor die Medien. Bei einer kurzen Pressekonferenz im Festsaal der Landespolizeidirektion Wien reagierten sie auf Kritik an dem Polizeigroßeinsatz am Sonntag.

Nehammer betonte, dass man die Angriffe auf Journalisten (siehe unten) sehr ernst nehme, und räumte ein, dass sich die Situation aufgrund mehrerer in der Stadt verteilter Gruppen für die Polizei sehr schwierig gestaltet habe. Die Polizei schätzte die Teilnehmerzahl abschließend auf 10.000.

Selbst die Stürmung der Parlamentsrampe musste verhindert werden, bestätigte Nehammer. Das seien schon Bilder, die an den Sturm auf das US-Kapitol erinnerten, so der Innenminister. Insgesamt habe sich ein "verheerendes Bild gezeigt". An den Versammlungen haben Hooligans, Personen aus der rechtsradikalen Szene, aber auch Familien teilgenommen. Die Polizisten hätten aber gute Arbeit geleistet, betonte Nehammer.

Nehammer kritisiert FPÖ

"Wir nehmen aus dem Einsatz mit, dass wir uns noch mehr auf die Taktiken der Demonstranten einstellen müssen", so Nehammer, der FPÖ-Klubchef Herbert Kickl scharf kritisierte, die Demonstrationen noch ermutigt zu haben. Unter den Demonstranten wurden auch die FPÖ-Abgeordneten Dagmar Belakowitsch, Petra Steger und Christian Hafenecker gesehen.

DER STANDARD

Polizeichef Pürstl, der den Einsatz selbst leitete, sagte, man habe die Demo am Ring spätabends aufgelöst, weil die Demonstranten ihr Versprechen, heimzugehen, nicht gehalten hätten. Noch eine gute Stunde vor dem Auftritt Pürstls und Nehammers zogen Gruppen von Rechten ohne Masken durch die Wiener Innenstadt.

Es kam zu 850 Anzeigen und zehn Festnahmen, darunter auch Rädelsführer Martin Rutter. Der Polizeieinsatz solle wieder evaluiert werden, damit man sich noch effizienter aufstellen könne, kündigte Nehammer an.

Unübersichtliche Szenen

Es waren unübersichtliche Szenen, die sich am Sonntag in der Innenstadt darboten: Eigentlich hatten Aktivisten aus der "Querdenker"-Szene für einen "Tag der Freiheit" mobilisiert, an dem die Regierung zum Rücktritt gezwungen werden sollte. Als die Wiener Polizei am Samstag jedoch 15 von 17 angemeldeten Demonstrationen – unter anderem auch eine der FPÖ – untersagte, machten die Organisatoren spontan eine "Wallfahrt" daraus. Denn niemand könne ihnen ihr Recht auf freie Religionsausübung nehmen, hieß es in ihren Telegram-Gruppen.

Die nächtliche Pressekonferenz des Innenministers Karl Nehammer (ÖVP) und des Wiener Polizeipräsidenten Gerhard Pürstl.
ORF
Die Versammlung wurde von den Veranstaltern als "Wallfahrt" ausgegeben.
Foto: Johannes Pucher
So war die Lage gegen 14 Uhr zwischen Maria-Theresien-Platz und Heldenplatz.
Foto: Johannes Pucher
Von jung bis alt, von esoterisch oder religiös bis rechtsextrem – die Menschenmenge war sehr divers.
Foto: Johannes Pucher
Antifa versuchte zu blockieren ...
Foto: Johannes Pucher
Die Polizei räumte ...
Foto: Johannes Pucher

Und so sammelten sich gegen 11 Uhr die ersten Demonstranten im Volksgarten zu einer Versammlung mit dem Titel "Österreich braucht Jesus". Dort erklärte ein Redner, dass man Corona-Symptome durch Gebete heilen könne. "Jesus fürchtet Corona nicht", sagte er. Im gemeinsamen Gebet baten die Teilnehmer Gott dann um Vergebung dafür, dass im Moment das Virus mehr gefürchtet werde als er. Die Erzdiözese Wien hatte zuvor noch vor einer als "christliche Prozession" getarnten Corona-Demonstration gewarnt und dieses Vorhaben als einen Missbrauch der Religionsfreiheit verurteilt.

