Die Schulen stehen im Zentrum der aktuellen Lockdown-Debatte.

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Wien/Innsbruck – Die Regierung ringt an diesem Montagnachmittag mit den Landeshauptleuten, der Opposition sowie Expertinnen und Experten um die Zeit nach dem am 7. Februar ablaufenden Lockdown. Die Frage der Öffnung der Schulen ist dabei ein zentrales Thema. Werden sie geöffnet? Welche Schulstufen? Unter welchen Rahmenbedingungen – oder müssen viele Schülerinnen und Schüler weiterhin im Distance-Learning bleiben? Am späten Nachmittag sollen die Ergebnisse verkündet werden.

Wie es gehen könnte und sollte, dazu liegt nun ein Positionspapier vor, für das erstmals in Österreich kindermedizinische und naturwissenschaftliche Expertise zusammengebracht wurde. Das Ziel der disziplinenübergreifenden Kooperation ist eindeutig: "Als erster Öffnungsschritt sollten Kindergärten/Krippen und Schulen ab 8. Februar den Betrieb aufnehmen. Selbst mit der aktuellen Inzidenz und der Präsenz neuer Virusmutationen ist dieser Schritt als Nutzung-Risiko-Abwägung angemessen, auch wenn Kinder und Jugendliche einen Anteil am Infektionsgeschehen haben und die Möglichkeit einer Ansteckung im Rahmen von Haushaltsclustern besteht", heißt es in dem Papier.

Dieses sei ein Versuch, "unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte und Interessen die Öffnung der Schulen sinnvoll zu gestalten. Ziel ist es, die Schulen zu öffnen – also: besser Schule mit Maßnahmen als weiterhin geschlossene Schulen."

Federführend formuliert wurde das Dokument von dem Mathematiker Norbert J. Mauser von der Uni Wien, dem Leiter der Uniklinik für Pädiatrie I der Med-Uni Innsbruck, Thomas Müller, und dessen Stellvertreterin Daniela Karall, die auch Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin ist. Inhaltlich akkordiert wurde das Papier noch mit drei weiteren Wissenschaftern: Erich Gornik (Physiker, TU Wien), Peter Markowich (Mathematiker, Uni Wien) und Hanns-Christoph Nägerl (Physiker, Uni Innsbruck).

Wie sehen die konkreten Öffnungsvorschläge für sichere Kindergärten und Schulen also aus?

  • Kindergärten und Krippen (1-6 Jahre):
    - FFP2-Masken verpflichtend für Kindergartenpädagoginnen und Betreuungspersonal, sie sollen täglich gratis zur Verfügung gestellt werden.
    - Kein Mund-Nasen-Schutz für die Kinder.
    - Antigentests mittels Nasentests für das Kindergartenpersonal verpflichtend alle zwei Tage (Montag, Mittwoch, Freitag), für die Kinder unter Aufsicht des Betreuungspersonals zweimal pro Woche (Dienstag und Freitag). Sollte ein Test positiv sein (bestätigt mit PCR-Test), wird die betroffene Gruppe im Kindergarten sofort für zehn Tage geschlossen.
    - Zusätzlich österreichweit Monitoring mit Gurgeltest.

  • Volksschulen (6–10 Jahre)
    - Mund-Nasen-Schutz (einfache Gesichtsmasken) für die Schülerinnen und Schüler, aber verpflichtende FFP2-Masken für die Lehrerinnen und Lehrer.
    - Antigentests zweimal pro Woche (Dienstag und Freitag) für die Schülerinnen und Schüler unter Aufsicht des Lehrpersonals sowie Antigentests mittels "Nasentest" für die Lehrkräfte dreimal pro Woche, also jeden zweiten Tag (Montag, Mittwoch, Freitag), verpflichtend für beide Gruppen.
    - Zusätzlich österreichweit Monitoring mit Gurgeltest.
    - Bei fehlender Zustimmung der Eltern zum Testen werden diese Kinder ins Homeschooling geschickt, wobei regulärer Unterricht, soweit möglich, vollständig online übertragen wird.
    - Bei einem positivem Fall (bestätigt mit PCR) in der jeweiligen Klasse sind alle Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte K1-Personen, das heißt, die betroffene Klasse wird behördlich geschlossen und zehn Tage auf Onlineunterricht umgestellt, danach wieder Rückkehr in den Präsenzunterricht.
    - Lüften nach jeder Unterrichtsstunde für 15 Minuten.
    - Kein Durchmischen der Klassen in den Pausen, die Kinder müssen grundsätzlich in der Klasse bleiben.

  • Unterstufe (10–14 Jahre)
    - Es gelten dieselben Schutzmaßnahmen wie in der Volksschule, außer dass diese Altersgruppe der Zehn- bis 14-Jährigen so wie die Lehrerinnen und Lehrer ebenfalls dreimal pro Woche getestet wird

  • Oberstufen inklusive Maturaklassen (14–18 Jahre)
    - Alle Regeln, die auch in der Unterstufe gelten, plus FFP2-Masken für alle Schülerinnen und Schüler. Sollte das Abstandhalten aus räumlichen und Mobilitätsgründen nicht möglich sein, empfiehlt das Autorenteam ein "Ausdünnen" der Klassen auf die Hälfte der Schülerinnen und Schüler, die dann jeweils im Schichtbetrieb in der Schule anwesend sind.

