US-Präsident Joe Biden hat mit der Serie von Verordnungen zur überfälligen Korrektur der Gesundheits-, Wirtschafts- und Außenpolitik nach den katastrophalen Entgleisungen der Trump-Ära Erleichterung und sogar Begeisterung, aber auch solche übertriebenen Erwartungen wie die Voraussage eines Spiegel-Leitartiklers ausgelöst: "Die Marke Trump verblüht mit dem Machtverlust – im Geschäftsleben wie in der Politik." Die Umfragen warnen aber davor, dass die Trump-Fans nicht verschwinden werden.

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US-Präsident Joe Biden.
Foto: REUTERS/Brian Snyder

Wie kann man die Polarisierung im Lande überwinden, wenn ein Fünftel aller US-Amerikaner der Erstürmung des Kapitols zustimmt, wenn rund ein Drittel der US-Amerikaner Biden nicht für einen legitimen Präsidenten hält?

Vor allem geht es angesichts der hauchdünnen Mehrheit der Demokraten im Kongress um die Überwindung der Obstruktion der Republikanischen Partei in Schlüsselfragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Sechs von zehn republikanischen Wählern meinen, dass in den USA Weiße diskriminiert werden. Viele glauben, dass das Land durch die demografische und wirtschaftliche Wandlung in Gefahr sei, seine Identität zu verlieren. Die Furcht weißer US-Amerikaner vor dem Abstieg und vor den Fremden wurde bereits vor der Radikalisierung durch Donald Trump, nicht zuletzt dank der sozialen Medien und vor allem des rechten Fox News, des meistgesehenen Nachrichtenkanals der USA, verbreitet und politisch instrumentalisiert.

Bedrückende Überlegungen

Zum Hintergrund der von Biden in seiner Inaugurationsrede verurteilten "brutalen und hässlichen Realität – Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Angst und gegenseitige Verteufelung" gehören auch diese Fakten: In den letzten 50 Jahren hat sich der Anteil der nichtweißen US-Amerikaner verdreifacht, ebenso wie der Anteil jener, die im Ausland geboren wurden.

Die Überlegungen angesehener Beobachter, wie des Nobelpreisträgers und New York Times-Kolumnisten Paul Krugman und der Zeithistorikerin Anne Applebaum im Atlantic, sind bedrückend. Krugman sieht einen unaufhaltsamen extremen Rechtsschwenk in der Republikanischen Partei. Wegen des unausgewogenen Wahlsystems könnte sie auch dann in vier Jahren die ganze Macht erobern, wenn sie bei der Stimmenanzahl unterliegt. Im Senat, wo die Parteien gleich stark sind, vertreten die demokratischen Senatoren um 41 Millionen mehr Menschen als die Republikaner.

Applebaum hält zehn bis 15 Prozent der US-Amerikaner für "wirklich aufrührerisch" und mahnt, dass dieser harte Kern der Trump-Wähler auch nach dem eventuellen Ausscheiden Trumps aus der Politik bleiben würde. Trotzdem sei "Koexistenz die einzige Option". Am Beispiel Nordirlands, Kolumbiens und Südafrikas sieht sie den Weg zu innerer Versöhnung nur durch kommunale und wirtschaftliche Erholung, durch konstruktive Zusammenarbeit von Menschen, "die einander hassen". Nur die langfristige "Umerziehung" mit positiver Zukunftsperspektive aus vielen kleinen Schritten könnte die gefährliche Lage entschärfen.

Einstweilen bestimmt allerdings nicht die Bereitschaft zum Dialog mit den Demokraten, sondern der Druck des "aufrührerischen harten Kerns" die Politik der Republikaner. (Paul Lendvai, 2.2.2021)