Ab 13 Uhr sammelten sich dann erste "Gläubige" zum vermeintlichen Gebet zwischen Maria-Theresien- und Heldenplatz, wo auch schon vor zwei Wochen, am 16. Jänner, gegen die Corona-Maßnahmen demonstriert worden war. Die nicht angezeigte Versammlung verlief anfangs mit wenigen hundert Teilnehmern noch friedlich – auch wenn kaum Masken und eingehaltene Mindestabstände zu sehen waren. Mit dem Zulauf heizte sich die Stimmung der Menge aber auf. Die "Gläubigen" durchbrachen eine Polizeikette, die den Ring absperrte, und skandierten "Wir sind das Volk".

Die Polizeikette weicht zurück.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Unter den Teilnehmern waren verärgerte Bürger, die die Corona-Maßnahmen für unverhältnismäßig oder das Virus für nicht gefährlich oder gar nicht existent halten, aber auch Verschwörungmythiker, Rechtsextreme und Antisemiten wie die Identitären rund um Martin Sellner und der mehrfach verurteilte Neonazi Gottfried Küssel samt Mitstreitern.

Viele Verstöße

Weil laut Polizei "keinerlei Covid-Maßnahmen eingehalten" wurden, wurde die Kundgebung am Ring schließlich eingekesselt und die Auflösung angekündigt. Es gab Festnahmen, zahlreiche Anzeigen und Identitätsfeststellungen. Hubschrauber kreisten über der Innenstadt. Es kam zu tumultartigen Zuständen. Die Polizei sprach davon, dass das Einschreiten aufgrund der großen Zahl an Teilnehmern sowie unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit "besonders fordernd" gewesen sei.

Nachdem größere Gruppen von Demonstranten aus dem Kessel am Ring entlassen wurden, verteilten sich einige Demozüge in der Stadt – teils mit, teils aber auch ohne Polizeibegleitung. Wie DER STANDARD beobachten konnte, marschierte ein Demonstrationszug mit knapp 2.000 Teilnehmern vom Bereich Westbahnhof kommend über die Mariahilfer Straße und vereinte sich dort mit rund 600 anderen Demonstranten, die zuvor aus dem Kessel am Ring entlassen worden waren. Auf Nachfrage bei der Polizei, warum eine solche Menschenmasse ohne Polizeibegleitung durch die Straßen ziehen konnte, sagte ein Polizeisprecher: "Es sind überall und an verschiedenen Orten Beamte, teils auch in Zivil, vor Ort gewesen."

Schließlich machte sich der Demozug mit rund 2.500 Teilnehmern zu dem auf, was die Veranstalter ursprünglich geplant hatten und die Polizei eigentlich untersagt hatte – einer Demonstration rund um den Ring. Da dieser nicht gesperrt war, mussten sich die Demonstranten mit dem Autoverkehr arrangieren. Polizeibegleitung stieß erst auf der Höhe Schwarzenbergplatz dazu. Beim Stadtpark versuchte eine Gruppe von rund 30 Antifaschisten die Demo zu blockieren. Polizeieinheiten räumten sie von der Straße, davor wurde die Blockade von rechten Hooligans angegriffen.

Parlament als Angriffsziel

Am Nachmittag kam es auch zu einer versuchten Stürmung des Parlaments, das nach wie vor eine Baustelle ist. Rund 50 Personen rannten, teils mit Latten ausgestattet, auf das Gebäude zu, die Polizei musste dazwischengehen.

Insgesamt waren mehr als tausend Polizeibeamte im Einsatz, geleitet wurde dieser von Polizeipräsident Pürstl. Insgesamt wurden zehn Personen, vor allem wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, festgenommen – darunter auch einer der Organisatoren, der ehemalige Kärntner Landtagsabgeordnete Rutter. Außerdem wurden zehn Polizisten verletzt. Einer von ihnen musste im Spital behandelt werden. Es kam auch zu Angriffen auf Journalisten. So wurde einem Fotografen von einem Demonstranten mit dem Fuß die Kamera aus der Hand getreten, eine STANDARD-Redakteurin wurde bespuckt und mit "Lügenpresse" beschimpft.