    Wichtiger Zusatz, der generell gilt: "Selbstverständlich müssen die Risiken im Umfeld der Schule und auf dem Schulweg minimiert werden, also keine dichtbelegten Schulbusse und öffentlichen Transportmittel.

  • Universitäten/Fachhochschulen/PHs
    Die Hochschulen sollen einstweilen im aktuellen Modus bleiben, also grundsätzlich bei Distance-Learning mit Präsenzelementen, wo sie notwendig sind. Begründung dafür: "Damit wird gewährleistet, dass der Effekt der Schulöffnungen (<18 Jahre) nicht durch die gleichzeitige Öffnung der Universitäten (>18 Jahre) einem 'Bias' unterliegt."

Mit diesen Maßnahmen würde das Autorenkollektiv aus pädiatrischen und naturwissenschaftlichen Experten die Kindergärten und Schulen in einer Woche wieder voll öffnen. Eines wird dabei jedoch ausdrücklich betont: "Sollte es Clusterbildungen geben bzw. die Zahl der Neuinfektionen in diesen Altersgruppen signifikant ansteigen, dann ist eine sofortige Re-Evaluierung notwendig!"

Pochen auf sofortige Fortsetzung der "Gurgelstudie"

Das heißt: Achtung bleibt geboten und muss in Form eines systematischen Monitorings gesichert werden. Als unbedingt notwendige flankierende Maßnahme fordert das Autorenkollektiv daher die Weiterführung der – wegen des Lockdowns momentan bis 8. März auf Eis gelegten– "Gurgelstudie".

Einer der Hauptautoren, Mathematiker Mauser, erklärt dazu im STANDARD-Gespräch, dass bei den Maßnahmen "zentral ist, dass es in den Kindergärten und Schulen natürlich Tests geben muss, nicht nur bei den Erwachsenen, sondern auch bei den Kindern. Und zwar nicht dieses freiwillige 'Wischiwaschi-Testen' mit den nasalen Antigentests, wo nicht einmal bekannt ist, welches Kind (zu Hause) getestet wurde. Damit kann auch keine Prävalenz berechnet werden. Dazu braucht es eine klare Teststrategie, welche jedenfalls vom ersten Tag weg das österreichweite Monitoring mit der 'Gurgeltest-Studie' in allen Altersklassen beinhaltet. Diese international vielbeachtete Studie muss essenziell bei den Maßnahmen sein, wenn man die Schulen wirklich öffnet."

Zu den Antigentests merkt Mauser noch an: "Die Kernfrage ist, funktionieren Antigentests mit Probenahme aus dem vorderen Nasenraum bei asymptomatisch Infizierten mit hoher Virenlast?" Um die (im Vergleich zu "tiefen" Antigentests oder den klassischen PCR-Tests) geringere Sensitivität der Antigen-Nasentests zu kompensieren, setzen die Autoren daher auf mindestens zweimalige Testungen pro Woche: "Die asymptomatisch erkrankten Kinder sind ein Risiko, das mit optimalem Testen minimiert werden muss, koste es was es wolle", nimmt Mauser Anleihe bei einem Zitat des Finanzministers zur Corona-Krise.

"Ergebnisoffen und wachsam sein"

Auch der zweite Hauptautor, Kinderarzt Müller, pocht auf die "Gurgelstudie" als extrem wichtigen Begleitschutz: "Österreich hat dank dieser Studie, die unbedingt als 'Radar' sofort fortgesetzt werden muss, eine einmalige Chance zu zeigen, ob eine Schulöffnung mit konsequenter Teststrategie, FFP2-Masken und sofortiger Isolierung der Klasse für zehn Tage funktioniert oder nicht. Wir müssen da komplett ergebnisoffen und sehr wachsam sein. Falls es nicht funktionieren sollte, dann hat man einen wissenschaftlichen Beweis und kann das der Bevölkerung gut erklären. Wissenschaft und gesellschaftspolitischer Nutzen gehen so Hand in Hand!"

Wissenschaftlicher Diskurs über Differenzen hinweg

"Gefunden" haben sich diese fünf Expertinnen und Experten übrigens, nachdem vier Wittgenstein-Preisträger Anfang November mit einer Radikalansage für Aufsehen gesorgt hatten. Sie gingen so weit zu sagen: "Alle, die jetzt gegen Schulschließung reden, müssen dazusagen, dass sie damit für Triage spätestens ab 18. November sind."

Das wiederum war dem Innsbrucker Pädiater Thomas Müller zu "apodiktisch", wie er in einem STANDARD-Interview erklärte. Er machte sich im Interesse der Gesundheit der Kinder gegen Schulschließungen stark und meinte überdies, dass es "ganz gut wäre, wenn man auch mit Kinderärzten sprechen würde".

Das haben sie dann auch getan. Ein Ergebnis der öffentlichen Debatte war nämlich schon einen Tag später ein Zoom-Meeting aller Beteiligten, das der wissenschaftlichen Auseinandersetzung diente. Mit an Bord war damals auch der spätere Leiter der "Gurgelstudie", der Mikrobiologe Michael Wagner. Und nun, viele E-Mails und Diskussionen in dieser Gruppe später, liegt als "Produkt" dieses Austauschs ein gemeinsames Positionspapier zur Öffnung der Schulen und Kindergärten vor. (Lisa Nimmervoll, 1.2.2021)