Kickl kritisiert Nehammer

Die Landespolizeidirektion hatte im Vorfeld die Entscheidung, die Kundgebungen zu untersagen, folgendermaßen begründet: "Die Erfahrungen der letzten Wochen bei Versammlungen dieser Art haben gezeigt, dass weite Teile von Versammlungsteilnehmern das Gebot des Tragens eines enganliegenden Mund- und Nasenschutzes sowie die Einhaltung des Mindestabstands schlichtweg ignorieren, sodass geradezu erwartbar ist, dass es bei diesen Versammlungen zu Gesetzwidrigkeiten in großem Ausmaß kommen wird."

Die Veranstalter verschärften nach Bekanntgabe der Untersagungen ihre Rhetorik: So zeigte man sich überzeugt davon, in einer Diktatur zu enden, wenn die Demonstrationen dieses Wochenende ausfallen würden. Die Szeneprotagonistin Jennifer Klauninger rief ihre Anhänger zudem explizit dazu auf, es auch bei den anwesenden Polizeibeamten mit Überzeugungsarbeit zu versuchen: "Wir brauchen die Polizisten auf unserer Seite. Wir brauchen auch das Militär." Schon am Samstag war es zu zahlreichen Identitätsfeststellungen und auch zwei Festnahmen – darunter Klauninger – gekommen.

FPÖ-Klubchef Kickl, der die Absage der Demos im Vorfeld scharf kritisiert hatte, machte am Sonntagnachmittag Innenminister Nehammer "und Co" für die Situation verantwortlich. Sie hätten mögliche Eskalationen mutwillig und aus parteipolitischen Gründen "geradezu provoziert".

Rechtlich gedeckt

Dass die Versammlungen der "Querdenker" im Vorfeld behördlich untersagt wurden, sollte rechtlich gedeckt sein. Grundsätzlich erlaubt es das Versammlungsgesetz, Demonstrationen zu untersagen, die die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährden. Für eine Untersagung muss die Polizei zuvor eine Prognose treffen. Im Falle der "Querdenker" dürfte die Untersagung rechtmäßig gewesen sein. "Die Untersagungen sind heikel, aber zulässig", sagt der Verfassungsjurist Heinz Mayer. Der Schutz der Gesundheit sei ein "besonders hohes Gut".

Dieser Meinung ist auch der Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk: "Die Erfahrungen, die man mit dem Milieu bisher gemacht hat, weisen darauf hin, dass die Regelungen nicht eingehalten werden." Auch die Tatsache, dass es bei diesen Versammlungen immer wieder zu Verstößen gegen das Verbotsgesetz kommt, könne in dem Zusammenhang eine Rolle spielen. Beide Tatsachen waren schließlich auch am Sonntag nachweisbar.

Strittiger ist es bei der Frage, ob auch die Untersagung eines Gegenprotests rechtmäßig war. Die Polizei vermutete das Auftauchen von Personen aus der linksextremen Szene und dadurch Aktionsformen, die keinen ausreichenden Abstand zulassen würden. Auch die erwartete hohe Personenanzahl wurde ins Treffen geführt.

"Das scheint mir fragwürdig. Die Frage ist, ob das tatsachengestützt ist oder nur Befürchtungen sind, um unliebsame Versammlungen untersagen zu können", sagt Funk dazu. Das Argument der Personenanzahl alleine reiche nicht. Der Sprecher der Plattform der Veranstalter, Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger, betont jedenfalls: "Niemals wurde bislang Kritik an unseren Sicherheitskonzepten im Rahmen der Pandemiebekämpfung geübt." Im Vorfeld wurde auch zur Einhaltung der Maßnahmen aufgefordert.

Asyldemo in Innsbruck

Auch in Innsbruck kam es bei einer Demonstration mit rund 600 Teilnehmern bereits am Samstagnachmittag zu Zwischenfällen. Demonstriert wurde für Flüchtlinge und gegen Abschiebungen, die angemeldete Kundgebung lief unter dem Namen "Grenzen töten".

Laut Polizei wurden Mindestabstände nicht eingehalten, woraufhin sie rigoros einschritt: Es kam zu einem Pfeffersprayeinsatz der Polizei, die ihrerseits Attacken auf Polizeibeamte ins Treffen führte. Es gab 19 Festnahmen und mehr als 100 Anzeigen. Während die FPÖ den Einsatz lobte, hagelte es von SPÖ und Grünen massive Kritik. Beide kündigten eine parlamentarische Anfrage an. (Vanessa Gaigg, David Krutzler, Johannes Pucher, Colette M. Schmidt, 31.1.2021)